Tatiana Same über die Angst vor dem Tod: „Es ist alles Kopfsache“
NEUKIRCHEN AM WALDE. Tatiana Same begleitet als Trauerbegleiterin Kinder beim Abschiednehmen von geliebten Menschen. Im Tips-Interview spricht sie über ein Leben nach dem Tod, die Angst vor dem Tod und Abschiedsrituale sowie Trauerreden.
Tips: Wie sind Sie mit dem Tod das erste Mal in Berührung gekommen?
Tatiana Same: Als ich 18 war, starb meine heißgeliebte Oma. Zum Tag des Begräbnisses schrieb ich eine Rede und für mich war klar, ich werde weiß gekleidet kommen und es werden weiße Tauben fliegen. Ich war sehr überzeugt davon in jungen Jahren und habe damals für 100 Euro zwei Brieftauben von einem Züchter bekommen. Nach der Trauerfeier in der Kirche und meinem persönlichen Abschied ließ ich dich Tauben fliegen. Ich kann mich noch so gut daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Beim Moment, als sie aufstiegen und dann zum Himmel empor flogen, kam ein Gefühl von Leichtigkeit in mir hoch und gleichzeitig auch das Wissen, dass sie jetzt heimfliegen.
Tips: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Same: Ich habe nicht den Zugang, dass danach vorbei ist. Mir geht es in meiner Arbeit aber eher darum, Kindern die Möglichkeit zu geben, Abschied zu nehmen. Sie können beispielsweise weiter Briefe schreiben und somit in Verbindung bleiben. Aber in irgendeiner Form geht es weiter, das glaub ich.
Tips: Soll man das Thema Tod den Kindern offen kommunizieren oder Sie im romantischen Glauben lassen?
Same: Wichtig finde ich, Kindern den Tod begreifbar zu machen. Wenn Kinder zum Beispiel ein Tier verabschieden, sie dabei das Tier nochmal angreifen zu lassen. Mir geht es nicht darum, Kindern irgendetwas zu erzählen, sondern ehrlich zu sagen, dass der Mensch gegangen ist. Und die Möglichkeit schaffen, auf ihre Art Abschied zu nehmen. Kinder trauern oft anders. Erwachsene sind oft zu beschäftigt dafür. Kinder haben da mehr Fantasie und diese nehme ich ihnen nicht. Aber ich würde ihnen nie eine Geschichte erzählen, zum Beispiel nach einem Unfall. Da würde ich das dann konkret aufarbeiten und erklären, dass ein Autounfall die Todesursache war. Ihre Vorstellung, wo die Seele hingeht, möchte ich Kindern aber nicht nehmen. Man braucht da ein gewisses Fingerspitzengefühl. Es geht darum: Was braucht das Kind, damit es gut Abschied nehmen kann? Dann begleite ich die Fantasie, wo der Tod hingeht.
Tips: Welche Strategien empfehlen Sie zum besseren Umgang mit der Angst vor dem Tod?
Same: Zuerst würde ich schauen, wovor die Angst beim Tod besteht. Woher kommt der Mythos, dass das Sterben schlimm ist? Oft die liegt die Angst in der Interpretation. Es ist das gesellschaftliche Denken, dass der Tod etwas Schlimmes ist. Bedrohlich ist aber eher die Interpretation. Aus diesem Bild auszusteigen, hilft. Auch zu träumen, wie man im Alter leben möchte, hilft dabei. Es ist oft schrecklich für die Angehören, aber nicht für denjenigen, der geht. Die Ratio ist das Gefährliche. Im Moment leben und das Beste daraus machen, ist meine Empfehlung. Und ganz wichtig: Nicht in die Tradition der Eltern einsteigen, sondern sein eigenes Leben leben. Jeder hat sein eigenes Leben. Man braucht den Mut, das eigene Leben zu leben ohne Begrenzung. Es ist alles Kopfsache. Was macht mich glücklich? Es geht auch darum, eine Neuprogrammierung für die Zeit im höheren Alter vorzunehmen. Dabei kann man sich zum Beispiel vorstellen, mit 80 Jahren noch ein Unternehmen zu übernehmen oder eine Fußball-Mannschaft zu trainieren. So entsteht eine ganz neue und positive Energie, wenn man daran denkt.
Tips: Sie halten auch Abschiedsreden. Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine gute und passende Trauerrede aus?
Same: Leichter fällt es mir, wenn ich die Person gekannt habe. Es geht darum, ehrenvolle Erinnerungen zu schaffen, die Person nochmal lebendig zu machen. Bei mir lachen die Menschen bei Trauerreden, weil sie gerührt sind, weil sie die speziellen Charaktereigenschaften – wie zum Beispiel Humor – nochmal hören und in Erinnerung rufen. Mir ist wichtig, Leichtigkeit reinzubringen. Nicht durch Belustigung, sondern das Ganze zu transformieren, sprich die Verbindung zu behalten, den Menschen für den einen Moment lebendig zu machen. Es geht mir darum, den Tod annehmbarer zu machen.
Tips: Welche Abschiedsrituale wenden Sie bei Ihren Klienten an?
Same: Das kann ein Brief sein oder beim Abschied nehmen von Tieren das Verzieren der Grabbox und das Reingeben von Futter. Auch der Taubenflug und sich dabei etwas wünschen ist eine Möglichkeit – denn der Heimflug ist sichtbar. Trauben fliegen immer zurück zum Ursprungspunkt, verfliegen sich nicht. Das zeigt, man ist nicht verschollen. Aber auch ein Tanz kann das Abschiedsritual sein. Ich erarbeite das mit den Kindern, habe dabei einen Methodenkoffer und schaue, was das Kind braucht. Generell ist die Natur ist ein super Begleiter, Dinge wieder in den Fluss zu bringen. So kann man auch Schiffchen aus Nussschalen in das Wasser geben.
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