
OÖ/LINZ. „Man kann an Mobbing und Gewalt nicht nicht beteiligt sein“ – das ist die Prämisse der Präventionsarbeit der Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes OÖ (KiJA). Der Themenbereich Mobbing und Ausgrenzung steht mittlerweile leider bei den Beratungen der KiJA an erster Stelle. Am Mittwoch findet in Linz eine Fachtagung der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KiJA OÖ) des Landes OÖ unter anderem für Lehrkräfte statt.
Der zwölfjährige Michael wird ständig von Klassenkollegen verspottet, es gibt sogar eine WhatsApp-Gruppe „Wie wir Michael loswerden können“. Er zieht sich immer mehr zurück und will nicht mehr in die Schule gehen, doch die abwertenden Fotomontagen und Sprüche in den Sozialen Medien erreichen ihn rund um die Uhr.
Seit Lena (15) mit Tom (17) Schluss gemacht hat, postet er immer wieder in einer großen WhatsApp-Gruppe Snapchat-Fotos, auf denen Lena leicht bekleidet am Bett liegt, mit eindeutigen Kommentaren. Die Kommunikation in der Gruppe beinhaltet schlimme sexuelle Drohungen.
Das sind zur zwei der Beispiele aus dem Beratungsalltag der KiJA OÖ.
Ein soziales Phänomen
„Es gibt nie die eine Erklärung, keine grundlose Gewalt. Mobbing und Gewalt sind nie nur ein individuelles Problem, sondern immer auch ein soziales Phänomen“, so Kinderschutz-Landesrat Michael Lindner (SPÖ). Wesentliche Faktoren seien, ob es auch Gewalt gegen Kinder und Frauen in der eigenen Familie gebe bzw. die Einstellung zur Gewalt innerhalb der Familie. 75 Prozent aller chronisch straffälligen jugendlichen Gewalttäter seien in ihrer Kindheit gedemütigt, geschlagen, vernachlässigt worden. Zweiter Faktor sei die Einstellung und der Umgang mit Gewalt im sozialen Umfeld, die Peergroup und die Gesellschaft selbst.
„Die Schule ist ein Ort des Wissenserwerbs, vor allem aber auch ein Begegnungsort, an dem das Lernen sozialer Normen stattfindet. Schule ist für manche aber auch ein bedrohlicher Ort“, macht Kinder- und Jugendanwältin des Landes OÖ Christine Winkler-Kirchberger deutlich. Sie stellt auch klar: Die Aussage „Wer gemobbt wird, ist doch selber schuld“ ist falsch. „Gemobbt wird, wer anders ist, sich nicht wehren kann oder will.“ Gewicht, Aussehen, Herkunft oder Hautfarbe seien oft Gründe, die Jugendliche angeben. Und klar sei auch: „Mobbing hört nicht von selbst auf, es muss eingegriffen werden.“
Cyber-Mobbing nimmt stark zu
Nicht zuletzt aufgrund von Corona hat sich Mobbing vom Pausenhof zunehmend in den digitalen Raum verlagert. Waren es vor der Pandemie rund ein Viertel der befragten Jugendlichen in der Jugendstudie „Recht auf Schutz vor Gewalt“, die angaben, selbst schon auf Social Media beleidigt worden seien, sind es laut der Safer Internet „Cyber-Mobbing-Studie“ 2022 schon knapp die Hälfte. „Weibliche Jugendliche werden dabei öfter zu Cyber-Mobbing Opfern als männliche Jugendliche“, verweist Winkler-Kirchberger darauf, dass Cyber-Mobbing oft mit sexualisierter Gewalt zusammenhänge.
Und über 90 Prozent der Cyber-Mobbing-Betroffenen erleben Mobbing auch im realen Leben.
Bewusstseinsbildung vor Strafrecht
Das Strafrecht habe zwar eine wichtige Normverdeutlichungsfunktion, so die Kinder- und Junganwältin, das Strafrecht alleine reiche zur Präsentation von Gewalt aber nicht aus. Vielmehr sei Bewusstseinsbildung und umfassende Information unerlässlich, gerade bei Gewalt im Netz.
„Man kann an Mobbing und Gewalt nicht nicht beteiligt sein“
Rund 4.000 individuelle Beratungen und Hilfestellungen leistet die KiJA OÖ jährlich, schon rund ein Drittel betreffen Mobbing und Ausgrenzung in der Schule und im Netz, der Themenbereich steht damit an erster Stelle. „Die KiJA OÖ führt mit 25 Trainern jährlich rund 450 Workshops an Schulen und Kindergärten, Elternabende und das Schulentwicklungsprogramm respect@school in ganz Oberösterreich durch“, verweist der Kinderschutz-Landesrat auf die wichtige Arbeit der Kinderrechte- und Kinderschutz-Experten.
Die Prämisse der Gewaltpräventionsarbeit der KiJA OÖ: „Man kann an Mobbing und Gewalt nicht nicht beteiligt sein. Zu- und Wegschauer, Verharmloser ermöglichen und verstärken Mobbing und Gewalt. Sie können es aber beenden und verhindern“, so Winkler-Kirchberger.
Fachtagung „Let’s talk about Mobbing“
Am Mittwoch findet in den Redoutensälen in Linz die Fachtagung „Let’s talk about Mobbing … Gewaltprävention im Spannungsfeld zwischen Bildungsauftrag und Beziehungsarbeit“ statt, in Kooperation mit der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz sowie der Schulsozialarbeit des Landes OÖ/Abteilung Kinder- und Jugendhilfe. „Mit der Fachtagung wollen wir so gut wie möglich vorbereiten, das nötige Handwerkszeug für präventive Arbeit und bei Mobbing oder Gewalt im Klassenzimmer mitgeben“, so Lindner (SPÖ).
Bei der Fachtagung werden Vorträge von Experten, darunter Christoph Göttl, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Traumatherapeut, Graz, sowie Steffen Theel vom Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung, Rheinland-Pfalz, gehalten. Präsentiert wird unter anderem auch der neue KiJA-Film als Lehrmaterial „Ausgegrenzt“ (se. Video), der in Kooperation mit ROSE – evangelisches ORG Linz entstanden ist.
Lehrkräfte können sich die Teilnahme auch als Fortbildung anrechnen lassen, generell sieht Winkler-Kirchberger, dass der Themenbereich verstärkt in die Pädagogik-Ausbildung einfließen müsse.