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Digital-Archiv macht 450 Jahre Steyrer Politik lesbar

Robert Hofer, 05.01.2023 14:08

STEYR. Das inoffizielle Steyrer Digitalisierungs-Zentrum wirkt unscheinbar. Historische Stadtansichten zieren die Wände des kleinen Gewölbes.

Die Ratsprotokolle gehören zu den wichtigsten Quellen zur Stadtgeschichte der vergangenen 450 Jahre und werden nun digitalisiert. (Foto: Magistrat Steyr/honorarfrei)

Ein großer Teppich in der Mitte des Raumes sorgt für Gemütlichkeit. Im großen Bücherregal an der hinteren Wand ist Standardliteratur zur Steyrer Geschichte zu finden. Im starken Kontrast dazu stehen das habe Dutzend Scanner und die fast ebenso vielen Bildschirme. Hightech im historischen Bürgerhaus. Zwar sind mehrere Arbeitsplätze eingerichtet, doch gearbeitet wird hier nur von einer Person: Kurt Rossacher.

„Digitalisator“

Der mittlerweile routinierte „Digitalisator“ – wie er sich selbst ironisch nennt – arbeitet seit sechs Jahren an seinem Digitalarchiv. Auf seiner Website steyr.dahoam.net stellt er der Allgemeinheit Literatur und Quellen zur Geschichte Steyrs und der Umgebung kostenlos zur Verfügung. Seit kurzem digitalisiert Rossacher in Kooperation mit dem Stadtarchiv die Steyrer Gemeinderatsprotokolle. Als wichtigstes Organ der Stadt trifft der Gemeinderat gravierende finanzielle und politische Entscheidungen für das Gemeinwohl der Bewohner. Die Sitzungsprotokolle dokumentieren die Entscheidungsfindung und machen das politische Handeln transparent und nachvollziehbar.

Protokolle seit 1569

Im Stadtarchiv sind diese Protokolle seit 1569 überliefert. Sie stellen eine der wichtigsten Quellen für das Verständnis der Stadtentwicklung dar. Allerdings ist die Suche darin gar nicht so einfach, da die Protokolle bis 1894 per Hand geschrieben wurden und nur wenige ein Namensregister aufweisen. Durch die Digitalisierung ergibt sich nun eine unheimliche Erleichterung und Beschleunigung in der Benutzung. Dabei heißt Digitalisierung hier nicht einfach einen Scan – quasi ein Foto – von einem Protokoll zu machen. Nein, Rossacher arbeitet mit einer Software, die alte Handschriften in moderne Druckschrift umwandelt und sie im Volltext durchsuchbar macht.

Viele Schritte

Bis so ein Protokoll durchsuchbar ist, sind viele Schritte nötig: Nach dem zeitintensiven Scannen folgt eine seitenweise Bildbearbeitung: Kontrast und Weißabgleich werden nachgebessert, Seiten geradegerückt, unschöne Ränder beschnitten. Die Software Transkribus wandelt dann per KI (Künstliche Intelligenz) die Kurrentschrift beinahe fehlerfrei in heute lesbare Schrift um. Dazu war zuvor ein stundenlanges Anlernen der KI auf die Handschrift des jeweiligen Protokollschreibers notwendig, Rossacher musste dazu etwa 50 Seiten händisch transkribieren und einspielen. Protokolliert ein anderer Stadtschreiber, muss die KI auf die neue Schrift angelernt werden.

Tausende Zugriffe

Die Transkriptionen der KI werden danach akribisch auf Richtigkeit geprüft, jede einzelne Seite wird nochmals von Rossacher gelesen. Stimmt alles, können die Dateien auf die Website geladen werden, auf die monatlich 7.500 Besucher zugreifen. „Vergleichbare Digitalisierungsinitiativen kenne ich nur von Universitäten oder Landes- und Nationalbibliotheken mit einem entsprechenden Budget. Man schaue sich die Projekte der Österreichischen Nationalbibliothek oder das Münchner Digitalisierungszentrum an. Dass eine Einzelperson so etwas in ähnlicher Qualität und in diesem Umfang stemmt, ist etwas ganz Erstaunliches“, zeigt sich Stadtarchivarin Doris Hörmann von Kurt Rossachers Arbeit beeindruckt.

Kosten gedeckt

Seit Herbst hat Rossacher schon 600 Ratsprotokolle digitalisiert. Zuvor hatte er unter anderem bereits die Veröffentlichungen des Kulturamtes (1949–1986) sowie die Amtsblätter (1958–2002) im Auftrag der Stadt digitalisiert. Rossacher finanzierte seine Tätigkeit lange Zeit privat, seit zwei Jahren wird er finanziell durch die Stadt unterstützt. Die Kosten für die aufwändige Infrastruktur – unter anderem mehrere Scanner für unterschiedliche Formate, Software, Server und Website – sind damit gerade so gedeckt. „Rossachers ehrenamtliche Arbeit für die Stadt und alle Geschichtsinteressierten ist äußerst wertvoll und unbezahlbar“, betont Kultur-Stadträtin Katrin Auer (SPÖ).


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