Im Raum Zwettl geplant: Eine Freiraumschule - ganz ohne Schubladen
ZWETTL. Eine Pädagogin und eine Diätologin gehen neue Wege, ihr Herz schlägt für ihre Vision: Sandra Bussecker und Ulrike Thaler planen eine Freiraumschule im Raum Zwettl. Eine freie Schule, die sich dem Tempo der Kinder ganz individuell anpasst, dennoch aber Struktur und Lerninhalte aufweist. Das Konzept steht, Räumlichkeiten sowie Gleichgesinnte werden noch gesucht. Tips hat ganz exklusiv mit den beiden über die „Schule ohne Schubladen“ gesprochen.
Tips: Bitte beschreibt mir eure geplante Schule.
Sandra Bussecker: Unsere Freiraumschule soll eine Schule sein, in der Kinder sich in ihrem eigenen Tempo und auf ihre ganz individuelle Art und Weise mit einem Inhalt beschäftigen dürfen – so lange, bis sie „satt“ sind. In unserer Schule sind emotionales, soziales, motorisches und kognitives Lernen gleichwertig. Die Kinder haben die Möglichkeit, in all diesen Bereichen Erfahrungen zu machen und Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlangen. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass Kinder den Drang, sich aktiv, spielerisch und forschend zu betätigen von Natur aus mitbringen. Kinder sind für uns keine „Erziehungswesen“, sondern eigenständige Persönlichkeiten, die ihr Lernen selbst bestimmen können. Meiner langjährigen Erfahrung nach haben Kinder, die in einer annehmenden und liebevollen Umgebung sind, einen guten Zugang zu ihren Wachstumsbedürfnissen und wissen sehr genau, was sie für ihre Weiterentwicklung brauchen.
Ulrike Thaler: Konkret wird es eine vorbereitete Umgebung geben. Das heißt, dass man den Kindern Lernmaterialien zu den verschiedensten Themenbereichen in den unterschiedlichsten Räumen anbietet. Das bietet einerseits Struktur und lässt viel Freiraum für selbstbestimmtes Lernen. Bei uns gibt es keine Klassenverbände - Kinder von sechs bis zehn finden sich ihren Begabungen und Interessen entsprechend in Lerngruppen zusammen.
Tips: Wie darf man sich die Freiraumschule vorstellen?
Bussecker: Es sollte im Idealfall ein großes Haus sein, mit den unterschiedlichsten Bereichen: Zum Beispiel ein Raum mit Montessori-Materialien zu Mathematik, kosmischer Umgebung und Sprachen. Es soll ein Labor zum Experimentieren geben, einen Musik- und Bewegungsraum, ein Kreativatelier, eine Werkstatt, eine Bücherei, eine Küche und viel Natur, wie etwa ein Garten oder Wald.
Tips: Die mögliche Sorge der Eltern, dass ihr Kind in einer freien Schule weniger lernt als in einer Regelschule ist unbegründet?
Thaler: Ja. Die große Sorge betrifft oft den Grundstock, also das Lesen, Schreiben und Rechnen. Das zu beherrschen, ist ja in der Regel ein Grundbedürfnis. Wenn ich einkaufen gehe, muss ich rechnen können. Oder wenn ich unterwegs bin will ich zur Orientierung Schilder lesen können. Aufbauend auf diesem Grundstock vertieft sich jedes Kind individuell, wo es seine größten Interessen, Stärken und Begabungen hat. Wenn Kinder so eine Schule durchlaufen, wissen sie mit 15 Jahren wo ihre persönlichen Stärken und Grenzen liegen. Auch deshalb, weil das schon während der Schulzeit sehr gefördert und unterstützt wurde. Das heißt auch: Ich darf mich spüren und brauche mich nicht stetig mit meinen Schwächen abzumühen, die meistens im Laufe des Lebens sowieso in den Hintergrund treten. Mühsam alle Schulfächer abzuarbeiten und von Test zu Test lernen, ist nicht unsere Intention. Wir wollen ein Lernen fürs Leben bieten.
Bussecker: Was Kinder in einer solchen Freiraumschule lernen, ist Selbstverantwortung zu tragen und das Lernen zu lernen. Sie werden dabei begleitet, wie man sich Dinge aneignet. So sollen sie natürlich die Grundkulturtechniken – also Lesen, Schreiben, Rechnen – gut beherrschen, das ist die Basis für selbstbestimmtes Lernen. Wir arbeiten nach dem Glocksee-Lehrplan, der uns viel Spielraum lässt.
Tips: Was ist die Rolle der Pädagogen?
Bussecker: Wir nennen sie, Lern- oder Wegbegleiter und sie sind mit ihrer achtsamen und wertschätzenden Haltung Teil der vorbereiteten Umgebung. Wir wünschen uns Lernbegleiter, die selbstreflektiert sind und ein Gespür dafür haben, wann es wichtig ist, sich zurückzunehmen. Die Aufgabe der Begleiter ist es, die Kinder liebevoll und individuell bei ihren Tätigkeiten zu unterstützen und auf die Einhaltung der Vereinbarungen zu achten. Als Basis für ein respektvolles, friedliches und konstruktives Miteinander dient uns die „Achtsame Kommunikation“ nach M.B.Rosenberg. Weiters schwebt uns vor, die Eltern oder Fachkräfte mit ihren individuellen Fähigkeiten miteinzubinden, zum Beispiel, einen Native Speaker, der den Schulalltag mit uns verbringt.
Tips: Wird es Noten oder Bewertungen geben?
Thaler: Bei uns gibt es regelmäßige Feedbackgespräche mit den Kindern, wo die Lernbegleiter das Beobachtete möglichst wertfrei beschreiben. Vermeidet ein Kind beispielsweise ein bestimmtes Thema immer wieder, wird auch diese Beobachtung mit dem Kind besprochen und gemeinsam eine Lösung gesucht. Nachdem wir anstreben, eine Statutschule mit Öffentlichkeitsrecht zu werden, ist es nicht erforderlich ein jährliches Zeugnis auszustellen.
Tips: Welche Altersklassen wollt ihr abdecken?
Bussecker: Vorerst werden wir Kinder im Volksschulalter begleiten. Natürlich soll die Schule weiterwachsen, so dass irgendwann die gesamte Pflichtschulzeit in unserer Freiraumschule verbracht werden kann. Thaler: Unsere Schule wird grundsätzlich halbtags geführt, außer Eltern haben Bedarf an einer Nachmittagsbetreuung, dann würden wir längere Öffnungszeiten anbieten.
Tips: Warum ist es euch so ein Bedürfnis, das auf die Beine zu stellen?
Bussecker: Ich möchte dazu beitragen, dass wir einen anderen Umgang miteinander pflegen, dass die Würde des Menschen mehr zählt. Weg von diesem Bestrafungs- und Belohnungssystem, das das ganze Leben durchzieht. Ich sehe das als Beitrag, wieder mehr Menschlichkeit in unsere Gesellschaft zu bringen. Für mich braucht es einfach etwas anderes. Mir ist wichtig, dass es Raum gibt, sich selbst zu spüren und nicht funktionieren zu müssen. Ich will Kinder so begleiten, dass sie fest im Leben stehen können, weil sie einfach ihre Bedürfnisse kennen. In meiner jetzigen Kindergruppe „Glückskind“ begleite ich Kinder bereits auf diese Art und Weise.
Tips: Wie weit ist euer Zeitplan gereift?
Thaler: Im April 2017 haben wir den Verein „In Liebe wachsen – lern.entfaltungs. RAUM“ gegründet. Geplant ist, die Statutschule mit Öffentlichkeitsrecht mit dem Schuljahr September 2018 zu eröffnen. Vorerst suchen wir Gleichgesinnte, die das Leben mit ihren Kindern ganz bewusst und eigenverantwortlich gestalten wollen – die andere Lernwege gehen wollen und sich vorstellen können, ihre Kinder zum Hausunterricht abzumelden. Wir hätten ab September 2017 die Möglichkeit, meine Praxisräumlichkeiten in der Mozartstraße bereits als gemeinsamen Lernraum zu nutzen.
Bussecker: Und für das Schuljahr 2018/19 sind wir auf der Suche nach einem geeigneten Gebäude, interessierten Familien, Pädagogen mit entsprechender Ausbildung sowie Menschen, die unser Projekt anspricht und die uns auf irgend eine Art unterstützen möchten!
Infos & Kontakt
- Sandra Bussecker und Ulrike Thaler
- Mail: kontakt@freiraumschule.com
- Telefon: 0664/3909949
- Web: www.freiraumschule.com
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