„Immer mehr Jugendliche gehen der Ausbildungspflicht nicht nach“
BRAUNAU. Die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildungsabschluss im Bezirk Braunau steigt, das zeigte der dritte Leader-Netzwerk-Dialog zum Thema Berufsausbildung und -orientierung. Eine Petition soll neue Lösungsansätze bringen.
„Wenn du schnell gehen willst, gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, gehe mit anderen“, zitierte die Projektleiterin Edith Konrad zu Beginn des Abends ein australisches Sprichwort und unterstrich so das Ziel der Netzwerktreffen: vernetzen, Synergien entdecken sowie voneinander und miteinander lernen, um die Berufsorientierung zu verbessern. Die Teilnehmer aus verschiedensten Sparten, unter anderem aus dem Sozial- und Bildungsbereich, trafen sich dazu im ZIMT.
Ausgangspunkt des Dialogs war ein Vortrag von Cathrin Schmiedlindl, die als Jugendberaterin im AMS Braunau tätig ist. Sie gab einen Überblick zum Lehrstellen- und Arbeitsmarkt in der Region und machte auf aktuelle Probleme aufmerksam. Sie berichtete, dass die Arbeitslosigkeit nach wie vor gering ist. Aktuell sind beim AMS 113.000 offene Stellen gemeldet. In Braunau beträgt die Arbeitslosenquote nur vier Prozent.
„Man merkt, dass vor allem bei den jungen Erwachsenen der Wille nach Teilzeitarbeit in Hinblick auf die Life-Work-Balance steigt“, erzählte Schmiedlindl. Während immer mehr Frauen, Langzeitarbeitslose und Menschen über 55 eine Beschäftigung eingehen, seien allerdings vermehrt Jugendliche arbeitslos.
Berufsausbildung fehlt oft
Wie sich Bildung auf die Arbeitslosigkeit auswirkt, machte die Jugendberaterin mit den Ergebnissen einer AMS-Studie deutlich. Die meisten Arbeitslosen haben maximal einen Pflichtschulabschluss. In ganz Österreich betrifft das 117.338 Menschen (44,6 Prozent). 29,6 Prozent der arbeitslosen Menschen haben einen Lehrabschluss, 6,9 Prozent einen Abschluss einer Universität oder Hochschule. In Braunau waren im März 972 Menschen, die maximal einen Pflichtschulabschluss haben, arbeitslos gemeldet.
Das AMS will somit auf Bildung setzen, um der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Allerdings wird die Ausbildungspflicht, die in Österreich bis zum 18. Lebensjahr besteht, immer öfter vernachlässigt, berichtet Schmiedlindl. Diese Erfahrung machten auch einige Dialog-Teilnehmer. So nutzen Jugendliche und Eltern Schlupflöcher.
System wird umgangen
Teilnehmer des Treffens erzählten, dass das System teilweise umgangen wird. So melden sich manche Jugendliche in Kursen an. Wenn sie den Kurs nicht mehr besuchen, dauert es lange, bis sie wieder im System auftauchen. Werden Eltern auf die Ausbildungspflicht aufmerksam gemacht, wird das oft ignoriert. Manche Jugendlichen warten auch, bis sie 18 Jahre alt sind, um dann Hilfsarbeiter zu werden.
Adnan Ramić, Jugendcoach in Pflichtschulen, versucht dem entgegenzuwirken, indem er in seiner Beratung die Lehre bewirbt und über das Duale Ausbildungssystem in Österreich aufklärt.
Wegen des Arbeitskräftemangels nehmen ein paar Firmen auch unter 18-Jährige auf. Für Firmen und Eltern gibt es kaum Konsequenzen, wenn sie die Ausbildungspflicht ignorieren. Das Fazit der Dialog-Teilnehmer: Der aktuelle Ansatz, wie mit der Ausbildungspflicht umgegangen wird, funktioniert offenbar nicht. Eine Petition soll die Problematik aufzeigen.
Immer mehr Analphabeten
Ein weiteres großes Thema: „Es gibt viele funktionale Analphabeten. Sie werden tendenziell mehr – auch im Bezirk Braunau“, berichtete Schmiedlindl. Das betreffe nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund. Zudem sieht die Jugendberaterin in ihrer Arbeit auch, dass sich bei vielen Jugendlichen der Berufseinstieg wegen psychischer Probleme verzögert.
Die AMS-Mitarbeiterin nutzte das Treffen auch, um auf verschiedenste Ausbildungsmöglichkeiten hinzuweisen. Wer sich beispielsweise für eine Lehre entscheidet, kann neben einer Dualen Ausbildung und einer Lehre mit Matura auch eine verlängerte oder verkürzte Lehre absolvieren. Eine neue Leader-Broschüre gibt weitere Infos zur Berufsorientierung.
Junge Vorbilder
Für eine Karriere mit Lehre warben an dem Abend auch drei erfolgreiche ehemalige Lehrlinge aus dem Bezirk: die Friseurin Seda Türkoglu, der Schweißer Daniel Schinagl und der Maschinenbautechniker und technische Zeichner Matthias Lorenz. Alle drei waren bei diversen Lehrlingswettbewerben, unter anderem bei den Berufsweltmeisterschaften, sehr erfolgreich und wollen nun auch andere inspirieren. Sie – und andere Role Models – können ab Herbst bei Dieter Geisberger vom ABZ Braunau unter dieter.geisberger@abz.at von Schulen für den Berufsorientierungsunterricht angefragt werden.
Dass sich Fleiß auszahlt, zeigte Türkoglu ganz deutlich. Sie hat inzwischen einen eigenen Friseursalon mit drei Lehrlingen, will bald einen zweiten Salon eröffnen und ist Mitglied der Friseurinnung. Die Tipps der Role Models an Jugendliche: Berufsorientierung nutzen, ehrgeizig sein und aus Fehlern lernen.
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