Expertin des Gehörlosenverbands NÖ gibt Einblicke in die Welt der Gehörlosen und Schwerhörigen
ST. PÖLTEN. Seit 60 Jahren vertritt der Gehörlosenverband NÖ alle gehörlosen und schwerhörigen Menschen sowie Cochlea-Implantat-Träger in Niederösterreich und setzt sich für ihre Anliegen ein. Wo es noch Verbesserungsbedarf gibt, erzählte uns Manuela Lunzer, die Generalsekretärin des Gehörlosenverbands NÖ und Obfrau des St. Pöltner Gehörlosenvereins.
Tips: Was waren die wesentlichen Meilensteine des Gehörlosenverbands NÖ?
Lunzer: Auf Bundesebene war ein Meilenstein die verfassungsrechtliche Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache durch den Nationalrat im Jahr 2005, auf Landesebene die Einführung des NÖ Monitoringausschusses und des Antidiskriminierungsgesetzes. 1989 wurde die Sozialberatung gegründet. Seit 2017 sind erstmals Gebärdensprach-Dolmetscher bei den Parteitagen der Landesparteien in NÖ anwesend. Der NÖ-Landtag hat angekündigt, dass ab Jänner 2019 die Sitzungen in die Gebärdensprache übersetzt und die Kosten vom Landtag übernommen werden.
Tips: Wie barrierefrei ist die Welt der Gehörlosen?
Lunzer: Wenn man das Wort Barrierefreiheit hört, denkt man meistens an Rollstuhlfahrer, aber nicht an Hörlosigkeit. Barrieren gibt es nach wie vor in der Bildung und in der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, vor allem aber auch beim Zugang zu Information und Kommunikation. Die Sendung „Bundesland Heute“ vom ORF NÖ wird seit 30 Jahren ohne Untertitel oder Gebärdensprachdolmetscher ausgestrahlt, obwohl Gehörlose und Schwerhörige genauso das Recht auf Information und politische Bildung haben.
Tips: Was muss sich für gehörlose und schwerhörige Menschen hierzulande verbessern?
Lunzer: Generell gibt es in NÖ einen sehr starken Mangel an Gebärdensprachdolmetschern. Wir können den Bedarf nicht decken und müssen auf Dolmetscher aus anderen Bundesländern zurückgreifen. Handlungsbedarf gibt es auch bei der Kostenübernahme im privaten Bereich. Das Land übernimmt zwar die Kosten für Dolmetscher z.B. bei Behördengängen, jedoch nicht bei Freizeitangeboten wie beispielsweise Kurse an der Volkshochschule oder im Sportbereich. Es wäre wünschenswert, dass unabhängig vom Einkommen sowohl bei Behördengängen, Arztbesuchen, Elterngesprächen usw. als auch im Freizeitbereich die Kosten für einen Dolmetscher vom Land übernommen werden.
Tips: Wie könnte man dem Mangel an Dolmetschern begegnen?
Lunzer: Es muss in NÖ eine Ausbildungsstelle für angehende Dolmetscher für Gebärdensprache geschaffen und vom Land gefördert werden. In NÖ sollte die Österreichische Gebärdensprache außerdem als Fremdsprache beziehungsweise als Wahlfreifach im Schulunterricht angeboten werden.
Tips: Welche Verbesserungen können Sie sich im Gesundheitsbereich vorstellen?
Lunzer: In den niederösterreichischen Krankenhäusern gibt es im Gegensatz zu anderen Bundesländern keine Gehörlosenambulanz. Bei den Barmherzigen Brüdern in Linz gibt es das spezielle Angebot „FLIP“ (Familienzentriertes Linzer Interventions-Programm), an das sich Eltern mit gehörgeschädigten Kindern wenden können.
Tips: Welche technischen Hilfsmittel gibt es für gehörlose und schwerhörige Menschen?
Lunzer: Gehörlose Menschen können mit Smartphones miteinander oder mit hörenden Menschen chatten oder beispielsweise mit Skype oder WhatsApp videotelefonieren. Für normale Anrufe wurde ein bundesweites Telefonvermittlungsservice namens „Relay Service“ eingerichtet, welches fortlaufend ausgebaut wird. Sonstige technische Hilfsmittel wie visuelle Brandmelder sind bereits verfügbar, nur gehören sie stärker berücksichtigt und gefördert.
Tips: Was erwarten Sie sich vonseiten der Politik?
Lunzer: Jene Landesräte und Abgeordneten aller Parteien im Landtag, die für Menschen mit Behinderung zuständig sind, sollten ihre politische Zugehörigkeit hintanstellen und gemeinsam für die behinderten Menschen - dazu zählen auch gehörlose, hochgradig schwerhörige und taubblinde Menschen - in NÖ die Ziele laut der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen und einen Landesaktionsplan ausarbeiten.
Tips: Wie kann man den Gehörlosenverband NÖ unterstützen?
Lunzer: Der Gehörlosenverband wird zwar vom Land finanziert, ist aber auf Spenden angewiesen. Diese sind steuerlich absetzbar. Wer Waren auf „www.smile.amazon.de“ bestellt und im Suchfeld den „Gehörlosenverband NÖ“ angibt, unterstützt uns ebenso. Für den Kunden fallen keine zusätzlichen Kosten an.
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