„Trauer ist zu Beginn wie ein Brocken – mit Trauerarbeit zerbricht er“
GILGENBERG. Andrea Brunner aus Gilgenberg hat einen besonderen Beruf: Sie unterstützt als Trauerbegleiterin Menschen mit Verlusterfahrungen.

Über Tod und Trauer wird kaum gesprochen. Tritt ein Trauerfall ein, sind Angehörige und ihr Umfeld oft überfordert. Andrea Brunner hat wenig Berührungsängste vor den Themen. Die Gilgenbergerin hat seit 2010 eine Praxis für Psychosoziale Beratung in Eggelsberg und ist Mitarbeiter-Beraterin. Als vermehrt Klienten mit Trauerthemen zu ihr kamen, erkannte sie ihre Berufung: „Ich habe gespürt, dass die Unterstützung trauernder Menschen für mich besonders sinnstiftend, wertvoll und berührend ist.“ Sie entschloss sich, Expertin zu dem Thema zu werden und machte weitere Ausbildungen.
Begleitung beim Trauerweg
Eine Trauerbegleiterin hilft Menschen, mit der Trauer um Verluste jeglicher Art umzugehen. „Sie zeigt den Trauerweg mit allen Phasen, die es zu durchlaufen gilt und begleitet hindurch“, erklärt Brunner. Gefühle können so in einem geschützten Raum bewältigt werden.
„Hier dürfen Tränen geweint, Schmerz gefühlt und über Erinnerungen gesprochen werden. Es darf auch endlich mal wieder herzhaft gelacht werden, was sich viele Trauernde in der Öffentlichkeit untersagen, aber für sie unglaublich wichtig und erleichternd ist.“ Durch verschiedene Übungen und Methoden werden belastende Themen aufgearbeitet.
Aberkannte Trauer
Je jünger der geliebte Mensch war, je plötzlicher der Tod eintrat und je inniger die Beziehung war, umso mehr sind die Menschen von der Situation überfordert. Manchmal kommen auch Menschen mit „aberkannter Trauer“ zur Begleitung, beispielsweise, wenn eine Frau eine Fehlgeburt hatte oder der Verstorbene schon älter war oder lange gepflegt wurde. Dann reagiert das Umfeld auf die tiefe Trauer oft mit Unverständnis. „Aber die, die zurückbleiben, müssen nun ohne ihren geliebten Menschen weiterleben und damit klarkommen. Ein Teil ihres Lebens, die geliebte zweite Hälfte, die ihnen gezeigt hat, wer und wie sie in ihren Augen sind, ist nicht mehr da. Dies hinterlässt eine große Lücke, die es erst wieder zu füllen gilt.“
Verarbeitet werden muss nicht nur der Verlust, sondern auch eine neue Rolle – etwa als Witwer. Oft kommen finanzielle oder andere Sorgen, wie der Umgang mit Ämtern oder Hinterlassenem hinzu. „Hier braucht es ein gutes soziales Netzwerk, um Trauernde mit diesem Berg an Herausforderungen zu unterstützen.“
Kein „richtiges Trauern“
Laut Brunner gibt es kein „richtiges Trauern“. „Wichtig ist, zuzulassen, dass man traurig sein darf.“ Dass man schnellstmöglich zum Alltag zurückkehren soll und die Trauerzeit nur auszusitzen braucht, sei ein Irrtum. „Trauerarbeit ist tatsächlich Arbeit und es braucht viel Zeit, um die Trauer so überwunden zu haben, dass man wieder hoffnungsvoll auf ein Leben ohne den Verstorbenen zugehen kann. Nicht umsonst gab es früher das Trauerjahr, damit alle besonderen Tage einmal durchlebt, getrauert und neue Rituale entwickelt werden konnten .“
So kann man unterstützen
Der Satz „Du musst den Verstorbenen loslassen“ ist der Trauerbegleiterin zufolge mehr belastend als hilfreich. Viele interpretieren ihn so, dass sie die geliebten Menschen vergessen müssen. Vielmehr gehe es darum, akzeptieren zu lernen, dass der Verstorbene zwar körperlich nicht mehr da ist, aber in der liebevollen Erinnerung immer da sein wird. Rituale und Erinnerungsstücke spielen dabei eine große Rolle. „Durch sie besteht das Gefühl, dass der Verstorbene noch da ist. Trauern bedeutet auch liebevoll erinnern.“
Unterstützung anbieten
Wer Trauernde unterstützen möchte, sollte sie am besten fragen, was jetzt konkret hilfreich wäre, rät Brunner. Dann sollte konkrete Unterstützung angeboten werden. Zu sagen „Melde dich, wenn du was brauchst“, sei wenig zielführend. Das ist den Trauernden oft nicht möglich. Besonders wichtig: Da zu sein, damit die Einsamkeit nicht noch verstärkt wird, aber auch akzeptieren, wenn der Trauernde alleine sein mag.
Die Arbeit mit Trauernden prägte Brunner auch persönlich. „Mein Zugang zu unserer Endlichkeit hat sich verändert, da mir bewusst wurde, dass wir meistens weniger vor dem Sterben, sondern vor den Umständen Angst haben. Wenn wir den Tod wie unsere Geburt als zum Leben dazugehörend betrachten würden, dann würden wir das Leben viel bewusster und achtsamer leben. Wenn man Verstorbene sieht, liegt oft viel Frieden in ihren Gesichtern. Im Grunde, wenn es kein plötzlicher Todesfall war, ist es ein Hinüberschlafen.“
Berührende Momente
Laut Brunner gibt es in ihrem Beruf auch viele schöne und berührende Momente: „Ich bin oft erstaunt, wie vielfältig manche mit der Trauer umgehen. Ich spüre tiefe Dankbarkeit, dass sich Menschen in ihren verletzlichsten Momenten und schwierigsten Phasen vertrauensvoll öffnen und ich sie begleiten darf, aus dem ‚Tal der Tränen‘ wieder herauszukommen. Für mich ist es eine sehr wertvolle, oft herausfordernde, wunderschöne Arbeit. Es tut gut, den Menschen Unterstützung sein zu können, in dem Wissen, dass der Trauerweg am Anfang sehr beschwerlich sein kann, aber es von Stufe zu Stufe leichter wird. Trauer ist zu Beginn wie ein Brocken, der uns fast umhaut. Mit der Trauerarbeit zerbricht dieser nach und nach. Am Schluss hat man dann noch einen kleineren in der Hand, diesen trägt man als Schatz ein Leben lang in liebevoller Erinnerung mit sich.“
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