Ulrike Lunacek im Tips-Interview: Eine glückliche Kindheit in Amstetten
AMSTETTEN. Ulrike Lunacek las bei Thalia aus ihrem jüngsten Buch „Zwei Grüne Leben“. Tips bat die langjährige Grün-Politikerin zum Interview über ihre Kindheitsjahre in Amstetten.
Tips: Frau Lunacek, Sie beschreiben Ihre Amstettner Zeit in den 1960er-Jahren als „die schönste Zeit meiner Kindheit“ ...
Ulrike Lunacek: Ja, es war die Zeit der ersten Freundschaften und des Gefühls, viel Platz und viel Freiheit zu haben. Alles, was ich danach bis 1975 in meiner verbleibenden Schulzeit in Wien nicht mehr hatte. Ich lebte im zehnten Stock des Hochhauses der NÖ Molkerei in der Wiener Brigittenau. Da half auch der Ausblick über das „große Häusermeer“ Wien nicht.
Tips: Das sind sicherlich zwei Welten! Nochmal zurück nach Amstetten: Wie darf man sich Ihr damaliges Leben vorstellen?
Lunacek: Ich wohnte von 1961 bis 1966 in der Molkerei in der Feldstrasse 13. Mein Vater Heinrich Lunacek war dort Direktor. Damals gehörte uns Kindern, also meinem Bruder und mir sowie den Söhnen des Buchhalters, jeden Nachmittag das gesamte Gelände: Wir genossen die Freiheit, alles zu erkunden, mit dem Leiterwagen die Gegend unsicher zu machen, oder auch mit meinem neuen Fahrrad umher zu düsen. Oder an den Wochenenden die Besuche der Familien von vier anderen NÖ Molkereileitern, Freunde meines Vaters, die sich noch vom Studium kannten. Wir Kinder dieser Familien nennen uns heute, als Erwachsene, „Milchkinder“ – und sind immer noch in Kontakt. Auch Ausflüge auf den Sonntagberg, Schwimmen am Hößgang oder andere Ausflüge in die schöne Landschaft des Mostviertels – auch zu befreundeten Bauernfamilien in die imposanten Vierkanthöfe – standen immer wieder auf dem Programm. Ich ging sehr gerne in die Volksschule in der Preinsbacherstraße und bin seit rund zehn Jahren wieder mit meiner damaligen besten Freundin Anneliese befreundet. Wir gehen gemeinsam – mit noch zwei anderen aus der damaligen Volksschulklasse – fast jedes Jahr zu den Blindenmarkter Herbsttagen.
Tips: Das klingt nach einer unbeschwerten Kindheit. Inwiefern hat die Zeit in Amstetten Ihren weiteren Lebensweg beeinflusst?
Lunacek: Indem mir zumindest während meiner Jugend- und Schulzeit in Wien eine gewisse Sehnsucht nach der Freiheit und dem Glücksgefühl dieser Jahre blieb. Wohl auch ein Grund, dass ich zum Studium nach Innsbruck ging, einer viel kleineren Stadt, in der man Bekannte auf der Straße trifft. Auch mein weiteres Leben war geprägt von diesem Freiheitsgefühl: Also das zu machen, was mich interessiert, und mich auch gegen die Freiheitseinschränkungen von anderen zu engagieren – seien es von Frauen hierzulande (ich habe in Innsbruck das Tiroler Frauenhaus mitaufgebaut) oder sei es das Engagement gegen Menschenrechtsverletzungen weltweit.
Tips: Sie haben erwähnt, dass Sie ehemalige Freundinnen aus Amstetten wieder treffen. Gibt es noch weitere Kontakte ins Mostviertel?
Lunacek: Ja, ich habe auch Kontakt mit dem damaligen Betriebsleiter und der damaligen Büroangestellten der Molkerei – beide mittlerweile schon viele Jahrzehnte miteinander verheiratet: Sie erzählten mir viele interessante Dinge aus der damaligen Zeit, zum Beispiel wie der neue Topfenfertiger in die Molkerei kam, oder wie sie auf Urlauben in Frankreich nach neuen Käsesorten Ausschau hielten, die in Österreich produziert werden könnten. Gefreut hat mich auch, vor der Buchpräsentation in Amstetten das erste Mal wieder Kontakt zur von uns allen geliebten, sehr jungen Lehrerin der 1. Klasse Volksschule zu haben – sie erzählte mir am Telefon, dass sie mich damals bei einem Ausflug, als ich schon sehr müde war, ein Stück weit getragen hat – und ich hatte auch als Kind schon schwere Knochen ...
Tips: Wie war es, für Ihr aktuelles Buch Ihre Kindheitserinnerungen wieder aufleben zu lassen?
Lunacek: Es war eine spannende, und mit vielen lauten Lachern wie ernsten Erzählungen verwobene Zeit, die mir neue Blickwinkel auf meine Eltern, meinen Bruder und andere Personen und Ereignisse ermöglichte. Das Schreiben des Buches, die Recherchen und über 30 Interviews, die ich geführt habe, ergaben für mich – und ergeben für die Leserinnen und Leser – ein Eintauchen in (nieder-)österreichische Zeitgeschichte, vor allem anhand der Entwicklungen in der Milch- und Landwirtschaft, von alten und neuen Produkten wie FruFru, Bojar oder Nöm-Mix bis hin zu Getreideexporten in die Sowjetunion in den 1980er-Jahren – und die Zeit, als Ende der 1980er-Jahre, rund um den Fall des Eisernen Vorhanges, innerhalb der Raiffeisenorganisation genauso wie in Europa das Verhältnis von Ware zu Geld gekippt ist: Es gab genug zu essen, die Finanzwirtschaft löste die Realwirtschaft als Machtfaktor ab und beendete auch die Karriereambitionen meines Vaters.
Das Buch ist eine Hommage an meine Eltern, die mir und meinem Bruder sehr vieles ermöglichten und uns oft unterstützten – auch wenn sie unsere Entscheidungen nicht immer guthießen. Trotz vieler inhaltlicher Konflikte, die ich vor allem mit meinem Vater austrug, blieb der Respekt voreinander – und sein Ausspruch, den er uns immer und immer wieder mitgab: „Vergiss die Freude nicht!“ beziehungsweise die Langversion: „Setz dich über vieles weg, freu dich über jeden Dreck!“.
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