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STEYR. Der Planer und Berater, Fachpublizist und Filmemacher Reinhard Seiß kommt am Freitag, 13. Mai, ins Museum Arbeitswelt, um mit Interessierten über die straßenbaulichen Entwicklungen zu diskutieren. Tips sprach vorab mit dem gebürtigen Steyrer.

 (Foto: Erwin Wodicka)
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Tips: Herr Seiß, Raumplanung ist Ihr großes Thema, wie kam es zum Interesse dafür?

Reinhard Seiß: Ich habe mich immer für Geographie, Architektur und Umwelt interessiert – Schnittstelle war das Studium der Raumplanung. Der ländliche Raum, wo ich aufgewachsen bin – unter anderem im Steyrtal und Raum Wels –, hat sich in den letzten 30 Jahren massiv verändert. Als ich 1988 zu studieren begann, waren die Folgen von Autoverkehr, Supermärkten am Ortsrand und Zersiedlung bereits bekannt. Und doch haben Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weiter wider besseres Wissen gehandelt. Es ist sogar schlimmer geworden.

Können Sie das konkretisieren?

In den 2000er-Jahren wurden in Österreich tagtäglich bis zu 20 Hektar Boden verbaut. Bund und Länder definierten damals in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie 2,5 Hektar als maximalen Verbrauch pro Tag. Bis heute scheitert man in unverantwortlichem Ausmaß an den eigenen Richtwerten.

Woran liegt das?

Siedlungsentwicklung und Verkehr sind ursächliche Treiber von Bodenverbrauch und Klimawandel. Wenn wir auf der grünen Wiese bauen, im peripheren Fachmarktzentrum einkaufen statt beim Nahversorger im Ort, wenn wir für Wege, die problemlos mit dem Rad oder zu Fuß machbar wären, das Auto nehmen, sind wir Teil des Problems. Dass der einzelne Häusl-bauer oder Konsument nichts Böses im Sinn hat, ist klar. Aber wir haben politische Rahmenbedingungen, die die Menschen dazu bringen, nicht nachhaltige Entscheidungen zu treffen.

Was läuft Ihrer Ansicht nach falsch?

Eine Pendlerpauschale für Gutverdiener im Speckgürtel, eine Wohnbauförderung für Einfamilienhäuser im Grünen, eine Wirtschaftsförderung für Gewerbegebiete im Nirgendwo ohne Industriegleis – all das steuert Österreichs Siedlungs- und Verkehrsentwicklung in die falsche Richtung. Hinzu kommt immer mehr unnötiger Gütertransport. Kaum etwas wird heute noch zur Gänze an einem Standort hergestellt. Produkte, die tausende Kilometer quer durch Europa chauffiert wurden, verkauft man im Regal als „regional“. Ein weiterer Punkt ist die radikale Abnahme des Schienengüterverkehrs. Der Steuerzahler zahlt jedem besseren Gewerbepark seine Autobahnabfahrt. Möchte hingegen ein Betrieb ein Industriegleis haben, zahlt er 50 Prozent der Aufschließung sowie jährliche Erhaltungskosten. Zum Schutz von Umwelt und Klima, aber auch der Menschen entlang der Transitrouten müsste es genau umgekehrt sein.

Was sagen Sie zur geplanten Ansiedelung von Amazon in Kronstorf?

Das Land müsste hier sagen: „Gibt es einen Schienenanschluss? Nein? Dann tut es uns leid.“ Handelsriesen bevorzugen billigen Baugrund, um in billigen Gebäuden mit billigen Arbeitskräften schnelles Geld zu machen. Das ist sozialer und ökologischer Raubbau. Die Flächenwidmungen der Gemeinden müssen vom Land endlich konsequent kontrolliert werden. Es braucht ein regionales Standortmanagement für Betriebsansiedlungen, das vorrangig Industrie-Brachen recycelt.

Würden Sie hier einen Zusammenhang mit den sich betrieblich leerenden Innenstädten sehen?

Ein Beispiel: In der Innenstadt zahlt man fürs Parken, bei Diskontern auf der grünen Wiese nicht. Das ist ungerecht. Die Kunden fahren ins Fachmarktzentrum außerhalb nicht zuletzt auch, weil sie dafür finanziell belohnt werden. Ich bin sicher: Wenn man sie dafür belohnt, per Rad oder zu Fuß in der Innenstadt einzukaufen, würden das viele tun.

Kommen wir zurück zu Ihrem Vortragsthema in Steyr, dem Straßenbau. In Steyr ist die Diskussion zur Westspange brandaktuell. Verstehen Sie den Steyrer Stadtbewohner, der sich den Schwerverkehr vor dem Wohnzimmer-Fenster wegwünscht?

Absolut. Ich habe für Betroffene das größte Mitgefühl und es ist unfassbar, dass die Lebensqualität hunderttausender Österreicher dem ungezügelten Verkehr geopfert wird. Aber neue Straßen schaffen neuen Verkehr, das ist Fakt. Die Westspange würde nur dann eine Entlastung bringen, wenn man die Straßen in den jetzt belasteten Gebieten radikal rückbauen und nur mehr für Anrainerverkehr zulassen würde. Das wird aber fast nie gemacht. Somit erweitert jede Umfahrung die Kapazität des Straßennetzes. Und das bringt zusätzlichen Verkehr, der das Problem auf weitere Betroffene ausweitet.

Wären Sie ein Entscheidungsträger, was würden Sie tun?

Gegen den Schwerverkehr gäbe es viele Lösungen. Man könnte den Umwegverkehr, der nur Maut oder Staus umgehen will, via GPS kontrollieren und bestrafen. Man könnte Sattelschlepper weitgehend von Landes- und Gemeindestraßen verbannen. Vor allem aber müsste man die Nebenwirkungen des Schwerverkehrs bepreisen. Generell sollte die Politik für Kostenwahrheit sorgen. Der Straßenverkehr kostet der Gesellschaft viel mehr, als den Autofahrern in Rechnung gestellt wird. Zugleich sind Bahn bzw. öffentlicher Verkehr immer noch keine ernst zu nehmende Alternative. Es liegt allein am politischen Willen, das zu ändern.

Zur Person: Reinhard Seiß, geboren in Steyr, studierte Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien und arbeitet in Wien unter anderem als Autor zu Themen wie Siedlungs- und Stadtentwicklung und Verkehr. Zudem produziert er Dokumentarfilme und Hörfunkbeiträge.

Vortrag in Steyr: Freitag, 13. Mai, 18.30 Uhr, Museum Arbeitswelt, Eintritt frei!


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