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Critical Mass - Radfahren gegen Ignoranz

Tips Jugendredaktion, Tobias Lindorfer, 22.09.2016 22:48

JUGENDREDAKTION. Seit über 20 Jahren treffen sich regelmäßig Radfahrer, um gemeinsam durch die Straßen zu fahren – als Protest gegen Autoverkehr, Umweltverschmutzung und um mehr auf den Radverkehr aufmerksam zu machen. „Critical Mass“ nennt sich die Bewegung, die immer größer wird und bereits in fast allen großen Städten der Welt existiert. Auch in Linz wird seit 2007 monatlich durch das Zentrum geradelt – und ich habe mir ein Bild davon gemacht.

Die Routen der Critical-Mass-Fahrten führen durch verschiedenste Linzer Stadtteile. Foto: Florian Buchegger

Es ist kurz vor 17 Uhr an einem warmen Sommerabend, als sich ein bunter Haufen von Radfahrern hinter der Dreifaltigkeitssäule versammelt und darauf wartet, dass es losgeht. Sofort erkennt man, dass es sich um keine gewöhnliche Gruppe von Sportlern, sondern um ein Stück Fahrradkultur handelt. Viele Leute fahren spektakuläre, selbstgebaute Fahrzeuge; eines hat den Sattel in eineinhalb Metern Höhe, ein anderes sieht aus wie ein Motorrad. Aus einem großen, fahrbaren Lautsprecher tönt laute Musik, die vorwiegend jungen Teilnehmer unterhalten sich, haben Spaß.

Nach kurzem Warten ertönt dann der erlösende Ruf: „Los geht´s!“, und die Gruppe setzt sich anfangs noch langsam und unkoordiniert in Bewegung. Es geht über die Nibelungenbrücke, wo man einen kühlen Lufthauch von der Donau spürt. Alle drei Fahrspuren werden gebraucht, ein verärgerter Motorradfahrer überholt den Tross auf den Schienen. Dann rollt eine Straßenbahn daneben vorbei, aus der etwas entgeistert überraschte Leute blicken. Freundlich wird zurückgewinkt.

Die Route führt durch die kleinen Gässchen im idyllischen Alt-Urfahr. Viele Leute unterhalten sich oder machen Fotos, die Stimmung ist heiter und gemütlich. Schließlich geht es zurück über die Donaubrücke, die Landstraße, den Domplatz und in die Kapuzinerstraße.

Vor einer Ampel kommt ein außergewöhnlich hohes Gefährt, wohl aus zwei übereinander gesetzten Rädern zusammengeschweißt, zum Stehen. Wie man da bitte aufsteigt? Der Besitzer demonstriert es lächelnd. Er läuft ein paar Meter neben dem rollenden Gefährt her und schwingt sich dann mit einem abenteuerlichen Sprung auf den Sattel. Wie oft er bei einer solchen Aktion schon gestürzt ist, ist fraglich. 

Der Tross rollt nun durch den für den Radverkehr eigentlich gesperrten Römerbergtunnel und dann wieder zurück zur Nibelungenbrücke. Dort hat sich schon ein beachtlicher Stau hinter uns gebildet. Manche Autofahrer schimpfen und hupen, andere lachen und nehmen Flyer entgegen, die von einigen Teilnehmern ausgeteilt werden.

Das Ganze ist übrigens völlig legal: Ab 16 Radfahrern gilt man als „geschlossener Verband“ und wird damit rechtlich wie ein einzelnes Fahrzeug behandelt. Man muss also den Verkehr nicht überholen lassen und kann auch über eine rote Ampel fahren, solange sie für den vordersten Radfahrer noch grün war. Ein Recht, von dem die Critical-Mass-Gruppe nach dem Motto „reclaim the streets“ und unter erzürntem Gehupe des Autoverkehrs immer wieder Gebrauch macht. 

In der Freistädterstraße brennen beim Fahrer eines weißen Kastenwagens alle Sicherungen durch: Er schimpft wild auf die Radfahrer, hupt und versucht mehrmals, an völlig unübersichtlichen Stellen zu überholen. Eine Teilnehmerin wundert sich: „Auf wütende Leute treffen wir immer wieder, aber so etwas kommt doch selten vor!“

Dass zornige Autofahrer aber auch zur Gefahr werden können, beweist ein Vorfall, der sich im Oktober der vorigen Jahres ereignete: Bei einer Critical-Mass-Rundfahrt in Linz fuhr ein aggressiver Audilenker rücksichtslos durch die Radfahrergruppe und stieß dabei einen Radler nieder, der leicht verletzt wurde. Der Vorfall wurde gefilmt, das Video erhielt mehr als 120 000 Klicks auf YouTube. Der Fahrer wurde mittlerweile zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die Stimmung entspannt sich aber bald wieder, als die Kolonne in eine Seitenstraße abbiegt und der Kastenwagen nicht mehr behindert wird. Es geht durch ruhige Urfahraner Gassen. Die mittlerweile stark dezimierte Gruppe kommt schließlich am Ziel, einem Lokal in Dornach, an. Bis zum letzten Freitag des nächsten Monats ist es wieder ruhig in den Linzer Straßen.

An sich eine gute Sache. Wie man auch immer zum Stauauslösen und Verkehr behindern steht; die meiste Aufmerksamkeit bekommt man so zweifellos. Das Ziel der Linzer Stadtpolitik, den Anteil des Radverkehrs bis 2020 auf 15 Prozent zu steigern, ist zwar nach wie vor in  beschämend weiter Ferne – aber vielleicht kann das Critical Mass ja ändern. 


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