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„Erst wenn ich die Geschichte im Herzen spüre, kann ich sie erzählen“

Online Redaktion, 12.01.2023 10:11

ROSSBACH. Anneliese Uttenthaler aus Roßbach taucht in ihrer Pension als professionelle Erzählerin tief in die Welt der Märchen und Sagen ein und ermutigt auch andere, sich mitzuteilen. Sie weiß, wie wichtig das Erzählen und Zuhören sind.

Anneliese Uttenthaler bietet beim Erzählen ein ganzheitliches Erlebnis. (Foto: Privat)
Anneliese Uttenthaler bietet beim Erzählen ein ganzheitliches Erlebnis. (Foto: Privat)

„Es gibt keine größere Sehnsucht eines Menschen als jemanden zu finden, der einem zuhört.“ Dieser Spruch von Folke Tegetthoff steht im Haus der Erzählerin – und diese Weisheit hat sie sich auch zu Herzen genommen.

Anneliese Uttenthaler war in den ersten Berufsjahren Kindergärtnerin, später Unternehmerin. Schon ihren drei Kindern las sie gerne Geschichten vor. Als die Pensionierung in greifbare Nähe rückte, stellte sich die Frage, wie die zusätzliche freie Zeit genutzt werden könnte. „Mir war klar: Ich möchte etwas Sinnvolles machen“, erzählt die Roßbacherin.

Bei ihrer Suche nach einer neuen Aufgabe stieß sie auf die „Goldmund-Erzählakademie“ in München. Daraufhin machte sie ein Jahr lang die Ausbildung „Geschichten erzählen“. Seitdem verzaubert sie sowohl Kinder als auch Erwachsene mit ihren Geschichten, Sagen und Märchen.

Wenn sie für Kinder erzählt, etwa bei einer vergnüglichen Märchenstunde, sorgt sie für eine mehr als märchenhafte Atmosphäre. Die Vorhänge sind zu, der Raum wird mit Kerzen und einem „Märchenlicht“ in ein mystisches Licht getaucht. Durch einen goldenen Reifen betreten die Kinder das Märchen- und Geschichtenland und nehmen am Boden Platz. „Es ist wunderschön zu sehen, wie sie in die Geschichten eintauchen.“

Mithilfe eines „Kamishibai“, eines kleinen Tischtheaters, das ursprünglich aus Japan stammt, gibt es bildliche Anregungen. Es werden Instrumente verwendet wie das Saiteninstrument Kotamo. Auch Stoffe, Dinge und Farben regen die Fantasie an. Alles ist für die Kinder wichtig, sowohl die Atmosphäre, die Stimme, Geborgenheit, Ruhe und Musik – das bestätigt auch der Neurobiologe Gerald Hüther. Und all die Vorbereitungen lohnen sich: „Die Kinder sitzen bis zu einer dreiviertel Stunde ruhig da und genießen die Stille und das Zuhören. Das Gleiche gilt auch für Erwachsene.“

Eingebettet in die Region

Beim Erzählen beginne ich meistens damit, zu erklären, wo die Geschichten herkommen“, berichtet Uttenthaler. „Im Wald gibt es eine Eule, die Geschichten aus aller Welt in einem Buch sammelte. Dieses fiel im Wald von einem Baum, bei einem Spaziergang in der Region fand ich es“, sagt Uttenthaler den Kindern.

In Wahrheit ist die Erzählerin stets auf der Suche nach guten Geschichten. Ist eine solche gefunden, wird diese zwei bis höchstens drei Mal gelesen. Dann schreibt sie die Geschichte noch einmal für sich, erzählt sie sich bei Spaziergängen und macht sie zu ihrer eigenen. „Es dauert ein paar Wochen, manchmal sogar Monate, bis man sie wirklich drinnen hat. Erst wenn ich sie in meinem Herzen spüre, kann ich sie erzählen.“ Mit der Zeit kann sich die Geschichte noch verändern. Denn beim Erzählen werden auch die Kinder mit eingebunden.

Am liebsten erzählt Uttenthaler Geschichten aus aller Welt – für Kinder vor allem Märchen –, beispielsweise „Es klopft bei Wanja in der Nacht“. Sehr gerne führt die Erzählerin ihre Zuhörer aber auch in Raunachtsgeschichten ein. Eine ihrer Lieblingsgeschichten ist „Das ausgeblasene Licht“.

Geborgenheit schenken

Märchen haben laut Uttenthaler eine vielfältige Funktion. „Sie zeigen, wir sind nicht alleine – es gibt Helfer. Und: Du schaffst das.“ Sie ermutigt Eltern, sich am Abend Zeit zu nehmen, um Kindern Geschichten zu erzählen. „Hier kann man Geborgenheit schenken und viel für das Leben mitgeben.“ Das betrifft nicht nur die Kinder, sondern auch Erwachsene. „Kindern erzählt man Geschichten, um einzuschlafen, Erwachsenen erzählt man Geschichten, um aufzuwachen“, ist eine weitere Lebensweisheit der Roßbacherin.

Heilsames Erzählen

Neben den Märchenstunden mit Kindern bietet die Erzähl-Expertin im ZIMT Begegnungszentrum Braunau daher auch ein Erzählcafé für Frauen ab 60 an. In einem geborgenen Rahmen trifft sich hier eine kleine Gruppe mit bis zu acht Teilnehmerinnen. Zu den Treffen nimmt sie Geschichten, anregende Texte oder Lieder zu einem bestimmten Thema mit, wobei auch hier die Teilnehmerinnen involviert werden. Die Frauen können dabei auch aus ihrem eigenen Leben erzählen. „Sie berichten beispielsweise über ihre Kindheit und Jugend. Das tut gut – manchmal versöhnt man sich so mit der eigenen Geschichte und manches kann dadurch auch wieder heil werden.“

Beim letzten Treffen erzählte Uttenthaler etwa eine Raunachtsgeschichte und es wurde von der früheren Weihnachtszeit berichtet. „In unserer Runde ist auch eine 86-jährige Frau, die auf ein langes Leben zurückblickt.“

Gerade für ältere Menschen kann das Erzählen sehr heilsam sein. „Viele alte Leute sind in der Pandemie einsam geworden. Es macht ihnen Freude, über ihre eigene Geschichte von Herzen zu reden – oder auch einfach zuzuhören.“

Wer am Erzählcafé interessiert ist: Die Gruppe nimmt auch neue Teilnehmerinnen auf. Die Treffen finden einmal im Monat statt, Termine noch bis Februar. Anmeldung: Tel. 0676 7574391.

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