Steyrer Kripperl: Wo der Lausbub noch „schlieferzt"
STEYR. Das Spiel im Steyrer Kripperl ist seit heuer UNESCO-Kulturerbe. Eine Auszeichnung, die das Engagement der Menschen hinter den Kulissen würdigt. Tips durfte einen Blick hinter die Tür der jedem Kind im Raum Steyr vertrauten Figurenwelt werfen.
Das Spektakel bewegter Krippen-Puppen bestaunte man im Steyr des 19. Jahrhunderts noch in Wirtshausstuben: Wanderkrippen erzählten dort nicht nur von Weihnachten, sondern aus dem Leben der einfachen Leute. Gerne durfte gelacht werden. Das Steyrer Kripperl ging aus diesem Brauch hervor: Man vermutet, dass im Steyrer Kulturschatz zwei oder drei Wanderkrippen vereint sind.
Heute wie damals
Während im unteren Teil Bethlehems Stall platziert ist, sind auf der Mittelbühne zahlreiche Szenen alten Handwerks zu sehen. Oben thront die biedermeierliche Krippenstadt, wo von Hand gespielte Stabpuppen weltliche Szenen mit lustigen Einflechtungen zum Besten geben.
Dass man dies in Steyr noch im Stil von anno dazumal erleben kann, ist engagierten Menschen zu verdanken. Gerhard Nezbeda ist Spielleiter im Kripperl, das – seit 1924 im Innerberger Stadl – alljährlich bespielt wird. Der Steyrer ist heuer in seine 64. Spielsaison gestartet, begann mit neun Jahren. „Draußen lag schon der Schnee, da meinte meine Tante einmal beim Tee, es brauche dringend Spieler im Kripperl. Am folgenden Sonntag stand ich schon hinter der Bühne“, lacht er.
Anfangs schaute die Handvoll Kinder, die dabei war, erst einmal den Könnern zu. „Es herrschte ein strenges Reglement. Während der Aufführung musste man nach dem Zureichen von Utensilien immer schnell wieder aus dem Bereich der Spieler treten“, erinnert sich Nezbeda. Ihn faszinierte das alles von Beginn an. Selbst als er schon beim Militär in Salzburg war, ließ ihn der Leutnant – ein Ennsleitner – an den Wochenenden heimfahren zum Kripperl-Spielen.
Alte Sprache wahren
Aufgeführt werden in Steyr seit jeher mündlich überlieferte Szenen im alten Dialekt. Wörter wie „Ritscher“ (Faden-Gewirr) oder „schlieferzen“ (auf dem Eis gleiten) gehören dazu. „Wir verwenden auch noch mittlerweile verpönte Wörter wie „Weib“. Würden wir alles verändern, wäre das ursprüngliche Spiel verfälscht“, erklärt Nezbeda. Steckt der Krampus den Lausbuben in die Butte, stößt sich heute womöglich der besorgte Zuschauer daran. Früher empörte das freilich niemanden. Mit der Anerkennung als Kulturerbe darf das Steyrer Kripperl derlei Szenen nun auch ganz offiziell in der ursprünglichen Form erhalten.
Derzeit ist das jüngste Mitglied im Kripperlteam sieben Jahre jung, das älteste 84. Es gibt 18 aktive Spieler, darunter vier Kinder. Geht der Vorhang auf, ist es in der Hinterbühne mucksmäuschenstill, nur über Blicke werden die Handgriffe abgestimmt. Die einstündigen Vorstellungen umfassen jeweils etwa acht Szenen. Insgesamt gibt es 24 Szenen. So kommt jede der jahrhundertealten 455 Puppen im Laufe der Saison zum Einsatz.
Erbe des Handwerks
Beim Steyrer Kripperl, betreut vom Verein Heimatpflege, handelt es sich um eine Handwerkerbühne. Die Figuren haben einst Handwerker aus dem Enns- und Steyrtal gestaltet, ein jeder seinen Beruf. Nur im Zweiten Weltkrieg gab es keine Vorstellungen, damals waren Vereine verboten. Zeitzeugen berichten, dass die Figuren bis Kriegsende auf einem Sierninger Bauernhof im Heu versteckt waren. Danach baute Pionierin Josefa Mohr das Steyrer Kripperl wieder auf.
Nicht zuletzt die Kulisse nimmt unübersehbar Bezug zur Stadt Steyr. Eine Episode ist der Steyrtalbahn gewidmet – sie ist die einzig neuere Szene und basiert auf einer wahren Begebenheit. Die frühen Krippenspieler waren Wandergesellen und kutschierten ihre schwere Bühne sogar durch Deutschland. „Bei einer Restaurierung fanden wir Fachwerk-Häuschen aus dem Fränkischen“, so Nezbeda.
Während die Zuseher besonders den Lichtlanzünder und den Bäckernazl lieben, hat das Oberhaupt des Steyrer Kripperls keine bestimmte Lieblingsszene. Das ganze Flair des Theaters bereitet ihm ungetrübte Freude. Geht etwas kaputt, ist er es, der es rasch in Schuss bringt, Gattin Brigitte meistert malerische Reparaturen. Die Nezbedas hat vor langer Zeit der Kripperl-Virus gepackt, auch einige Mitspieler sind seit 40 Jahren dabei. Das Publikum dankt es ihnen, eine ältere Besucherin meinte etwa: „Der Heilige Abend kann schon einmal ausfallen, aber das Steyrer Kripperl gehört zum Advent einfach dazu.“
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