Dokumentarfilmer: „Das Klischee der braunen Stadt ist absolut falsch“
BRAUNAU. Günter Schwaiger sorgt derzeit mit der Veröffentlichung seines Dokumentarfilms über Hitlers Geburtshaus für Aufsehen. Wie es zu „Wer hat Angst vor Braunau?“ kam und welche Erkenntnisse der Regisseur selbst aus dem Projekt zieht, darüber sprach er mit Tips.
Tips: Warum entschieden Sie sich 2018, einen Film über Hitlers Geburtshaus zu drehen?
Günter Schwaiger: Julia Mitterlehner, die Produzentin des Filmes, hatte erfahren, dass in Hitlers Geburtshaus die Sozialeinrichtung Lebenshilfe reinkommen sollte. Ich fand das eine wunderbare Idee der Nachnutzung und symbolisch ideal. Ich dachte: Endlich macht die Republik Österreich in der Geschichtsaufarbeitung einen großen Schritt nach vorn. So begannen wir den Film mit viel Freude und hatten sogar schon Protagonisten der Lebenshilfe Braunau. Doch plötzlich wurde im Innenministerium entschieden, die Polizei kommt ins Haus. Für uns war das ein Schock und das Gefühl, wieder ein Stück in die Vergangenheit gestoßen zu werden.
Tips: Sie stellten sich ja anfangs die Frage, warum noch nie ein Film über das Hitler-Geburtshaus gedreht wurde. Fanden Sie nun eine Antwort darauf?
Schwaiger: Ich war selbst verblüfft. Ich habe später gehört, dass es Versuche gegeben hat. Aber niemand wollte diese Projekte unterstützen. Vielleicht hatten die Entscheidungsträger keinen Willen, da es ja bequem ist, einen Schuldigen zu haben. „Es ist sehr bequem zu sagen, die sind’s gewesen“, sagt der Historiker Florian Kotanko im Film. Das ungerechte Stigma von der „braunen Stadt“ erlaubt es ja uns allen Nicht-Braunauern, unser eigenes schlechtes Gewissen dort abzulagern.
Tips: Welche Erwartungen hatten Sie denn zum Start des Projektes?
Schwaiger: Wir wollten einen ehrlichen und bewegenden Film über einen positiven Umpolungs-Prozess machen. Mit dem Einzug der Lebenshilfe in das Haus hätte Österreich ein bewundernswertes internationales Signal ausgesendet. Und wir hätten diesen Prozess filmisch begleitet.
Tips: Was möchten Sie mit dem Film bewirken?
Schwaiger: Wir hoffen, dass möglichst viele Menschen den Film sehen. Und nicht nur wegen des Aufsehen erregenden „Funds“, sondern vor allem, weil es im Film so vieles gibt, worüber man nachdenken kann und wo man sich selbst finden kann. Der Film ist ja auch sehr persönlich und emotional. Und er wirft auch ein völlig anderes Bild auf Braunau.
Tips: Welchen persönlichen Eindruck hatten Sie denn von der Stadt und ihren Bewohnern?
Schwaiger: Ich hatte, und das kommt auch im Film vor, dieselben Vorurteile wie die meisten Menschen, die Braunau nicht kennen. Und das obwohl ich in der Nähe von Braunau aufgewachsen bin, am Wallersee. Heute denke ich völlig anders. Abgesehen davon, dass wir eine moderne, offene und sehr schöne Stadt kennen gelernt haben, sind es vor allem die Menschen, die uns beeindruckt haben. Wir haben viele interessante und nette Menschen kennen gelernt, die sich in überwiegender Mehrheit sehr bewusst mit der Geschichte Österreichs und der Verantwortung ihres Erbes auseinandersetzen. Natürlich ist auch Braunau nicht perfekt. Niemand ist das. Aber gerade was Aufarbeitung betrifft, können sich viele vergleichbare österreichische Städte von Braunau etwas abschauen. Das Klischee der „braunen Stadt“ ist also absolut falsch.
Tips: Was war denn nach Fertigstellung des Films für Sie selbst die größte Erkenntnis?
Schwaiger: Wir glauben, wir sind sicher vor der Vergangenheit. Aber die Spuren der Vergangenheit sind immer noch in uns. Auf das müssen wir schauen. Nicht in die Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart, in die die Vergangenheit immer noch hineinwirkt. Deshalb hat der Film ja auch diesen Untertitel. Ich möchte mich dabei keinesfalls herausnehmen. Darum ist auch meine Familie im Film. Aufarbeitung ist vor allem im Familiären wichtig. Davor sollten wir keine Angst haben. Die Angst vor Braunau ist eine künstliche Angst, die von außen geschürt ist, um von der eigentlichen Angst abzulenken: der Angst vor der eigenen Familiengeschichte. Diese Aufarbeitung ist großteils noch nicht passiert. Sich ihr zu nähern, hat, wenn wir uns Zeit und Gefühl dafür nehmen, nichts Konfliktes, sondern etwas Heilendes.
Dienstag, 29. August
Hitlers Geburtshaus, Braunau
20 Uhr
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