SoHo NÖ-Vorsitzende Birgit Kern: „Wir brauchen ein gezieltes Vorgehen aller staatlichen Stellen gegen Hass"

Tips:Frau Kern, Sie wurden 2024 zur Vorsitzenden der SoHo Niederösterreich gewählt. Was hat sich seither getan? Welche Pläne/Ziele verfolgen Sie für dieses Jahr?

Birgit Kern: Aktuell üben wir als SoHo unser Demonstrationsrecht bei den Regenbogenparaden aus, das ist nach wie vor die wichtigste Zeit für uns im Jahr. Noch vor der offiziellen Wahl zur Vorsitzenden besuchten mein Vorstandsteam und ich unseren Landesparteivorsitzenden Landesrat Sven Hergovich (SPÖ), der dann auch durch seinen Gegenbesuch bei der Landeskonferenz seine Solidarität bekundete. Meine Aktivitäten erhielten von Beginn an Unterstützung durch unsere Amstettner Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ), die auch bei der Konferenz motivierende Worte fand. Gefragt nach unseren Zielen kann ich auf unsere Resolution bei der Konferenz verweisen, die besagt, dass es in allen (zumindest roten) Kommunen ein sichtbares Zeichen der Solidarität mit der LGBTIQ+ Community wie Regenbogenfahnen im Pride Monat Juni geben soll. Noch wichtiger sind Beratungsmöglichkeit vor allem für Jugendliche, aber das ist nicht so kurzfristig umsetzbar. Ich stehe im intensiven Austausch mit der SoHo Österreich, wir stimmen uns gut in der Bewusstseinsbildung und Medienarbeit ab, auch eine Umfrage unter Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern ist in Vorbereitung.

Tips:Gemeinsam mit SoHo Österreich hat die SPÖ dazu aufgerufen, den Diskriminierungsschutz auszubauen. In welchen Bereichen werden Menschen der LGBTIQ+ Community besonders diskriminiert?

Kern: Derzeit ist wieder eine Zunahme der Intoleranz gegenüber LGBTIQ+ Personen wahrzunehmen. Opfer von Gewalt wurden 15 Prozent aller LGBTIQ+ Personen in den letzten fünf Jahren in Österreich. Allein im letzten Jahr waren es sechs Prozent. Wir brauchen ein gezieltes Vorgehen aller staatlichen Stellen gegen Hass. Niemand sollte Angst haben müssen, auf der Straße niedergeschlagen zu werden, nur weil wir offen zeigen, wer wir sind oder wen wir lieben!

Tips:SoHo-Bundessekretär Sebastian Pay betonte, dass der Schutz vor Diskriminierung in Österreich aufhöre, sobald man den Arbeitsplatz verlasse. Was sind Ihre Erfahrungen diesbezüglich?

Kern: Vor ein paar Jahren haben meine Frau und ich in einem Freibad in Kärnten keine Familienkarte bekommen, weil uns als Frauenpaar mit zwei Kindern „der Mann gefehlt“ hat, obwohl wir zu diesem Zeitpunkt bereits verpartnert waren. Die Freude am Schwimmen ist uns damals allen Vieren vergangen. Viele in unserer Community haben ähnliche und auch noch einschneidendere Erfahrungen gemacht, zum Beispiel für die Miete einer Wohnung abgelehnt zu werden. Es ist an der Zeit, dass wir endlich vollen Schutz in allen Lebenslagen bekommen!

Tips:Die SPÖ hat auch eine Umfrage genannt, laut derer zwei von fünf Personen aus der Community Diskriminierung erfahren. Haben Sie hier weitere Zahlen und um welche Umfrage handelt es sich?

Kern: Unter dem Titel „LGBTIQ Equality at a Crossroads: Progress and Challenges“ präsentierte die Europäische Grundrechte-Agentur FRA Mitte Mai 2024 in Wien die bisher größte Erhebung zur Situation von LGBTIQ+ Personen in Europa. Die Ergebnisse zeigen dabei ein Bild, vor dem die Zivilgesellschaft auch in Österreich seit Jahren gewarnt hat: Die mehr als 100.000 Befragten berichten von einer massiven Zunahme von Gewalt und Hass gegen die LGBTIQ+ Community, auch in Österreich. Hierzulande erlebte laut FRA-Befragung jede fünfte LGBTIQ+ Person im vergangenen Jahr Diskriminierung am Arbeitsplatz, zwei von fünf LGBTIQ+ Personen erlebten Diskriminierung in anderen Lebensbereichen.

Tips: Auch sogenannte Konversionstherapien sollen verboten werden, fordern SoHo und SPÖ. Was hat es damit auf sich?

Kern: Ein Drittel aller LGBTIQ+ Personen in Österreich gibt an, dass sie bereits ‚Konversionspraktiken‘ erlebt hat, mit denen ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität verändert werden soll. Diese erschreckende Zahl zeigt deutlich, dass wir endlich ein gesetzliches Verbot dieser gefährlichen Praktiken brauchen. Zweimal hat sich der Nationalrat schon für dieses Verbot ausgesprochen, die Umsetzung lässt leider bis heute auf sich warten.

Tips:Wo besteht im Bezirk in Sachen Diskriminierung noch dringender Handlungsbedarf?

Kern: Für eine Bezirksstadt wie Amstetten wäre ein Gleichbehandlungsbüro im Rathaus sowie eine Beratungsstelle für den ganzen Bezirk von großer Bedeutung.

Tips:Wie wichtig ist es, Jugendliche zu sensibilisieren? Gibt es auch Projekte mit Schulen?

Kern: Wir selbst dürfen als SoHo, also als parteinaher Verein, nicht in Schulen gehen, aber selbstverständlich ist Sensibilisierung in Schulen sehr wichtig. Wir stellen erste Überlegungen an, wie durch Partnerorganisationen Projekte für Schülerinnen und Schüler ebenso wie für Lehrende umgesetzt werden könnten.

Tips:Wie haben sich die Projekte in Amstetten – also der LGBTIQ+ Stammtisch sowie die Kooperation mit dem Verein Perspektive Kino – entwickelt?

Kern: Sehr gut! Beides hat sich zu einem fixen Bestandteil des Amstettner Kulturlebens entwickelt. Der Stammtisch findet an jedem 3. Donnerstag im Monat statt. Perspektive Kino hat erst vor Kurzem Shirel Pelegs Film „Kiss Me Kosher“ gezeigt, eine Komödie über eine Kultur-übergreifende lesbische Beziehung einer Israelin mit einer Deutschen in Israel. Weitere Filme folgen!

Rad Pride Amstetten