ENNS/ST. VALENTIN. Anna Steininger kennt man einfach. Jahrelang arbeitete sie in der Volksbank in Langenhart und 50 Jahre war sie beim Roten Kreuz und in der Pfarre aktiv. Am 7. September 2024 feierte sie ihren 95. Geburtstag und schilderte im Erzählcafé des Mauthausen Komitee Enns den Alltag ab dem März 1938.
Nicht nur Ennser waren in den Pfarrsaal St. Laurenz gekommen, auch zahlreiche St. Valentiner waren unter den Besuchern des Erzählcafés, das vom Mauthausen Komitee organisiert und von Stefan Dorninger moderiert wurde. Anna Steininger wurde am 7. September 1929 in Gutenhofen geboren. Ihre Eltern hatten eine Landwirtschaft mit Sägewerk und Schwarzbrotbäckerei. Nach dem Besuch der Hauswirtschaftsschule in Erla arbeitete Steininger in der Volksbank und engagierte sich ehrenamtlich in der Pfarre und beim Roten Kreuz. Eindrucksvoll schilderte sie ihren Alltag ab dem 5. März 1938, an dem ihr jüngster Bruder auf die Welt kam. „In der Schule waren wir fünf Mädchen, wo die Eltern keine Nazis waren. Die anderen wären auch keine Nazis gewesen, aber es war ja eine Arbeitslosigkeit und viel Armut.“
Propaganda aus der Luft
Am 12. März marschierte Hitler in Österreich ein und Flugzeuge, aus denen Werbematerial abgeworfen wurde, flogen über den Ort. Die Kinder brachten das Propagandamaterial vom Schulweg nach Hause, wo gerade Annas Mutter mit ihrem jüngeren Bruder im Kindbett lag. „Deckt’s ma doch den Buam nicht zu, der erstickt darunter“, rief die gerade anwesende Hebamme angesichts der Unmengen an Werbematerial. In der Schule wurden den Kindern neue Verhaltensregeln beigebracht: Das übliche „Grüß Gott“ wurde durch den Hitlergruß ersetzt, das Morgengebet wurde verboten und die Mädchen wurden eingeladen, dem „Bund Deutscher Mädel“ beizutreten.
Enteignung für Panzerwerk
Annas Eltern hatten 200 Hektar Grund in Herzograd. Dieser wurde enteignet und man bekam sogenannte „Intrigenscheine“, die aber nach dem Krieg wertlos waren. Im Wald entstand das Nibelungenwerk, von dem man erzählte, dass es eine Spielzeugfabrik sei. In Wirklichkeit entstand hier das größte Panzer-Montagewerk des Deutschen Reiches. In Herzograd und Langenhart wurden Siedlungen für die Arbeiter gebaut, Ingenieure kamen aus Berndorf und Wiener Neustadt. Die Straße zwischen Kötting und Ennsdorf diente zum Vorführen der Panzer und wird auch heute im Volksmund noch Panzerstraße genannt. Der Stahl für die Fahrzeuge kam aus den Hermann-Göring-Werken in Linz.
Einschränkungen im Krieg
Ab Kriegsbeginn bekamen die Bewohner Lebensmittelkarten, das Hören vom „Fremdsendern“ wurde verboten und die Bewohner wurden von der Gendarmerie kontrolliert. Um das Werk zu schützen, wurden Fliegerabwehrstationen errichtet. In den letzten Kriegsjahren wurde in der Nähe von Herzograd ein großer Stollen erbaut, wo 8.000 Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge unter schwierigsten Bedingungen arbeiten mussten. „Da mein Vater ein Sägewerk hatte, lieferte er Bauholz in die Stollen. Als ich in die Stollen mitfuhr, sah ich die Arbeiter, die dort in den gestreiften Anzügen um Essen gebettelt haben. Mein Vater hat immer ein Brot mitgenommen für die Häftlinge“, schildert Steininger das riskante Unterfangen. Annas Schwester besuchte einmal nach dem Zither-Unterricht die Moar-Hansl-Kapelle am Viehdorfer Berg. In der Kapelle fand sie einen erhängten KZ-Häftling. Viele der Häftlinge mussten von Mauthausen nach St. Valentin gehen, es waren auch zahlreiche Frauen darunter, die immer wieder misshandelt wurden. 1944 kamen plötzlich SS-Soldaten in Annas Elternhaus und richteten eine Schneiderei ein. Kurz vor Kriegsende verließen die SS-Soldaten fluchtartig den Hof und versenkten vorher das ganze Material und die Nähmaschinen bei der nahe gelegenen Wehranlage.
Russische Besatzung
Das Kriegsende bedeutete weiße Fahnen und Freude, es kam aber noch die Besatzungszeit. Die Amerikaner verteilten drei Tage lang gedrucktes Geld, dann kamen die Russen, zwei davon schliefen ein paar Tage lang im Elternbett von Steiningers Familie. Die russischen Besatzungssoldaten konnten alles brauchen: „Vater ist mit dem Fahrrad Futter mähen gefahren, aber ohne Fahrrad heimgekommen, das nächste Mal kam er ohne Uhr.“ Viele junge Mädchen schliefen zur Sicherheit auf dem Heuboden und durften bei Veranstaltungen nur von der Ferne zusehen, um nicht zum Tanz aufgefordert zu werden. „Der Zusammenhalt war in dieser Zeit unser Motto, dass einer dem anderen wieder hilft“, berichtet Steininger. Die elterliche Erziehung und ihr Glaube haben ihr durch ihre Jugendzeit geholfen. Sie beendete das Erzählcafé mit einem Gedicht von Theresa von Avila: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken, wer Gott besitzt, dem kann nichts fehlen!“ Zeitzeugen, die von ihren Erfahrungen während der NS-Zeit berichten möchten, sind willkommen. Nähere Infos unter enns@mkoe.at
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