„Wir sind am Limit“ – Obdachlosenhilfsaktion steht vor dem Stillstand
ANSFELDEN/LINZ. In Ansfelden stemmt ein kleiner Verein Woche für Woche Hilfe für Hunderte Menschen, die nichts mehr haben. Doch jetzt geraten auch die Helfer selbst an ihre Grenzen – körperlich, seelisch und finanziell. Walter Kreische, Obmann der Obdachlosenhilfsaktion, spricht offen über Armut, die niemand sehen will, und über einen Alltag, der längst zu viel verlangt.
Kartons mit Nudeln, Konservendosen und Hygieneartikeln stapeln sich neben Kleidersäcken, Schlafsäcken und Trolleys im Lager der Obdachlosenhilfsaktion in Ansfelden. Hier bereiten Walter Kreische und sein kleines Team jede Woche den sogenannten Verteil-Donnerstag in Linz vor. Den Tag, an dem Menschen versorgt werden, die kaum noch wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.
„Es sind nicht nur Obdachlose“, sagt Kreische ruhig. „Da sind auch Wohnungslose, Mindestpensionisten, Menschen mit 100 oder 200 Euro im Monat, Frauen nach einer Scheidung, Kranke, die durchs System fallen.“ Er erzählt von einer Frau, die nach vier Krebserkrankungen keine Pension bekommt, weil sie ihr Leben lang nur Teilzeit arbeiten konnte. „Sie lebt von 400 Euro Unterhalt. Wasser und Strom wurden ihr abgedreht. Solche Schicksale sind keine Ausnahme.“
Armut, die keiner sehen will
Rund 1.000 Menschen in Oberösterreich werden derzeit regelmäßig von der Obdachlosenhilfsaktion unterstützt. Noch vor wenigen Jahren belieferte der Verein über 40 Einrichtungen in ganz Österreich – etwa 3.800 Menschen. Doch die Spenden sind eingebrochen. „Die Teuerungen spüren alle. Viele können sich das Leben selbst kaum noch leisten, und das Erste, woran gespart wird, sind Spenden“, sagt Kreische. Für den Verein bedeutet das: weniger Hilfslieferungen, mehr Absagen, mehr Menschen, die leer ausgehen.
Ein Verteil-Donnerstag kostet rund 3.500 Euro. Obst und Gemüse, Brot, Hygieneartikel, Treibstoff, Verpackung – alles wird teurer. Trotzdem bleibt der Anspruch derselbe: „Unsere Spenden kommen direkt bei den Leuten an. Da geht kein Cent in Bürokratie verloren.“ Kreische selbst ist oft der Einzige, der erreichbar ist, wenn die Polizei, ÖBB-Security oder der Ordnungsdienst mitten in der Nacht anrufen, weil jemand friert oder keinen Platz findet. „Dann fahre ich nach Linz, hole unser Notpaket und bringe es hin. Wir machen das gern, aber es ist nicht unser Job – es ist einfach Menschlichkeit.“
Von der Straße zurück – und wieder für die Straße
Dass Kreische sich so für andere einsetzt, hat mit seiner eigenen Geschichte zu tun. „Ich war selbst obdachlos. Drei Wochen lang, mit 18. Im Sommer. Ich weiß, was das bedeutet – und ich weiß auch, was es im Winter heißen würde.“ Vielleicht ist das der Grund, warum er jeden Tag draußen bei den „Schützlingen“, wie er sie nennt, unterwegs ist.
„Viele glauben, das seien Alkoholiker oder Gesindel. Aber das stimmt nicht. Da sind blitzgescheite Menschen dabei – Akademiker, Techniker, Leute mit Ausbildung. Die meisten sind einfach an einer Kreuzung falsch abgebogen und hatten niemanden, der sie aufgefangen hat.“ In Österreich gelten laut Statistik 29.000 Menschen offiziell als obdachlos – die Dunkelziffer liegt laut Kreische bei bis zu 10.000 mehr. Wohnungslosigkeit ist darin nicht einmal enthalten. „Das sind Zahlen, die wir gern verdrängen. Aber sie sind da. Jeden Tag.“ Die Obdachlosenhilfsaktion beliefert außerdem auch Frauenhäuser mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln.
Ehrenamt am Anschlag
So viel Herzblut wäre nicht möglich ohne freiwillige Helfer – doch genau die fehlen immer öfter. Nur vier bis fünf Personen stemmen den wöchentlichen Betrieb, obwohl der Verein 28 Mitglieder zählt. „Wir brauchen für den Verteil-Donnerstag mindestens sechs Leute – das ist das absolute Minimum, damit niemand überfordert wird“, sagt Kreische. Doch häufig ist er unsicher, ob genug Helfer kommen. „Diese ständige Ungewissheit macht krank. Ich habe mittlerweile großen Stress vor jedem Donnerstag.“
Auch die Samstage, an denen Spenden angenommen und das Lager wieder aufgefüllt wird, sind nur zu dritt besetzt – zwei ältere Damen und Kreische selbst. „Eine von ihnen ist 74. Ohne sie könnten wir längst zusperren.“
„Wir sind am Limit“
In einem offenen Brief an Unterstützer fand Kreische zuletzt klare Worte: „Wir können nicht mehr einfach weiterwurschteln.“ Die Vereinsmitglieder stoßen an ihre Grenzen, körperlich wie psychisch. Manche Aktionen müssen eingeschränkt, manche vielleicht sogar ausgesetzt werden. Trotz Erschöpfung gibt er nicht auf. „Wenn ich sehe, wie jemand dankbar eine warme Suppe entgegennimmt, dann weiß ich, warum ich das mache. Aber irgendwann braucht auch der Helfer Hilfe.“
Wer den Verein unterstützen möchte – mit Zeit, Spenden oder beidem – ist herzlich willkommen. Infos und Kontakt gibt es unter www.obdachlosenhilfsaktion.at.
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