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Tips-Interview: Elterncoach warnt vor Perfektionismus

Michaela Aichinger, 29.09.2025 19:03

BEZIRK. Mit dem Schulstart kehrt auch der Leistungsdruck zurück – für Kinder wie Eltern eine Herausforderung. Wie Familien damit umgehen können, erklärt Elterncoach Manuela Schauer aus Wolfsbach im Gespräch mit Tips.

  1 / 2   Wenn ein Kind spürt, dass Lob fast nur für gute Leistungen kommt, entwickelt es schnell die Haltung, keine Schwäche zeigen zu dürfen. (Foto: contrastwerkstatt/stock.adobe.com)

Tips: Laut Studien strebt fast die Hälfte der Jugendlichen nach Perfektion. Wie erleben Sie dieses Thema in Ihrer Arbeit und wie wirkt sich dieses Streben auf den (Schul)Alltag von jungen Menschen aus?

Manuela Schauer: Perfektionismus ist eines der Themen, das in meiner Arbeit immer wieder auftaucht. Schon bei Kindern im Volksschulalter erlebe ich den starken Wunsch „alles richtig zu machen“. Das entsteht nicht allein durch schulische Anforderungen, sondern auch durch die vielen unausgesprochenen Botschaften im Alltag: Wenn ein Kind spürt, dass Lob fast nur für gute Leistungen kommt, entwickelt es schnell die Haltung, keine Schwäche zeigen zu dürfen.

Verstärkt wird das durch Social Media. Jugendliche sehen dort, wie andere scheinbar mühelos Bestleistungen erbringen, sportlich erfolgreich sind oder ein perfektes Leben führen. Dieses ständige Vergleichen führt zu dem inneren Glauben: „Alle anderen schaffen das besser als ich.“ Psychologisch betrachtet ist das fatal, weil Jugendliche dadurch ihren Selbstwert fast ausschließlich an äußere Maßstäbe binden. Was dabei verloren geht, sind Freude, Neugier und die Fähigkeit, Fehler als normalen Teil der Entwicklung zu akzeptieren.

Wie können Eltern dem entgegenwirken?

Perfektionismus greift tief in die Entwicklung des Selbstwertes ein. Kinder, die das Muster verinnerlichen „Ich bin nur dann wertvoll, wenn ich alles richtig mache“, geraten in ständige Anspannung. Jeder Fehler fühlt sich dann wie eine Gefahr für ihre Zugehörigkeit an. Das Problem: Solche Glaubenssätze entstehen nicht plötzlich, sondern oft durch viele kleine Erfahrungen – durch den kritischen Blick, durch unbewusste Vergleiche mit Geschwistern oder Mitschülern, oder wenn Fehler mehr Aufmerksamkeit bekommen als Fortschritte.

Schule und Social Media verstärken das noch. Noten suggerieren, Leistung sei schwarz-weiß messbar, während Social Media eine perfekte Welt vorgaukelt, in der andere immer besser sind. Für Jugendliche ist das eine enorme Belastung, weil sie die Realität mit einer idealisierten Außenwelt verwechseln.

Eltern können viel tun, um gegenzusteuern. Wichtig ist, dass sie die Anerkennung nicht nur am Ergebnis festmachen, sondern am Weg dorthin: Mut, Ausdauer und Lernbereitschaft verdienen Wertschätzung genauso wie ein Erfolg. Ebenso wichtig ist, Kindern Herausforderungen nicht vorwegzunehmen. Wer spürt, dass er auch eigene Fehler korrigieren und Rückschläge aushalten kann, gewinnt Selbstvertrauen. Perfektionismus verliert dann seinen Schrecken, weil Kinder merken: „Ich bin auch dann genug, wenn nicht alles perfekt läuft.“

Viele Eltern üben unbewusst Druck aus. Wie gelingt die Balance zwischen Förderung und Überforderung?

Viele Eltern geraten aus lauter Fürsorge in eine Art „Förderspirale“. Sie möchten Chancen sichern, die Zukunft vorbereiten, vielleicht auch eigene Unsicherheiten kompensieren. Kinder nehmen diese Botschaften feiner wahr, als Eltern oft denken. Schon ein beiläufiger Vergleich wie „Schau, deine Schwester hat das schneller gemacht“ kann beim Kind das Gefühl auslösen, nicht zu genügen.

Psychologisch geht es hier um die Balance zwischen Bindung und Autonomie. Kinder brauchen die Erfahrung, dass sie so angenommen sind, wie sie sind – und gleichzeitig das Zutrauen, eigene Wege gehen zu dürfen. Förderung bedeutet deshalb nicht, jedes Defizit sofort auszugleichen oder alle Hürden aus dem Weg zu räumen. Sie bedeutet, Kinder zu ermutigen, sich auszuprobieren, und ihnen beizustehen, wenn es nicht sofort gelingt.

Eltern können sich fragen: Fördere ich mein Kind entsprechend seiner Stärken und Interessen – oder versuche ich, meine eigenen Ängste und meine negativen Erfahrungen aus meiner Kindheit zu umgehen oder zu beruhigen? Wenn die Antwort ehrlich ausfällt, entsteht oft Klarheit. Denn Überforderung entsteht genau dann, wenn das Kind spürt, dass es Erwartungen erfüllen muss, die gar nicht zu ihm gehören.

Welche Strategien helfen, schulischen Stress abzufedern?

Schulischer Stress ist ein vielschichtiges Phänomen: Hausaufgaben, Prüfungen, Noten, aber auch der Vergleich mit Gleichaltrigen. Besonders Social Media verstärkt diesen Druck, weil Kinder nicht nur sehen, wie sie selbst abgeschnitten haben, sondern auch, wie andere scheinbar besser und erfolgreicher sind.

Eine wichtige Strategie ist es, zuhause einen Ausgleich zu schaffen. Struktur hilft: klare Lernzeiten, aber ebenso feste Pausen. Ebenso unverzichtbar sind Bewegung und Schlaf – beides reguliert das Nervensystem und schützt vor Überlastung.

Doch genauso wichtig ist das emotionale Klima in der Familie. Wenn Kinder erleben, dass Eltern selbst unter Druck stehen oder jede Note mit Nervosität erwarten, verstärkt das ihren Stress. Hilfreich sind gemeinsame Rituale, die Sicherheit und Verlässlichkeit vermitteln: ein Handyfreier Abend, gemeinsames Kochen oder ein Spaziergang. Kinder spüren: „Hier bin ich nicht auf dem Prüfstand.“

Genauso wichtig ist, dass Eltern nicht alles vorab regeln. Wenn Kinder selbst mit einer kleinen Schwierigkeit zurechtkommen, bauen sie innere Stärke auf – und das ist die beste Stressprävention.

Wie kann man den Notendruck reduzieren, ohne die Motivation zu gefährden?

Noten sind in unserem Schulsystem sichtbar und wirken deshalb stark. Doch psychologisch entscheidend ist, ob Kinder eine sogenannte „Leistungsorientierung“ entwickeln – bei der es nur um Ergebnisse geht – oder eine „Lernorientierung“, bei der sie den Prozess des Lernens wertschätzen.

Notendruck entsteht, wenn Kinder glauben, ihr Wert hänge von Zahlen ab.

Eltern können hier bewusst gegensteuern. Motivation bleibt erhalten, wenn Kinder das Gefühl haben, dass Lernen einen Sinn hat und dass Anstrengung gesehen wird. Statt nach der Note zu fragen, können Eltern erkunden: „Was hast du verstanden? Was hat dich überrascht?“ Dadurch rückt der Lernprozess in den Mittelpunkt.

Wichtig ist auch, dass Kinder erleben dürfen, dass schlechte Noten kein Drama sind. Wer einen Rückschlag erlebt und die Erfahrung macht, dass Eltern nicht mit Druck reagieren, sondern unterstützend da sind, entwickelt Selbstvertrauen.

So lernen Kinder, dass Motivation nicht durch Angst entsteht, sondern durch Sinn und Unterstützung.

Welche Rolle spielen Smartphones und soziale Netzwerke beim Leistungsdruck?

Smartphones und Social Media sind heute einer der stärksten Verstärker für Leistungsdruck. Dort erleben Jugendliche eine ständige Bühne, auf der sie sich vergleichen: Wer hat die besseren Noten, wer ist sportlicher, wer sieht besser aus?

Psychologisch entsteht dadurch eine permanente Fremdbewertung. Kinder vergleichen ihre Realität mit den Hochglanzversionen anderer – und fühlen sich fast zwangsläufig unzulänglich. Viele Jugendliche entwickeln so den Glauben: „Alle anderen schaffen es besser als ich.“ Dieser Gedanke nagt direkt am Selbstwert und führt zu Stresssymptomen wie Schlafproblemen, Reizbarkeit oder Rückzug.

Besonders problematisch ist, dass dieser Vergleich kein Ende kennt: Selbst in der Freizeit hören die Gedanken nicht auf.

Eltern sollten Social Media nicht verteufeln, aber besprechbar machen. Kinder brauchen Unterstützung, um zu verstehen, dass das, was sie online sehen, oft inszeniert ist. Wenn Jugendliche den Mechanismus durchschauen, können sie leichter Abstand dazu gewinnen – und das schützt vor übermäßigem Druck.

Wie gelingt ein gesunder Umgang mit digitalen Medien ohne ständige Konflikte?

Medienkonflikte entstehen häufig, wenn Regeln nur von oben vorgegeben werden. Kinder erleben das dann als Kontrolle und reagieren mit Widerstand. Besser ist es, Vereinbarungen gemeinsam zu treffen – etwa: kein Handy beim Essen, keine Nutzung kurz vor dem Schlafengehen. Solche Regeln sind nicht Strafe, sondern Schutz.

Gleichzeitig ist es entscheidend, Alternativen zu schaffen. Wenn Kinder erleben, dass es zuhause auch spannende gemeinsame Aktivitäten gibt, verliert das Handy einen Teil seiner Anziehungskraft. Eltern haben hier eine Vorbildrolle: Wer selbst ständig erreichbar ist, vermittelt, dass Online-Sein normal und unverzichtbar ist.

Und: Kinder müssen auch Frustration lernen. Wenn Eltern jedes Konfliktthema vermeiden wollen, nehmen sie ihrem Kind die Chance, Selbstregulation zu entwickeln. Ein gesunder Umgang mit Medien entsteht nicht aus ständigen Diskussionen, sondern aus Klarheit, Verlässlichkeit und der Erfahrung, dass man auch einmal offline sein darf, ohne etwas zu verpassen.

Wie können Eltern ihre Kinder im Umgang mit Niederlagen stärken?

Der Umgang mit Niederlagen ist eine Schlüsselkompetenz, die Kinder nur entwickeln können, wenn sie Niederlagen auch erleben dürfen. Viele Eltern wollen ihr Kind beschützen und räumen Hindernisse aus dem Weg – doch damit verhindern sie, dass das Kind Selbstwirksamkeit erfährt.

Psychologisch bedeutet das: Ein Kind spürt nicht, dass es Schwierigkeiten selbst bewältigen kann – und zweifelt so langfristig an seiner eigenen Stärke. Niederlagen dürfen nicht dramatisiert werden, sondern brauchen Begleitung.

Eltern können fragen: „Was war schwer? Was hast du daraus gelernt?“ Damit helfen sie ihrem Kind, Erfahrungen einzuordnen, ohne sich selbst abzuwerten.

Wichtig ist auch, dass Eltern eigene Rückschläge ansprechen. Wenn Kinder sehen, dass auch Erwachsene scheitern, Fehler machen und trotzdem weitermachen, relativiert das den Druck. So lernen Kinder: Fehler sind kein persönliches Versagen, sondern Teil jedes Entwicklungsprozesses. Wer das versteht, entwickelt Resilienz – die Fähigkeit, auch nach schwierigen Momenten wieder aufzustehen.

Manuela Schauer ist psychologische Beraterin, diplomierte Supervisorin und Paar- & Elterncoach und arbeitet neben ihrer Tätigkeit in ihrer Praxis im Expertenteam des Gesundheitsnetzwerks der Elisabethinen in Linz und als Elterncoach für das Kinderpsychiatriezentrum Reset in Mauer. Dort startet sie ab 6. Oktober (10 Uhr) Elternsupervisions-Runden.
Sie begleitet Einzelpersonen, Paare und Eltern in herausfordernden Lebensphasen. Ihr Schwerpunkt liegt darauf, psychologische, oft biografische Zusammenhänge verständlich und sichtbar zu machen und gleichzeitig alltagstaugliche und umsetzbare Methoden an die Hand zu geben.
Infos: www.beratung-schauer.at

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