10 Jahre Multi-Kulti-Stammtisch: „Wir suchen das Verbindende, nicht das Trennende“

Tips: Gerhard, du hast vor zehn Jahren den Multikulturellen Stammtisch in Amstetten gegründet. Was war der Anlass?

Gerhard Steinkellner: Wir haben schon vor 30 Jahren über den Weltladen und den Verein Südfilmfest angefangen, uns mit der Thematik der interkulturellen Begegnung zu beschäftigen. Es haben einzelne Feste stattgefunden. Irgendwann haben wir bemerkt, dass monatliche Treffen nötig wären. Und so wurde vor zehn Jahren der Multikulturelle Stammtisch – kurz Multi-Kulti-Stammtisch – gegründet.

Tips: Was genau darf man sich unter dem Stammtisch vorstellen?

Steinkellner: Wir treffen uns jeden zweiten Samstag im Monat im Pfarrsaal St. Stephan. Den Multi-Kulti-Stammtisch kann man mit einem unverbindlichen Nachbarschaftstreffen vergleichen. Die Nachbarn kommen halt aus verschiedenen Herkunftsländern ...

Tips: Wie viele Nationen sind beim Multi-Kulti-Stammtisch vertreten?

Steinkellner: Von den knapp 70 in Amstetten vertretenen Nationen besuchen durchschnittlich zwölf bis 15 unseren Stammtisch. Aus Australien hatten wir noch keinen Besucher – ansonsten nehmen Menschen aus der ganzen Welt am Multi-Kulti-Stammtisch teil. Übrigens: der Stammtisch ist nicht nur auf Flüchtlinge beschränkt; es ist wirklich jeder Mensch, egal woher er kommt, herzlich willkommen!

Tips: Welche Ziele verfolgt der Multi-Kulti-Stammtisch genau?

Steinkellner: Im Zentrum steht die Begegnung, das Kennenlernen der Kulturen. Dadurch werden Barrieren abgebaut und es sind schon viele Freundschaften entstanden.

Tips: Wenn so viele Kulturen aufeinandertreffen, gibt es sicher aber auch mal Unstimmigkeiten, oder?

Steinkellner: Natürlich gibt es immer wieder Vorbehalte gegenüber Menschen anderer Kulturen. Wichtig ist: Man muss nicht mit Jedem Freundschaft schließen, aber man muss jeden Menschen respektieren und in seiner Persönlichkeit zur Kenntnis nehmen. Für viele Menschen aus anderen Herkunftsländern ist unsere Welt eine fremde Welt. Manche integrieren sich leichter, manche tun sich schwerer. Ich denke einfach, dass der Besuch des Stammtisches eine sehr sinnvolle Freizeitbeschäftigung ist. Wir suchen hier das Verbindende, nicht das Trennende – und zwar religions- und nationalitätsübergreifend. Wir wollen uns gemeinsam in Amstetten wohlfühlen.

Tips: Was passiert rund um den Multi-Kulti Stammtisch?

Steinkellner: Dadurch, dass beim Multi-Kulti-Stammtisch nichts verordnet wird, sind beim gemeinsamen Plaudern und Zusammensitzen bereits viele Ideen entstanden, die auch umgesetzt wurden wie etwa das „Miteinander Aktiv-Wandern“ in Kooperation mit den Naturfreunden, das Nähcafé, der Verein „Leila“ oder der Verein „G'scheckat“. Außerdem organisieren wir Hilfe, wo sie benötigt wird. Wir erleben ja hautnah viele Schicksale mit.

Tips: Das denke ich mir. Wie geht es dir persönlich damit?

Steinkellner: Wir sind mit dem Leid vieler Menschen unmittelbar konfrontiert – derzeit vor allem durch den Krieg in der Ukraine oder den Erdbeben-Folgen in Syrien und der Türkei. Auf einmal rückt das ganz nahe heran. Daran werde ich mich nie gewöhnen.

Tips: Warum ist es gerade heute wichtig, dass es Begegnungsplattformen wie den Multi-Kulti-Stammtisch gibt?

Steinkellner: Man merkt vom Besuch her, dass der Stammtisch absolut notwendig ist. Pro Termin können wir durchschnittlich 60 Personen begrüßen. Ich denke, dass er gerade jetzt wichtiger denn je ist. Der Stammtisch ist auch für Österreicher ein beliebter Fixpunkt im Monat geworden, um aus dem Alltag rauszukommen und Leute kennenzulernen. Das Problem der Vereinsamung trifft ja die gesamte Gesellschaft ...

Tips: Was wünscht du dir für die Zukunft des Multi-Kulti Stammtisches?

Steinkellner: Da habe sogar einen ganz konkreten Wunsch: Am Amstettner Rathaus sind ja Schautafeln montiert, in denen Vereine ihre Termine bekanntgeben. Auch für den Multi-Kulti-Stammtisch wäre eine solche Schautafel dringend notwendig. Dann könnten wir unsere Veranstaltungen und Termine besser öffentlich machen und hätten mehr Aufmerksamkeit. Das wäre eine tolle Sache! Vielleicht wird's was!