Interview mit Gerhard Zeillinger: „Ich habe einfach zugehört“
AMSTETTEN. Tips-Redakteur Norbert Mottas bat den aus Amstetten stammenden Historiker und Literaturwissenschaftler Gerhard Zeillinger zu einem Interview über dessen Buch „Überleben“.
Tips: Wo haben Sie Walter Fantl-Brumlik kennen gelernt?
Zeillinger: Das mag jetzt überraschen, aber das war in Amstetten. Und das hat mit meiner Stiefgroßmutter zu tun, die von 1935 bis 1938 das Kindermädchen von Walters Cousin war, der heute in London lebt. Sie hat bis zum Jahr 2000 nicht gewusst, dass von dieser Familie wer überlebt hat. Und dann gab es im Jahr darauf dieses Wiedersehen nach 63 Jahren, das war im Gasthaus Berger in Greinsfurth, ich saß neben Walter Fantl, und irgendwann an diesem Nachmittag begann er zu erzählen …
Tips: Im Buch stehen sehr persönliche Erlebnisse. War Herr Fantl gleich einverstanden, dass Sie ein Buch über ihn schreiben?
Zeillinger: Dieses Buch war seine Idee, sein Wunsch. Es war ja nicht so, dass ich nach einem Auschwitz-Überlebenden gesucht hätte, um über ihn zu schreiben. Das wollte er. Aber kurz darauf ist seine Frau gestorben, das war die zweite Katastrophe in seinem Leben, er war dann jahrelang nicht in der Lage, darüber zu reden. Aber er hat natürlich hin und wieder erzählt und ich habe einfach zugehört, das waren kleine Fragmente, die ich dann versucht habe zusammenzusetzen.
Tips: Insbesondere die Kapitel, in denen die unmenschlichen Zustände in Auschwitz und Gleiwitz beschrieben werden, sind harter Stoff schon beim Lesen. Wie ist es Ihnen mental gegangen, als sie sich so intensiv damit beschäftigten?
Zeillinger: Da muss man die Emotionen möglichst draußenhalten. Man weiß ja, was in diesen Lagern passiert ist, trotzdem wird man dann immer wieder von ganz schlimmen Einzelheiten überrascht. Vieles, was ich da beschreibe, habe ich unabhängig von Walter Fantl recherchiert, da hat er diesbezüglich wenig erzählt, weil er es entweder verdrängt hat, was man verstehen kann, oder weil er nicht darüber reden wollte. Das muss man respektieren. Aber im Buch muss es natürlich vorkommen. Und man muss es so sachlich wie möglich beschreiben.
Tips: Auch nach Kriegsende waren viele Österreicher antisemitisch eingestellt. Sie bringen als Beispiel den damaligen Bundespräsidenten Karl Renner, der 1946 gegen eine Wiederansiedelung von Juden wetterte. Das offizielle Österreich hat sich inzwischen bei Opfern und Nachkommen entschuldigt. Wie schätzen Sie den Antisemitismus der heutigen Bevölkerung Österreichs ein?
Zeillinger: Der ist leider immer noch da. Das hat uns ja gerade die jüngste Amstettner Geschichte gezeigt, und das betrifft nicht nur die FPÖ, da haben auch die beiden ehemaligen Großparteien einen unrühmlichen Beitrag geleistet. Aber bei der FPÖ gibt es halt bis zum heutigen Tag regelmäßig diese sogenannten „Einzelfälle“. Bei dem Gedankengut dieser Partei ist das nicht weiter verwunderlich, das ist, wie Herr Mölzer kürzlich gemeint hat, deren „Tradition“. Einige berufen sich ja ganz ungeniert darauf. Und dann gibt es sehr stark den Antisemitismus unter muslimischen Migranten, der von den „Linken“ gerne verharmlost bzw. sogar mitbetrieben wird, siehe Israel-Bashing. Auch das ist widerlich.
Tips: Glauben Sie, dass Ihr Buch auch Menschen erreichen kann, die von der Vergangenheit – und insbesondere von der Nazi-Vergangenheit Österreichs – nichts wissen wollen?
Zeillinger: Nein, und das ist auch gar nicht meine Absicht. Die Menschen, die sich nicht damit auseinandersetzen wollen, sind entweder ohnehin nicht belehrbar oder schlichtweg uninteressiert, die stellen sich damit auch außerhalb des politischen Diskurses. Die wollen heile Welt, Unterhaltung, Spaß. Ich glaube nicht, dass die auch ernsthaft ihre eigene Gegenwart reflektieren.
Tips: Wie könnte man diese Menschen erreichen?
Zeillinger: Die kann man nicht erreichen.
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