Starporträt Ulrich Seidl: Ein Streifzug durch die Abgründe der menschlichen Seele
HORN. Er schockiert und provoziert und nimmt mit seinen perfekt arrangierten bildlichen Darstellungen den Zusehern die rosarote Brille von der Nase. Der renommierte Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent Ulrich Seidl, der seine Kindheit in Horn verbrachte, gibt im Interview mit Tips Einblick in seine Welt und sein künstlerisches Schaffen.
In den Werken von Ulrich Seidl geht es nicht um die schöne heile Welt sondern um die Wahrheit mit all ihren schonungslosen Facetten. Bekannt ist der Künstler für seine markanten Bildereinstellungen. Bilder, die im Gedächtnis bleiben. In seinen Filmen ist Bild für Bild durchgestaltet und minutenlange Standbild-Einstellungen reihen sich aneinander. Ein biografischer Abriss Ulrich Seidl wurde 1952 in Wien geboren, wuchs in Horn auf wo er die Volksschule und auch das Gymnasium besuchte. Er studierte an der Filmakademie Wien. Sein Regiedebüt gab er 1980 mit dem Kurzfilm „Einsvierzig“. Mit seinem zweiten Werk „Der Ball“ gab er Einblicke in das Kleinstadtleben der Stadt Horn. Neben achtzehn Kinofilmen und vier Fernsehproduktionen hat Seidl auch ein Theaterstück und ein Theaterprojekt verwirklicht. Er wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. 2013 gab es auch eine Fotoausstellung, die in Wien, Berlin, Kiew und Bratislava gezeigt wurde. Stets erregen seine Filme Aufsehen. Sein filmischer Stil erinnert oft an Dokumentationsdramen. Dabei soll ein inszeniertes (Laien-) Schauspiel wie dokumentierte Realität wirken. Doch Seidl ist in seinen langen und distanzierten Einstellungen weit poetischer und zurückhaltender. Für viele gilt er als Extremfilmer, weil er mit radikaler Aufgeschlossenheit porträtiert. Dabei arbeitet er mit formal zum Teil verstörenden Mitteln – lange, starre Einstellungen, harte Schnitte und Distanz. Tips: „Als preisgekrönter Regisseur führen ihre Wurzeln nach Horn. Würden Sie sagen, dass Sie Ihr Leben im Waldviertel geprägt hat?“ Ulrich Seidl: „Es sind die Wege und die Werte, die einen Menschen prägen und zu dem machen, der er ist. Ich bin natürlich geprägt von der Kleinstadt Horn und habe mit meinem Werk „Der Ball“ dort auch einen – heute – legendären Film geschaffen. Dabei habe ich versucht, anhand des Schulabschlussballes der Gymnasiasten ein Bild dieser Stadt zu zeichnen. Mit diesem Geschehen habe ich mich quasi auch verewigt in meiner Heimatstadt.“ Tips: „Wie kam es damals zu dem Eklat, den dieser Filmstreifen nach Veröffentlichung provozierte?“ Ulrich Seidl: „Die Lehrer mochten weder Struktur noch Schnitt des Films und dachten, der Film würde dem Ruf der Akademie schaden. Das damalige Lehrpersonal verlangte, dass Studenten das vermittelte Wissen unangefochten umsetzen. Ich finde nach wie vor: in einer künstlerischen Ausbildung muss man zwar eine gewisse Grundausbildung bekommen, aber die eigentliche Aufgabe ist, die jeweiligen Talente individuell zu fördern. Jedem muss die Möglichkeit offen stehen, eigene Stärken und Schwächen zu entdecken um zu erkennen: wohin kann ich mich entwickeln. Nachdem mir das damals nicht möglich war, indem man mich quasi bestraft und meinen Werdegang boykottiert hat, musste ich gehen. „Der Ball“ ist ein berühmter Film geworden, wurde vom Lehrpersonal aber mit „Nicht Genügend“ bewertet, das zeigt schon die Diskrepanz: das hier Dinge nicht verstanden wurden. Jede Kunst ist einer Entwicklung unterlegt und nicht feststehenden Regeln.“ Tips: „In Ihren Filmen zeigen Sie scheinbar schonungslos die unterschiedlichsten Fassaden menschlicher Facetten. Wie bringt man Menschen dazu, sich vor der Kamera – buchstäblich oder auf andere Weise – so zu „enthüllen“?“ Ulrich Seidl: „Schon in meiner intensiven Vorarbeit suche ich einen guten Zugang zu meinen Darstellern. Schließlich gehe ich ja nicht in eine Wohnung hinein und sage: macht“s das oder jenes – das würde nicht funktionieren. Bevor ich eine Filmkamera aufstelle, herrscht schon ein Vertrauensverhältnis. Aus dem heraus versuche ich etwas darzustellen, was in ihnen auch angelegt ist, das sie also selber sind und darstellen. Insofern habe ich nie Probleme mit dem Gezeigten. Weil sich die Leute ja so präsentieren wie sie sind. Es gibt aber auch manche Zuschauer, die ein Problem mit dem Gezeigten haben. Das liegt aber immer an einem selbst – wenn man die Menschen bewertet oder mitunter auch abwertet hat man ein Problem. Weil man sich vielleicht selber darin wiederfindet. Es sind schließlich keine Randexistenzen die ich zeige, sondern sie repräsentieren einen bestimmten Durchschnitt und auch Meinungen und Eigenschaften, die uns allen nicht fremd sind. Genau so funktionieren meine Filme. Sonst wäre das ein wirklich kurzes Vergnügen – wenn die Zuschauer dann sagen „Naja, das sind ja nur ein paar Trottel“ (lacht). Mir geht es schon darum, dass man davon verstört ist, weil man darin gewisse Wahrheiten erkennt. Aus diesem Grund sind die Filme auch so authentisch. Man weiß oft nicht, worin man die Werke einordnen soll. Sind das Spielfilme, sind das Dokumentarfilme – was ist echt daran? Genau das ist meine Absicht. Damit man sich als Zuschauer auch in dieser Welt wiederfindet. Tips: „Ist das auch der Grund warum Sie als Fotograf in das Genre des Filmemachens wechselten?“ Ulrich Seidl: „Als Fotograf hab ich gesehen, bring ich es nicht weit. Die Filmerei ist etwas ganz anderes. Eine Teamarbeit, bei der man sich lange mit Menschen auseinandersetzt. Ich bin als Künstler aber ein Mensch, der immer von dem Bild ausgegangen ist. Somit ist mir die Fotografie nach wie vor sehr nahe. Eine Standbilder-Ausstellung war ein lange gehegter Wunsch, den ich mir mit meiner ersten Ausstellung zur „Paradies-Trilogie“ erfüllen konnte. Nun folgt eine weitere in der OstLicht Galerie. Nachdem ich versuche, Bilder zu kreieren, die Unikate sind, wozu es nichts Vergleichbares gibt, war es auch ein Anliegen zu versuchen, die Bilder aus dem Film herauszunehmen. Sie so zu isolieren und ihnen damit eine eigene Bedeutung zu geben. Die Bilder im Film stehen immer in einem Zusammenhang. Und ich wollte wissen: was ist, wenn man die Bilder alleine für sich sprechen lässt. Und das Ergebnis ist sehr interessant (lacht).“ Tips: „Wirkliche Erfolge erfuhren Sie erst durch ihren Film „Hundstage“, für den Sie in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurden. Glauben Sie, dass es als heimischer Künstler schwer ist, anerkannt zu werden?“ Ulrich Seidl: „Ja, das birgt eine Wahrheit in sich. Ich habe lange Zeit Schwierigkeiten gehabt Filme machen zu können. Es war ein langer Weg. Ja, ich glaube der Prophet im eigenen Land ist nichts wert. (lacht) Wäre ich nur in Österreich geblieben, hätte ich diese Erfolge nicht feiern dürfen.“ Zwei- bis dreimal im Jahr besucht Seidl seine ehemalige Heimatstadt. Auf die Frage, ob es eventuell die Chance gäbe, dass er auch in Horn eine Ausstellung auf die Beine stellen würde, meint er verschmitzt: „Da muss mir jemand ein Angebot machen. So etwas will schließlich finanziert werden. Dann aber sehr gerne.“
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