„Autismus kann man den jeweiligen Menschen nicht ansehen“
BRAUNAU. In Braunau gibt es einen neuen Stützpunkt für Frühintervention bei Autismus. Dieses Angebot soll autistische Kinder und ihre Eltern unterstützen. „Jede autistische Person ist dabei einzigartig“, erklärt Eva Dely, die Teamleiterin der Linzer Autismus Intervention für Kinder (LAIK).
Autismus zählt zu den Neuroentwicklungsstörungen und wird als Autismusspektrumsstörung (ASS) bezeichnet. „Es handelt sich um genetisch verursachte veränderte Arbeitsweisen des sozialen Gehirns, die dazu führen, dass Kinder von Anfang an weniger Interesse an anderen Menschen zeigen und Unterstützung dabei brauchen, Beziehungen aufzubauen und sich sozial angepasst zu verhalten“, sagt Dely. „Ich denke jedoch, jede autistische Person sollte selbst definieren, wie sie ihren Autismus erlebt, denn wie das Wort Spektrum zeigt, kann sich Autismus ganz unterschiedlich zeigen und auswirken.“
Bei Kindern wird Autismus diagnostiziert, wenn Einschränkungen in den Bereichen soziale Interaktion und Kommunikation sowie restriktive, repetitive und unflexible Verhaltensweisen und Interessen vorhanden sind. Die Häufigkeit wird mit 1:100 angegeben. In der Frühintervention werden vor allem Kinder zwischen zwei bis vier Jahren betreut. „Eltern berichten, dass sie sich Sorgen machen, weil ihr Kind nicht zu sprechen begonnen hat oder aufgehört hat, bereits erlernte Wörter zu sprechen“, erzählt die Teamleiterin. Eltern haben außerdem teilweise das Gefühl, dass ihr Kind schlecht hört, da es nicht auf ein Zurufen reagiert. Häufig erzählen Eltern, dass Kinder wenig Interesse an der üblichen Verwendung von Spielsachen haben und von Details anderer Gegenstände fasziniert sind. „Auch fehlender oder eingeschränkter Blickkontakt wird oft beobachtet.“
Früherkennung ist wichtig
Ein Gespräch mit dem Arzt sei dann ratsam, sobald man sich Sorgen macht. „Eine Früherkennung ist sehr wichtig, aber leider sind die Wartezeiten für Diagnostik und Therapie oft noch viel zu lange.“ Um eine Therapie in Braunau erhalten zu können, muss das Kind bei den Barmherzigen Brüdern Linz auf der neurologisch-linguistischen Ambulanz diagnostiziert werden. Dann wird es an den Stützpunkt überwiesen. Eine sichere Diagnose sei meist ab zwei Jahren möglich, so die Expertin.
Danach müssen vor allem die Eltern viel verarbeiten. Daher werden Elternaustauschrunden, die von selbst betroffenen Elternpeers geleitet werden, angeboten. Hier können sich die Eltern auch gegenseitig weiterhelfen. Bei einem Workshop erhalten sie außerdem weitere Infos. „Wichtig ist für uns, dass Eltern nicht in der Trauer oder einer Depression stecken bleiben, sondern ins Handeln kommen und zuversichtlich sind, etwas tun und bewirken zu können“, betont Dely.
Natürliche Methoden
Zur Unterstützung wird mit naturalistischen Methoden gearbeitet. „Das bedeutet, wir versuchen natürliche Spiel- und Alltagssituationen zu nützen. Uns ist wichtig, dass sich das Kind wohlfühlt, motiviert ist und Freude an der sozialen Interaktion entdeckt“, sagt Dely. Den Eltern wird vermittelt, ihr Kind gut zu beobachten und sensibel und responsiv auf ihr Kind einzugehen, während ihm gleichzeitig geholfen wird, adäquate Kommunikation einzusetzen.
In Braunau kommen erprobte Konzepte zum Einsatz, es werden Ziele und familiäre Ressourcen besprochen und ein Therapieplan erstellt. Es wird nicht nur ambulant gearbeitet, sondern die beiden Therapeutinnen fahren auch zu den Familien nach Hause oder in den Kindergarten. Da die Eltern die Experten für ihre Kinder sind, werden auch sie gecoacht, damit sie erfolgreich mit ihren Kindern kommunizieren und interagieren können. Dazu arbeiten die Therapeutinnen auch mit Kooperationspartnern in Braunau zusammen. „Die Zusammenarbeit mit Kindergärten ist uns ein sehr großes Anliegen, weil der Kindergarten viele Lernmöglichkeiten für ein Kind mit ASS bietet, der Alltag aber auch sehr herausfordernd sein kann. Wir möchten, dass Pädagogen noch besser unterstützt werden.“
An der Johannes Kepler Universität in Linz versucht Dely mit ihrem Team die Wirksamkeit von verschiedenen Therapieansätzen zu erforschen und es werden Screeningmethoden zur frühen Erkennung von Autismus entwickelt. „Weltweit wird viel in die genetische Forschung investiert“, berichtet die Expertin.
Viele Klischees
Ihr ist es wichtig, dass sich die Menschen von den gängigen Klischees, die man oft in den Medien vermittelt bekommt, verabschieden. „Jede autistische Person ist einzigartig und gehört auch so behandelt. Autismus kann man den Menschen nicht ansehen und für viele Eltern ist es sehr belastend und kränkend, wenn ihnen von anderen Personen vorgeworfen wird, ihr Kind sei nicht erzogen oder ein ‚schlimmes‘ Kind.“ Die Teamleiterin würde sich wünschen, dass Familien und Kinder mit ASS keine Ausgrenzung erleben müssen. „Ich möchte allen, die mit Menschen mit ASS zusammentreffen, Mut machen, dass wir unsere neurotypische Denkweise mal verlassen und versuchen, die autistische Wahrnehmung und die Perspektive der Menschen mit ASS einzunehmen.“
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