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Lukas Müller: "Ich wollte ursprünglich nur aufstehen können"

Tips Logo Nicole Dirnberger, 25.01.2022 12:00

OÖ. Sechs Jahre ist  der Sturz von Ex-Skispringer Lukas Müller mittlerweile her. Im Interview erzählt er, was mittlerweile bei ihm möglich ist, wie er sich täglich motiviert und sich wieder aus einem Tief herausholt.

Lukas Müllers Sturz jährte sich heuer zum sechsten Mal. Foto: Thomas Kaserer
Lukas Müllers Sturz jährte sich heuer zum sechsten Mal. Foto: Thomas Kaserer

Tips: Dein Video wo du eigens auf den Trainerturm gehst hat für Aufsehen gesorgt, was ist derzeit bei dir alles möglich?

Lukas Müller: Ja man muss schon sagen, es ist etwas Schönes so etwas präsentieren zu können, weil es ist ja doch irgendwo das Ergebnis von mittlerweile jahrelanger Arbeit. Das Schöne ist, dass ich pro Tag sicher drei oder viermal rauf und runter gegangen bin.

Tips: Wo würdest du sagen stehst du gerade?

Müller: Ich habe es nicht pulverisiert was ich mir vorgenommen habe, ich habe es eliminiert. Ich wollte ursprünglich nur mal aufstehen können, jetzt spaziere ich mit Krücken, teilweise in der Therapie auch ohne Krücken. Im Endeffekt versuche ich immer die Grenze des Machbaren weiter hinauszuzögern. Das macht richtig viel Spaß.

Tips: Deine Willenskraft wünschen sich viele: wo und wie motivierst du dich?

Müller: Ich werde durchaus immer wieder bewundert wegen meiner Willenskraft. Der Rollstuhl steht stellvertrend für alles was mit der Lähmung zu tun hat. Natürlich hat mir diese Lähmung viel Spaß genommen, aber genauso ermöglicht der Rollstuhl mir jetzt ein halbwegs normales Leben mit durchaus anderen, aber trotzdem schönen Erfahrungen. Deshalb ist der Rollstuhl immer eine Mobilitätshilfe, nie eine Einschränkung.

Tips: Wie holst du dich aus den Tiefs raus?

Müller: Schlafen ist eine gute Vorgehensweise. Es gibt Tage, da regt mich eine Sache total auf. Dann schlafe ich und hol mir das noch einmal bewusst her und es berührt mich nicht mehr. Du gewinnst durch den Schlaf die Distanz, dass du wertfrei drauf schaust und einen Lösungsansatz findest. Dieses Rausholen aus einem Loch funktioniert viel mit Ablenkung. Wirklich problematisch wird es dann, wenn das Problem über Tage hinweg so präsent ist, dass es mir immer mehr Energie raubt. Man muss auch sagen, leider eignet sich die emotional geladene Zeit grad sehr, dass man versteckt in einen Strudel hinein gezogen wird. Beispiel: Du regst dich immer über die selben Dinge auf, ohne zu erkennen, dass man die Sache selbst gar nicht ändern kann. So gesehen verschwendet man damit Energie, welche wo anders eingesetzt werden könnte. Energie ist kostbar, gerade wenn man mit Rollstuhl leben muss und man droht nicht, in einen Abwärtsstrudel hineingezogen zu werden.

Tips: Ich habe gesehen, dass du das Surfen für dich entdeckt hast: wie ist es dazu gekommen und ist es jetzt deine Lieblingssportart?

Müller: Ursprünglich haben mich sogar zwei Leute unabhängig voneinander dort hingebracht, unter anderem mein Bruder, der selbst wakeboarded. Ich habe dann mit Florian Dungl telefoniert, der als Pionier das Cagesurfen nach Österreich gebacht hat und davon überzeugt war, ich würde das aufgrund meiner Funktionen schnell erlernen. Ich war mir da zwar nicht so sicher, aber er sollte Recht behalten. Es macht unglaublich viel Spaß – vor allem, mit Querschnittslähmung zu surfen war so undenkbar, und plötzlich ist es so leicht. Der Beweis, dass man manchmal wirklich nichts ausschließen sollte.

Tips: Du bist Vermögensberater in Wels: was machst du da genau und wer kann zu dir kommen?

Müller: Ich bin mittlerweile sechs Jahre in der Branche, damals dort eher zufällig gelandet. Heute bin ich sehr froh drum – nicht nur, dass ich dazu keine Füße benötige, sondern viel mehr einen funktionierenden Kopf – die Tatsache, von Kunden das Vertrauen zu bekommen, in finanziellen Dingen zur Seite stehen zu dürfen, erfüllt vollends und stellt mich vor eine schöne Herausforderung abseits des Sports. Zu mir darf jeder und jede kommen – ganz egal, wo man gerade beruflich oder finanziell steht. Gerade jetzt, in solch wirtschaftlich dynamischen, teils unsicheren Zeiten sollte man sich damit beschäftigen, da das Thema Geld uns quasi täglich beschäftigt und sich das auch in Zukunft nicht ändern wird. 

Tips: Mittlerweile findet man dich immer mehr am Trainerturm: dein neuer Beruf?

Müller: Sagen wir mal so, um den Kopf in einer anderen Richtung zu fordern, sehr wohl. Ich bin schon gefragt worden ob ich nicht öfter für die Vorspringer da sein will und ja, warum nicht. Man weiß ja wirklich nie was kommt, ausschließen tu ich es nicht. Hauptberuflich bleibe ich Vermögensberater und das wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern, weil ich genug Spaß damit habe. 

Tips: Mittlerweile ist der Sturz sechs Jahre her, was hat sich seither getan und wie würdest du rückblickend den Sturz aus heutiger Sicht sehen?

Müller: Es ist mein zweiter Geburtstag und es hat sich viel getan. Ich bin mittlerweile fertiger Vermögensberater und das trotz Querschnittslähmung. Ich bin nach wie vor immer wieder ein wenig in der Öffentlichkeit, eben wegen dieser Geschichte, wegen dem Wings-for-life-world-Run und ich hab den Skisprung-Trainer gemacht. Es ist schön zu sehen, dass es auch Leistungen gibt wie das Surfen oder der WFL-World Run, die ähnlich für einen Menschen mit Querschnitt, oder grade mit Querschnitt zu bewerten sind, wie jemand der weit kommt und normaler Läufer ist. Diese Angleichung zwischen Menschen mit Behinderung und ohne glaube ich, dass schon im Gange ist. Mir macht so etwas zu entdecken sehr viel Spaß. Und das ist etwas was ich haben will. Ich muss nicht besser gestellt werden, ich möchte eigentlich nur gleichgestellt werden. Ein paar coole Sachen habe ich ja und wenn es nur der Behindertenparkplatz ist (lacht).

Tips: Aber siehst du Menschen mit Behinderung mittlerweile gleichgestellt wie Menschen ohne Behinderung?

Müller: Nein sind wir nicht. Das ist ja nicht etwas wo nur ein Hebel umgelegt wird und dann passt alles. Es ist ein Prozess, der wahrscheinlich noch Jahrzehnte dauern wird. Österreich ist da schon noch hinten nach, man muss es so ausdrücken, weil allein im öffentlichen Raum so vieles aufgrund unzureichender barrierefreier Planung unerreichbar bleibt. Aber was man sofort umsetzen kann, ist zumindest dieses Bewusstsein zu schaffen. Wenn jemand da draußen einen Menschen mit Behinderung trifft, trägt es schon allein dann zur Integration bei, den anzusprechen und Hilfe je nach Situation anzubieten. Auch wenn ich oft dankend ablehne, ich freue mich jedes Mal ehrlich darüber, weil auch mir bewusst ist, dass es manchmal dafür eine gewisse Überwindung benötigt.

Tips: In einem Interview sagst du dich mit Gedanken nicht zu sehr lähmen möchtest. Inwiefern lähmen dich Gedanken?

Müller: Und zwar, weil wir uns Barrieren unterbewusst setzen und sie nicht mehr hinterfragen. Bestes Beispiel: Surfen. Es war für mich immer klar, dass ich nicht surfen kann. Und das sind dann diese AHA-Effekte, wo ich selber merke, dass es nicht nötig war mir diese Barrieren erstens zu setzen und zweitens mir aufrecht zu erhalten. Und das gilt aber für alles, das muss gar nichts mit der Lähmung zu tun haben. Diese Barrieren, die wir uns manchmal setzen, die halte ich manchmal schon für notwendig und manchmal für verzichtbar. Es ist immer diese Gratwanderung was schützt mich vor einer gewissen Situation und was hindert mich in neue Sphären aufzusteigen. Dass man die Komfortzone verlässt ist im Endeffekt die Basis einer jeden Weiterentwicklung. Selbst wenn diese Erfahrung rückblickend als Fehler zu qualifizieren wäre.

Tips: In einem Interview sagst du dass du nie auf dich stolz bist, warum kommt das nie vor?

Müller: Weil ich Dinge von mir selbst verlangen kann. Und zwar ich fahr beispielsweise nicht zum Nockstein hin, wenn ich nicht weiß, dass ich da raufkommen kann. Das heißt im Kopf ist das schon programmiert, dass ich dort oben sein werde. Aber dann tatsächlich mit dem Wissen, ich bin mit Krücken, aber querschnittsgelähmt auf den Nockstein gegangen und sehe vor mir das Gipfelkreuz, dann ist das schon sehr geil und ich freue mich kurz darüber. Aber dass ich wirklich stolz auf mich bin und es tatsächlich auch so ausdrücke, passiert meistens dann, wenn ich Dinge für jemand anderen erreiche, sprich eine andere Person durch mein Eingreifen positiv beeinflusst wird. Geteilte Freude ist somit doppelte Freude.

Tips: Aber ist das etwas wo du sagst genau diese Einstellung bringt mich zu dem Erfolg den ich tagtäglich feier?

Müller: Durchaus. Das resultiert sich ein wenig aus dem Sportlerverhalten. Ich hab schon sehr hohe Ansprüche an mich selber. Das heißt nicht dass ich nie zufrieden bin, aber ist ein Ziel erreicht, sollte das nächste schon am Horizont sichtbar sein, wohin die Reise geht. Klar man darf sich selbst auch mal auf die Schulter klopfen, aber man darf sich nicht zu lange darauf ausruhen. Das geht immer weiter und das immer Weitergehen, das ist etwas, was mich seit Jahren verfolgt – teils wortwörtlich. 

Tips: In einem Interview sagst du, dass dich der Sturz einiges gelehrt hat, was genau?

Müller: Das Markanteste ist sicher, dass ich es mittlerweile perfektioniert habe, Dinge von beiden Seiten anzuschauen. Diese Fähigkeit, aus vermeintlich unangenehmen Situationen sehr schnell was Positives gewinnen zu können. Dadurch hat sich die Grundzufriedenheit massiv gesteigert.


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