Schmatz: „Es gibt keine intensivere Einladung zu leben als den Tod“
ARBESBACH. Gerade in der jetzigen Herbstzeit wird die Vergänglichkeit umso präsenter. Warum man den Tod in sein Leben lassen soll, warum es keine intensivere Einladung zu leben gibt, als den Tod und warum er bereits seinen Namen am Familiengrab eingravieren hat lassen, das erzählte Sterbebegleiter und Buchautor Franz Schmatz bei einem Vortrag in Arbesbach, der wahrlich berührte.
Vor dem Tod muss niemand Angst haben, meint Franz Schmatz. Wohl aber vor dem Gedanken, nicht richtig gelebt zu haben. Sagt einer, der dem Tod selbst ein Schnippchen geschlagen hat. Der heute bekannte Psychotherapeut, Theologe und Universitätsdozent erkrankte während seiner Studienzeit an Krebs und kämpfte fünf Jahre lang ums Überleben.
„Hier ist mir bewusst geworden, dass die Begrenztheit der Zeit die Kostbarkeit ausmacht und dass es keine intensivere Einladung zu leben gibt als den Tod.“ Diese prägende Erfahrung ebnete ihm auch den Weg auf dem - damals noch sehr unbekannten - Gebiet des Sterbebegleiters. So hat er bis heute rund 4.000 Menschen auf ihrer letzten Wegstrecke begleitet und dabei so einiges erlebt.
„Leben - jetzt!“
„Mich erschüttert es, dass so viele Erwachsene angesichts ihres nahen Todes sagen, dass sie eigentlich nicht wirklich gelebt haben, dass sie am Leben vorbeigelebt haben, dass sie funktioniert haben“, so Schmatz. So begleitete er einen 58-jährigen Mann, der auf ein paar Blättern Papier seine Träume für die Pension aufgeschrieben hat. „Dieser hat schließlich die Blätter zerrissen, es muss eine sehr bittere Situation gewesen sein, dass er nicht früher begonnen hat, sich seine Träume zu erfüllen“.
Es ist hinlänglich bekannt, dass unsere Zeit begrenzt ist und dann vergeuden wir sie mit allen möglichen Dingen, „eigentlich ein Wahnsinn, oder?“ fragt Schmatz in die Runde.
Stetiges Spannungsfeld
Die Polarität von Leben und Tod, von Werden und Vergehen gehöre zum Universum, seitdem es dieses gibt. „Wohin wir auch schauen, überall haben wir die Spannung zwischen den zwei Polen, die Kunst besteht aber darin, nicht einen zu verdrängen, wie wir es heute vielfach tun, sondern ihn hereinzuholen.“ Schmatz erzählt von einer Frau, die durch Unfall und Krebs bereits zwei Kinder verloren hat. Zuvor umgeben von vielen Bekannten und Freunden, fühlt sie sich jetzt einsam. „Heute interessiert sich niemand mehr für mich, aber wer mag denn schon eine Trauernde?“, zitiert Schmatz die Mutter.
Gleichzeitig wäre es wichtig, den Tod herauszuholen aus der Ecke von Schuld und Sünde, wo ihn die Religion bis heute gerne platziere. Es sei spannend, Menschen zu begleiten, die am Ende auf ihr Leben hinschauen. „Da sind sie radikal ehrlich, der Tod reißt auch die letzte Maske runter“, weiß Schmatz. „Und es ist unglaublich, wie Menschen oft in den letzten Tagen ihres Lebens das wirkliche Verkosten genießen lernen.“
Noch einmal richtig genießen
So erzählte Schmatz von einem pensionierten Weinhauer, der noch einmal einen Schluck Rebensaft probieren wollte, im Klinikum allerdings nicht den Mut dazu fand. Franz Schmatz ermöglichte ihm diesen Wunsch: „Ich war schon einige Male auf Weinverkostungen, habe allerdings noch nie einen Menschen erlebt, der so verkostet hat wie dieser alte Weinhauer kurz vor dem Sterben. Wie er sich bedankt hat, wie seine Augen gestrahlt haben und wie man miterleben durfte, was genießen heißt.“
Oder eine Frau, die wenigstens noch einmal den bitteren Beigeschmack der Chemotherapie mit einem geliebten Stück dunkler Schokolade übertünchen wollte, allerdings nicht mehr gut schlucken konnte. Mit Unterstützung von Franz Schmatz gelang ihr das schließlich, die tiefe Freude und Dankbarkeit, die dem Sterbebegleiter daraufhin entgegenströmte, ist ihm unvergesslich. Kurz darauf im Restaurant sitzend, „bekommt man das Gefühl, dass die Menschen um einen schon tagelang nichts gegessen haben und direkt aus einer Hungersnot kommen“, beschreibt Schmatz und meint weiter: „Müssen wir wirklich ständig so gehetzt sein?“ Denn auf der anderen Seite würden so viele jammern und klagen, dass sie so wenig erleben. „Die Menschen stürzen sich in Süchte, gieren nach mehr Leben, aber sie finden es nicht.
Genau das meint Kübler-Ross wenn sie sagt, „geht doch mit den Sterbenden ein Stückchen““: „Wenn du dich mit Sterbenden auf den Weg machst, dann wirst du leben lernen.“ Elisabeth Kübler Ross
Schmatz gab an diesem Abend den Impuls mit nach Hause, das Leben möglichst bewusst zu leben und in vollen Zügen zu genießen. Die Natur mit allen Sinnen zu erfahren zählt für ihn ebenso dazu, wie kulinarische Genüsse oder auch Sexualität.
„Die Kunst zu leben, besteht darin, die Vergangenheit langsam auszuatmen, die Gegenwart tief einzuatmen um Luft für die Zukunft zu bekommen“, gab der Referent ein Zitat wider. Vielfach aber hänge man heute endlos in der Vergangenheit, beschäftigt sich mit alten Geschichten, die ohnehin nicht zu verändern seien.
„Auch Mist ist fruchtbar“
Auch Veränderungen, Herausforderungen oder Krisensituationen haben ihr Positives, jede Erfahrung, die man mache, sei bedeutsam, auch die wo wir Mist gebaut hätten. „In der Natur setzen wir den Mist zum Düngen ein, über den Vorgang des Düngens leistet auch der Mist einen Betrag zur Frucht, die später hervorgebracht wird.“
Name am Grab bereits eingraviert
Der Kremser Theologe und Psychotherapeut verrät dem Arbesbacher Publikum abschließend, dass er sich am Familiengrab bereits seinen Namen eingravieren hat lassen. „Das ist für mich jedes Mal eine intensive Einladung zu leben und eines Tages wird das andere Datum dort stehen.“ Auch für Schmatz war der Abend in Arbesbach etwas besonderes, hat er hier doch 1976 seinen allerersten Vortrag gehalten.
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