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„Entweder du versucht dein Glück und fliehst oder du stirbst“

Thomas Lettner, 28.07.2015 20:00

Fatih S. (Name von der Redaktion geändert) bewohnt seit Anfang des Jahres gemeinsam mit anderen Asylsuchenden aus fünf verschiedenen Nationen ein Mehrparteien-Haus in Neuhofen. Der syrische Kriegsflüchtling erzählte Tips vom Krieg in seiner Heimat, der monatelangen Flucht mit der Tochter und der schwangeren Frau durch mehrere Länder sowie der Angst vor einer ungewissen Zukunft.

In Neuhofen gibt es derzeit 28 Asylwerber aus fünf verschiedenen Ländern. Foto: Weihbold
In Neuhofen gibt es derzeit 28 Asylwerber aus fünf verschiedenen Ländern. Foto: Weihbold

Fatih S. macht keinen Hehl da­raus, wie ernst die Lage in seinem Heimatland ist. „In Syrien hat man zwei Möglichkeiten: Man versucht sein Glück und flieht oder man stirbt.“ Um was es in dem Krieg genau geht, weiß er selbst nicht. Überall seien verschiedenste Fahnen zu sehen, chinesische, russische, afghanische und Fahnen der Freien Armee. Nur den Hauptschuldigen am Krieg meint Fatih S. zu kennen. Das ist für ihn ganz klar die syrische Regierung. Diese sorge dafür, dass der Tod in Syrien ein allgegenwärtiger, treuer Begleiter der Bürger ist. Während Fatih S., sein Bruder und ein Freund auf einer Straße in ihrer Heimatstadt unterwegs waren, traf eine Granate ein Haus in ihrer Nähe. Durch Glück überlebte er mit einer Kopfverletzung. Auch sein Bruder überlebte, der Freund hingegen wurde getötet. Eine Verschnaufpause im Kampf ums nackte Überleben gab es keine. „Ich hatte die Möglichkeit, in ein Krankenhaus der Regierung zu gehen“, erzählt der 28-Jährige. „Aber dort wird man umgebracht.“ Aus Mangel an Alternativen brachten ihn sein Bruder und andere Helfer in ein Krankenhaus der Freien Armee, das jedoch sehr schlecht ausgestattet war. Fatih S. floh anschließend in eine andere Stadt, in der die syrische Regierung keine Macht hatte. Damit brachte er wiederum seine Frau und seine kleine Tochter in ernsthafte Gefahr. Denn bei Flucht kennt die Regierung kein Pardon.

Odyssee durch halb EuropaZwei Monate lang versuchte Fatih S., seine Familie aus der Heimatstadt herauszubringen. Schlussendlich gelangte er in den Nachbarstaat Jordanien, wo er sich mit seiner Gattin und seiner kleinen Tochter traf. Die Flucht ging weiter auf die griechische Insel Chios. Dort wurde die Familie in ein Flüchtlingslager gebracht, wo man sie mit Essen und Kleidung versorgte. Auch Ausweise und Papiere gab man ihnen. Weiter ging es zur mazedonischen Grenze. In Mazedonien versteckten sich Fatih S., seine Frau und seine Tochter tagsüber, um nicht aufgegriffen zu werden. Um nach Serbien zu gelangen, mussten sie ein Gebirge überqueren, in dem sie drei Tage in der Kälte und ohne Orientierung umherirrten. Irgendwann stießen sie auf Einheimische, die die hochschwangere Frau sahen und die Familie mit dem Auto nach Belgrad brachten. Die Tochter kam mit Fieber ins Krankenhaus, die Mutter blieb bei ihr. Fatih S. lernte unterdessen durch Zufall einen Araber kennen, der es schaffte, ihn in einem Flüchtlingslager unterzubringen. Per Bus ging es über Ungarn nonstop weiter nach Österreich. Nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in Traiskirchen kam die Familie schließlich nach Neuhofen. Kurz darauf erblickte die jüngste Tochter von Fatih S. in Linz das Licht der Welt.

Kommunikation mit Familie über FacebookÖsterreich war für Fatih S. von Anfang an das Wunschland. „Österreich ist ein zivilisiertes Land und das Volk ist sehr nett, eigentlich noch viel netter als ich vorher angenommen habe“, sagt er. Auch in Neuhofen wurden Fatih S. und seine Familie sehr gut aufgenommen. Das ist nicht selbstverständlich, denn in anderen Ländern erlebte er körperliche Gewalt an Asylwerbern hautnah mit. Was Fatih S. momentan am meisten bedrückt, ist das lange Warten auf die Aufenthaltsgenehmigung und die Angst vor der ungewissen Zukunft. Dabei gebe es Syrer, die alleine und später als er und seine Familie nach Österreich kamen, aber schon eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen haben. Auch um seine Familie in Syrien macht er sich Sorgen. Sie lebt in einem abgegrenzten Areal inmitten eines Gebiets, das von der Regierung kontrolliert wird. Manchmal kommuniziert er mit den Verwandten über Facebook, vorausgesetzt, es steht ihnen Strom zur Verfügung. Jemals wieder nach Syrien zurückkehren will Fatih S. nicht, höchstens auf Besuch. „Niemand kann sich vorstellen, was da los ist, außer man hat es selbst gesehen“, sagt er. Für sich und seine Familie wünscht er sich nichts sehnlicher, als nun in Österreich ein neues Leben zu beginnen.

Umgang mit VorurteilenDie Frage, warum meist junge Männer aus Syrien nach Österreich kommen, kann Fatih S. unschwer beantworten. „Allein ist man freier und kann leichter flüchten. Die, die verheiratet sind, lassen ihre Familie beispielsweise in Jordanien und holen sie später nach.“ Dass manche befürchten, unter den Flüchtlingen gebe es IS-Terroristen, die gekommen sind, um Österreich zu unterwandern, kann Fatih S. nicht nachvollziehen. Die IS ist für ihn eine internationale Organisation, jedoch keine syrische. Genauso wenig versteht er diejenigen, die freiwillig nach Syrien reisen, um sich dort den Regierungstruppen anzuschließen. „Sie werden über die dortige Situation überrascht sein und sofort wieder zurück wollen. Aber dann gibt es kein Zurück mehr für sie.“


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