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„Armut bekam für uns Gesichter und Namen“

Sabrina Kastenauer, 15.05.2024 11:54

SCHARDENBERG. Julia Obereder ist Sozialarbeiterin und Mutter von zwei Kindern. Vor 15 Jahren gründete die Schardenbergerin die Hilfsorganisation Braveaurora. Seither wurden 770 Kinder in Ghana mit ihren Familien wiedervereint und über 1.400 Personen bei ihrer Ausbildung unterstützt.

Dank der Unterstützung von Julia Obereder (l.) aus Schardenberg und ihrer Organisation Braveaurora hält ihr ehemaliger Schützling Mavis in Ghana heute Auszeichnungen der Universität in Händen. (Foto: Privat)

Tips:Wie kam es zur Gründung von Braveaurora?

Julia Obereder:Vor 16 Jahren im Alter von 20 Jahren haben Sarah Deckenbacher, Tamara Pottfay und ich als Sozialarbeitsstudentinnen ein Praktikum in einem Waisenhaus in Nordghana absolviert. Von den Umständen vor Ort waren wir sehr schockiert. Es gab keine staatliche Förderung für dieses Waisenhaus, das ein Mann alleine finanzierte – oder eben nicht, je nach seinem eigenen Einkommen. Als wir ankamen, bat er uns, ob wir ihn mit Lebensmitteln unterstützen könnten für die 45 Kinder, in der Zeit, in der wir vor Ort waren. Er verdiente als Lehrer nicht genug, um seine eigene Familie und diese Kinder zu versorgen. Also machten wir einen Spendenaufruf bei unseren Familien und Bekannten – und hatten innerhalb weniger Wochen 15.000 Euro auf unseren privaten Konten. Eine gute Basis, um langfristig zu unterstützen. Unser Praktikum dauerte neun Wochen und in dieser Zeit sind uns die Kinder natürlich sehr ans Herz gewachsen. Armut hatte für uns Gesichter und Namen bekommen. Das waren nicht mehr irgendwelche Schwarzen Kinder im fernen Afrika, die hungerten, Malaria hatten oder Hepatitis, das waren Mariam, David und Hakeem. Und Armut und Hunger schienen uns nicht mehr unlösbare riesengroße Probleme, sondern wir erfuhren: Wenn viele kleine Menschen wie wir, viele kleine Schritte tun, können wir gemeinsam die Welt verändern. Im Jahr 2009 gründeten wir Braveaurora.

Tips:Wie hat sich denn der Verein seither entwickelt und was genau macht dieser?

Obereder: Begonnen hat also alles mit dem Waisenhaus und der Unterstützung der Kinder. Die konnten damals nicht mal zur Schule gehen, sondern wurden nur von Freiwilligen unterrichtet – sofern welche da waren, denn die Schulgebühren waren auch zu hoch. Mit der Zeit fanden wir auch heraus, dass ein Großteil der Waisenkinder noch Eltern hatte und natürlich weitere Familienmitglieder. Übrigens haben neun von zehn Waisenkinder weltweit zumindest noch einen Elternteil und sind eigentlich Sozialwaisen, also die Eltern können sich ihre Kinder schlichtweg nicht leisten. Wir recherchierten viel und vernetzten uns in Ghana mit Behörden und anderen Organisationen, wir stellten unsere ersten Sozialarbeiter in Ghana an, wurden Pioniere in Ghana in der Reintegration: in der Wiedervereinigung von Waisenkindern mit ihren Familien. Die Familien unterstützen wir vor allem mit Handwerks-Ausbildungen und Mikrokrediten und halfen ihnen somit in die finanzielle Unabhängigkeit. 2013 konnten alle 45 Kinder wieder mit ihren Familien leben. Als nächsten Schritt weiteten wir unsere Berufsausbildungsprogramme aus, mittlerweile haben 1.410 Menschen eine Ausbildung bei uns absolviert – und 226 von ihnen haben im Anschluss sogar ihr eigenes Unternehmen gegründet und geben ihr Wissen nun auch an Mitarbeiter weiter. 2019 haben wir in Guabuliga eine Marktstruktur gebaut, wo alle Menschen ihre Produkte verkaufen können. Wir haben also das dörfliche Unternehmertum und die Wirtschaft mit den Ausbildungen und der Marktstruktur angekurbelt.

Tips:Gibt es etwas, das besonders in Erinnerung bleibt?

Obereder: Für mich verkörpert Mavis (heute 26) die ungeheure Begabung und den Ehrgeiz, der in den Kindern Nordghanas schlummert und nur darauf wartet, bei ausreichender Förderung zum Vorschein zu kommen. Mavis lernte ich mit zehn Jahren im Waisenhaus kennen. Damals sprach sie noch kaum Englisch, ich durfte sie während meines Praktikums unterrichten. Sie war unglaublich wissbegierig. Wir konnten ihr den Schulbesuch ermöglichen und letztes Jahr konnte sie sogar einen Universitätslehrgang abschließen – als beste Studentin der gesamten Universität.


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