Gewalt gegen Frauen: Mut für den Weg aus der Abhängigkeit in Beziehungen
BEZIRK KIRCHDORF. Nach mehreren Morden an Frauen Anfang des Jahres in Österreich hat die Bundesregierung ein Bündel an Maßnahmen präsentiert. Tips sprach mit Martina Jawna, seit zwei Jahren Psychosoziale Beraterin bei der Frauenberatungsstelle BERTA in Kirchdorf.
Tips: Mit welchen Anliegen kommen Frauen zur Beratung?
Martina Jawna: Beispielsweise bei Entscheidungen, Veränderungen oder Krisenbewältigung wie Schulabschluss, Berufswechsel, Wiedereinstieg in die Arbeit nach Karenz, Krankenstand oder Invaliditätspension. Das macht zirka ein Drittel aus. Der große Teil der Beratungen beschäftigt sich mit Problemen in Beziehungen aller Art – vor allem solche, die die Frau in eine Abhängigkeit drängen. Und wir begleiten die Frauen dabei, den Mut zu finden, diese beklemmenden Abhängigkeiten loszuwerden.
Tips: Welche sind das?
Jawna: Oft ist das finanzieller Natur. Die Frauen haben häufig Ängste, es nicht alleine zu schaffen und die Existenzsicherung zu verlieren. Der Gewinn der persönlichen Freiheit kommt dann oft zu wenig zum Tragen.
Tips: Gibt es Frauen, die anfälliger für eine Abhängigkeit sind?
Jawna: Jeder Frau, die zu wenig an sich selbst glaubt, kann es leichter passieren, dass sie in eine Abhängigkeit gerät. Eine Rolle spielt auch der Freundeskreis und der Halt in der Familie. Je älter die Frauen sind, desto eher besteht die Hemmung, einen Neustart zu schaffen.
Tips: Ist Gewalt ein Thema im Bezirk Kirchdorf?
Jawna: Gewalt war, ist und wird auch immer ein Thema sein. Leider muss es oft erst zur offensichtlichen und groben Gewalt kommen, damit die Frau Mut zum Handeln findet. Vorher sind sie eher bereit, den Täter zu verstehen oder schreiben die Schuld sich selbst zu. Frauen sind Meisterinnen darin, Begründungen zu finden und Verständnis aufzubringen für jemanden, der ihnen weh tut. Und es muss tatsächlich mehrmals über die Grenzen gehen, damit sie handeln.
Tips: Wo fängt Gewalt an?
Jawna: Ich finde, jede Unterdrückung ist schon eine Gewalt, auch wenn es psychisch oder verbal ist. Wenn sich ein Mensch in einer Situation befindet, in der er nicht frei entscheiden und sich daraus nicht befreien kann und wenn der Täter diesen Umstand ausnutzt, dann ist es Gewalt. Die Steigerung sind dann Verdächtigungen und Angstmacherei bis hin zu körperlicher Gewalt. Weiters gibt es auch eine gesellschaftliche Gewalt, ein feindliches Denken, dann wird das Opfer vorverurteilt. Es ist sehr schwierig für jemanden, der Gewalt erfahren hat, sich davon zu erholen.
Tips: Wie löst man sich aus einer Gewaltbeziehung?
Jawna: Man muss den Mut finden, für sich selbst einzutreten, sich nicht zu schämen und offen darüber zu sprechen. Verbündete helfen dabei, sich nicht alleine zu fühlen.
Tips: Wie schätzen Sie das Angebot für Gewaltopfer im Bezirk ein?
Jawna: Gemeindeämter, Bezirkshauptmannschaft und Gewaltschutzzentrum sind in Kirchdorf sehr zuvorkommend. Schwierig haben es Frauen ohne regelmäßiges Einkommen und ohne Ausbildung bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Wir haben zum Glück drei Übergangswohnungsplätze. Hier können Frauen – auch mit Kinder – bis zu einem halben Jahr wohnen.
Tips: Werden diese Übergangswohnungen genutzt?
Jawna: Ja, alle sind derzeit belegt und wir hätten auch Bedarf für mindestens drei weitere.
Tips: Wie verhält man sich, wenn man jemanden kennt, der von Gewalt betroffen ist?
Jawna: Die Devise ist: ,Hart zum Problem, weich zum Menschen'. Damit meine ich, dass ich den Kontakt suche und meine Meinung ausdrücke: ,Ich bin damit nicht einverstanden und halte zu dir. Ich möchte dich ermutigen, dich davon zu befreien – aber ich verurteile dich nicht.' Bei Zeugen von konkret ausgeübter Gewalt, appelliere ich an deren moralisch ethische Haltung, die Polizei anzurufen.
Tips: Was braucht es vonseiten der Politik, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen?
Jawna: Ich würde mir von der Politik wünschen, dass sie ehrlich ist und für die Menschenrechte eintritt – egal, um wen es geht. Gefährlich sind Zuschreibungen zu Gruppen. Es mag schon stimmen, dass Menschen mit Migrationshintergrund eine andere Art haben, mit Konflikten umzugehen oder sich die Frau anders positioniert. Aber indem die Öffentlichkeit die Frau einer Gruppe zuschreibt und sie keine wertfreie Begegnung erlebt, wirft sie das wieder mehr ins bekannte Milieu zurück.
Lokalpolitisch wäre mehr Transparenz nötig – beispielsweise sollten Frauen konkretere Informationen über die Kinderbetreuung und Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten erhalten.
Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.
Jetzt anmelden