Amstettner als Volontär in Indien
AMSTETTEN/INDIEN. Der ehemalige Tips-Redakteur Thomas Lettner hat vor wenigen Monaten seine Heimatstadt Amstetten in Richtung Südindien verlassen. Er unterstützt im Zuge des „Senior Experts Austria“-Entsendeprogramms von „Jugend Eine Welt“ ehrenamtlich die Organisation „Breads Bangalore“. Tips bat ihn zum Interview.
Tips : Thomas, du hast heuer deine Zelte in Amstetten vorerst abgebrochen, arbeitest im südindischen Bangalore als Volontär für „Breads Bangalore“ und berichtest über deren Straßenkinderprojekte. Wofür steht „Breads Bangalore“ und was genau ist dein Einsatzbereich?
Thomas Lettner : „Jugend Eine Welt“ hat mir aufgrund meiner beruflichen Expertise das Projekt vorgeschlagen und den Einsatz für mich organisiert. „Breads“ steht für „Bangalore Rural Educational and Development Society“ und ist eine Sozialorganisation der Salesianer Don Boscos in Bangalore im Bundesstaat Karnataka. Im Sinne des Ordensgründers Don Bosco kümmert sich „Breads“ mit seinen Don Bosco-Partnern vor Ort um an den Rand gedrängte, benachteiligte Kinder, junge Menschen und Frauen in den Städten und Dörfern. Dazu gehören der Einsatz für Bildung, Trainingscenter, die anschließende Suche nach einer Praxisstelle oder einem Job, Bauprogramme, die Stärkung von Kinder- und Frauenrechten, Rettung aus Kinderarbeit oder Kinderehen, Kampf gegen Drogensucht und dergleichen. Meine Aufgabe ist es, verschiedene Don Bosco-Partner in Karnataka zu besuchen und Kinder, Lehrer, ehemalige Kinderarbeiter, Sozialarbeiter, Eltern und Fathers (die Don Bosco-Geistlichen) vor Ort zu interviewen. Die Berichte und Fotos schicke ich dann an das Büro in Bangalore.
Tips: Am 20. November war Unicef-Weltkindertag. Wie steht es um Kinderrechte in Indien?
Lettner: Kinderarbeit und Kinderehen sind in Indien immer noch sehr verbreitet. Ab 14 Jahren ist es in Indien erlaubt zu arbeiten. Um heiraten zu dürfen, müssen Männer und Frauen per Gesetz 21 Jahre alt sein. Dennoch haben Kinderehen in den Covid-Lockdowns zugenommen. Ich befinde mich derzeit in Devadurga im Bezirk Raichur im Norden Karnatakas. Hier gibt es besonders viele Kinder, die auf den Feldern arbeiten für 200 Rupien (2,50 Euro) pro Tag, und Chili und Baumwolle pflücken. „Breads“ hat deswegen das Projekt „Cream“ (Child Rights Education and Action Movement) ins Leben gerufen. Es geht darum, den Kindern ihre Rechte klar zu machen. Das geht beispielsweise über „Child Rights Clubs“ in den Schulen, um Kinder über ihre Rechte aufzuklären und wachsam gegen Verletzungen von Kinderrechten zu sein. In den Dörfern werden Stakeholder gesucht, um Fälle von Kinderarbeit oder Kinderehen zu melden. Eng arbeiten die mit der Kinderarbeit betrauten NGOs auch mit der Hilfenummer „Childline“ und dem Child Welfare Comittee (CWC) der Regierung zusammen.
Tips: Was ist die größte Herausforderung für Kinder und Jugendliche in Indien?
Lettner: Die größte Herausforderung ist, dass Kinderarbeit und Kinderehen zwar gesetzlich verboten sind und sogar mit Gefängnis bestraft werden, die Polizei zumindest hier am Land aber nichts dagegen unternimmt, weil sie sich in die traditionellen sozialen Gefüge nicht einmischen will. Eltern sehen in ihren Kindern, indem sie sie zur Arbeit schicken, eine Einnahmequelle, da die Kinder das Geld nicht behalten dürfen, sondern an die Eltern abgeben müssen. Kinderarbeit ist also nichts anderes als eine Art von Sklaverei. Ein Problem ist auch, dass die Eltern von Kinderarbeitern so gut wie immer Analphabeten sind, selber Kinderarbeiter waren und nie die Schule besucht haben. Der Wert von Bildung ist ihnen also fremd. Genau hier versucht „Breads“ anzusetzen: Die Eltern müssen, um nach vielen Generationen endlich aus diesem Teufelskreis der Unbildung und Kinderarbeit auszubrechen, ihre Kinder in die Schule schicken, auch wenn sie bettelarm sind und Geld benötigen. Denn ohne Bildung verbauen sie auch ihren Kindern die Zukunft und das Übel setzt sich fort.
Tips: Welche weiteren Projekte führt „Breads Bangalore“ mit seinen Partnerorganisationen für eine bessere Zukunft der Kinder und Jugendlichen in Indien durch?
Lettner: Ich möchte hier vor allem auf das Projekt der „Bridge Schools“ eingehen, die „Breads“ mit seinen Partnern ins Leben gerufen hat: Hier in Devadurga sind 15 Sozialarbeiter tagtäglich von Montag bis Freitag in den Dörfern unterwegs, um mit Eltern, Lehrern, Schuldirektoren und Stakeholdern zu sprechen und Fälle von Kinderarbeit und Kinderehen oder Fälle von Drop-outs, das sind Schüler, die plötzlich ohne jeglichen Grund im Unterricht fehlen, zu klären. Die Sozialarbeiter sprechen mit den Eltern von Kinderarbeitern und versuchen sie davon zu überzeugen, sie statt auf die Felder in die einjährige „Bridge School“ bei Don Bosco Devadurga zu schicken. Beim ersten Versuch gelingt das so gut wie nie, es ist also Durchsetzungsvermögen gefragt. Die Eltern zu überzeugen ist für die Sozialarbeiter daher sehr mühsam, aber es stellt sich eine leichte Besserung in der Gesellschaft ein, wie mir gesagt wurde. Immer mehr Eltern wird die Bedeutung von Bildung bewusst. Auch die „Bridge School“-Kinder selber sind aktiv und überzeugen andere Kinderarbeiter, zur Schule zu gehen. Zur Erklärung nebenbei: Don Bosco führt hier vor Ort auch einen Kindergarten, eine Primary School, eine Highschool und ein College, die aber nichts mit Kinderarbeitern zu tun haben, sondern von anderen Kindern besucht werden.
Tips: Wie viele Kinder werden an der „Bridge School“ pro Jahr aufgenommen?
Lettner: Jedes Jahr werden 50 Kinder aufgenommen. Zu Beginn des Schuljahrs im Juni wird das Lernniveau der Kinder bewertet. So gut wie alle von ihnen sind Analphabeten und waren vorher noch nie in einer Schule. Sie erhalten in dem einen Jahr Basisunterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen und Social Science – Geographie, Biologie und so weiter. Es gibt auch Redewettbewerbe, Tanzunterricht, Spieleinheiten und ein gemeinsames Abendessen nach dem Schultag. Im Jänner und März stehen zwei wichtige Prüfungen an. Nach dem Jahr in der „Bridge School“ wechseln die Kinder in „Mainstream Government Schools“ (Regierungsschulen) oder Privatschulen. Die Arbeit der Sozialarbeiter ist damit aber nicht vorbei. Sie bleiben weiterhin mit den Kindern in Kontakt, besuchen sie in ihrer neuen Schule und reden mit ihnen, um den Lernerfolg festzustellen und zu sehen, wie es ihnen geht.
Tips: Wie geht es dir persönlich mit deiner Entscheidung, in Indien zu arbeiten?
Lettner: Zuerst muss ich einmal betonen, dass das Essen in Indien wirklich hervorragend ist. Ich bin hauptsächlich im Bundesstaat Karnataka im Einsatz und kann sagen, dass Indien ein sehr schönes Land mit besonders freundlichen Menschen ist.
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