Tod, Angst und das Leichengift: ein Allerheiligen-Interview
OBERKAPPEL. Am Freitag, 18. November, 19.30 Uhr, ist Martin Prein mit seinem „Letzte Hilfe Kurs“ zu Gast im Pfarrheim in Oberkappel. Prein ist Sterbeforscher und Notfall-Psychologe, außerdem hat er jahrelang als Bestatter gearbeitet. Im Tips-Interview haben wir mit ihm über den Tod und sein Verdrängen, Leichengifte und vieles mehr gesprochen.
Tips: Ihr Arbeitsleben ist quasi dem Tod gewidmet. Wann haben Sie Ihre erste Leiche gesehen?
Prein: Ich war etwa drei, vier Jahre alt. Ich bin bei meiner Oma am Land aufgewachsen und die erste Leiche, die ich gesehen habe, war der Opa beim Nachbar-Bauern. Das war sehr unheimlich, aber nichts Tragisches. Ich habe keinen Schaden genommen und hatte auch keine Alpträume davon.
Tips: Wir wissen alle, dass wir sterben werden. Wenn es dann so weit ist, sind wir trotzdem immer übermannt. Warum?
Prein: Wir sind das einzige Tier auf der Welt, das so intensiv um seinen eigenen Tod weiß. Dieses Wissen würde eigentlich bedeuten, dass wir permanent Todesangst haben müssten. Unser Gehirn hat es aber so eingerichtet, dass wir mit diesem Wissen um unseren Tod trotzdem gut leben können. Einerseits können wir den Tod gut verdrängen, was ein Stück weit notwendig ist, um nicht in ständiger Panik davor zu leben, andererseits können wir den Tod gut verleugnen. Wir wissen zwar, dass wir sterben werden, aber wir wissen nicht wann. Das macht es erträglicher, man spricht von der Gnade der Ungewissheit. Diese Ungewissheit schafft eine Distanz und diese Distanz nimmt ein Teil von uns nicht nur als irgendwann, sondern als nie wahr, womit es sich ganz gut aushalten lässt.
Tips: Tod und Angst, gehört das automatisch zusammen?
Prein: Grundsätzlich ja. Biologisch sind wir auf Leben ausgerichtet und wenn Sie jetzt plötzlich einen starken Stich in der Brust und Atemnot bekommen, wird sich in Ihnen Angst breit machen. Ich will nicht ausschließen, dass es Personen gibt, die diese Gefühle nicht haben, grundsätzlich macht der unmittelbare Tod aber Angst.
Tips: “Memento mori“, „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“. Meistens benutzt man den Spruch, um jemanden daran zu erinnern am Boden zu bleiben. Könnte das nicht Motivation sein, sein Leben sinnvoller zu gestalten?
Prein: Das sagt sich einfach, ich bin mir aber nicht sicher, ob das praktisch umsetzbar ist. Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit dem Tod und kann Ihnen versichern, dass das nicht immer gut ist. Jeden Tag zu sagen „bedenke, das könnte dein letzter Tag sein“, klingt für mich eher nach einer Horrorvorstellung.
Tips: Stirbt ein Mensch, wird er oft sehr schnell als giftig angesehen. Man spricht vom Leichengift. Was ist dran?
Prein: Ein Leichengift gibt es nicht. Interessant ist aber: Menschen bauen dem Leichnam gegenüber oft schnell eine große Ambivalenz auf: einerseits ruhig, friedlich, still, andererseits unrein, gefährlich, giftig. Das gibt es in allen Kulturen. Die Gründe dafür liegen wiederum in der Todesangst, die wir in den toten Körper hineinprojizieren. Wenn keine medizinischen Gründe dagegen vorliegen, kann man den Leichnam jedenfalls länger liegen lassen, der muss nicht innerhalb von zwei drei Stunden aus dem Haus. Der Arzt hat ja auch für die Totenbeschau bis zu 24 Stunden nach der Todesfallanzeige Zeit und in der Stadt kommt es durchaus öfters vor, dass, wenn jemand nach Feierabend stirbt, der Arzt die Totenbeschau erst am nächsten Morgen macht.
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