
LIEBENAU. Unwetter, Hagelschlag, Dürre, Hochwasser – mehrere dicke Ordner füllen die Medienberichte über Wetterereignisse, die Qrisu Christian Stumpner seit 1966 akribisch gesammelt hat. „Extreme Wettererscheinungen sind nicht häufiger oder schlimmer als früher, allerdings ist unsere Zeit weit verwundbarer geworden“, meint der Wetterforscher.
Die folgenschweren Hagelunwetter der vergangenen Wochen in unserer Region nahm Tips zum Anlass, um den Fachmann aus Liebenau zu besuchen. „Warum wir diese Unwetter so schlimm erleben, beruht auf der immer stärkeren Verwundbarkeit unserer hochtechnisierten Zivilisation“, sagt Stumpner. Gartenausstattung wie Trampoline, Sonnenschirme, Markisen oder Möbel fliegen im Sturm davon, Glasfassaden und Dächer gehen zu Bruch. „Meteorologisch gesehen waren die Wettererscheinungen im Mittelalter aber deutlich häufiger und extremer“, meint der Liebenauer, der in seinem Garten zwei Wetterstationen der modernsten Generation stehen hat.
Klimawandel heute menschengemacht
Trotzdem besteht für Qrisu Christian Stumpner kein Zweifel daran, dass sich die chemischen und physikalischen Vorgänge in der Atmosphäre verändern. „Es ist schon richtig, wenn sich Leugner auf viel stärkere Veränderungen des Klimas vor Erscheinen der Menschheit berufen. 95 Prozent der Erdgeschichte waren deutlich wärmer als heute. Aber die Geschwindigkeit der aktuellen Veränderung beruht auf menschlichem Einfluss und der industriellen Revolution.“
Explosive Mischung
Dass es in unserer Region gerade heuer so viele Unwetter gibt, ist Tiefdruckgebieten über Westeuropa zu „verdanken“. Stumpner: „Sie saugen heiße Luft aus Afrika an, die sich über dem Mittelmeer mit Feuchtigkeit anreichert. Wenn aus Nordwesten kühlere Luft einströmt, ergibt das eine explosive Mischung.“ Besonders schwere Gewitter sind die Folge von Gewitterzellen, die über aufgeheizte Stadtgebiete mit großflächig versiegelten Böden oder über waldarmes Flachland ziehen. „Dort holen sie sich neue thermische Energie“, weiß der studierte Wetterforsher. Folge solcher „Superzellen“ können Tornados sein, von denen jedes Jahr in Mitteleuropa rund 50 bis 60 gezählt werden, „meist jedoch auf ebenen, aufgeheizten Flächen, im Mühlviertler Hügelland ist damit eher nicht zu rechnen“.
Erwärmung derzeit in Europa besonders stark
Von der zunehmenden Klimaerwärmung bleibt aber auch das Mühlviertel nicht verschont. Gerade in Europa und in der Arktis geht die Erwärmung derzeit besonders stark voran. „Das liegt an der Atlantischen Multidekaden-Oszillation, einer sich periodisch einstellenden Veränderung der Strömungsverhältnisse im Nordatlantik, die im Rhythmus von 50 bis 70 Jahren wechselt und derzeit positiv ist. Diese beobachtet man schon seit mehreren Jahrhunderten. Die Temperaturen an der Meeresoberfläche verändern sich und wirken sich auf die Atmosphäre darüber und auf die klimatischen Verhältnisse in Nordamerika und Europa aus“, erklärt Stumpner. Warmphasen wie derzeit wechseln mit kälteren Phasen ab. „Im 17. und 18. Jahrhundert gab es eine „kleine Eiszeit“ in einer kalten Phase – auch das kann uns wieder blühen. Doch der Klimawandel passiert trotzdem“, sagt der Liebenauer.
Wie Klimawandel stoppen?
Wie lässt sich dieser überhaupt noch stoppen? Stumpner: „Auch wenn man jeglichen Kohlendioxid- und Methanausstoß sofort unterbinden würde – keine Industrie mehr, keine Flüge mehr –, ist der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten. Der Point of no return ist schon überschritten.“ Alle Ziele, die auf Klimakonferenzen formuliert werden, seien daher halbherzig. „Die aktuellen Klimaziele sind hehr, aber unter jetzigen Vorzeichen nicht erreichbar. Trotzdem ist es nicht egal, was man persönlich für das Klima tut“, meint der Liebenauer, der sich nicht als Pessimist, sondern als Realist verstanden wissen will. „Das Ziel ist Klimawandelanpassung. Wir alle müssen versuchen, die Umwelt so wenig wie möglich zu schädigen. Der Konsument ist die stärkste Kraft am Markt. Produziert wird, was gekauft wird. Mit unserem Kauf-, Freizeit- und Urlaubsverhalten (Stichwort Autogebrauch und Flugreisen) können wir also tatsächlich etwas bewegen“, sagt Stumpner.
Ernährungsneurose unnötig
In eine Ernährungsneurose müsse man jedoch nicht verfallen. Bei ihm und seiner Frau kommen hochwertige Lebensmittel, am besten aus dem eigenen Garten, auf den Tisch, selten Fleisch, und wenn, dann aus guter, biologischer Tierhaltung. „Corona hat da schon ein bisschen Bewusstseinsbildung bewirkt.“ Und wenn doch alle so weitermachen wie bisher? „Dann werden wir in 30 Jahren wissen, wie es den Menschen im Mittelalter mit den extremen Wettererscheinungen gegangen ist.“
Klima versus Wetter
Der Begriff Klima wird oft mit dem Terminus Wetter verwechselt. Klima ist eine langjährige (bei uns ca. 30 Jahre) Statistik über die Witterungsabläufe für einen bestimmten Zeitraum an einem bestimmten Ort oder in einer geografischen Zone. Unter Wetter hingegen versteht man den Zustand der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort in Gestalt von Sonnenschein, Regen, Wind, Wärme, Kälte, Bewölkung ...
Aus der Geschichte
Das größte Hochwasser suchte Europa im Jahr 1501 heim, wovon Messmarken z. B. in Linz am Pegelhaus an der Donaulände zeugen. Die schlimmste Dürre gab es 1540. Damals regnete es zehn Monate kaum nach einem Winter, „der sich wie ein Juli anfühlte“ (Quelle: Universität Bern), der Sommer war brütend heiß. Der folgenschwerste Tornado fegte 1916 über Wiener Neustadt und hatte viele Todesopfer und verheerende Schäden zur Folge.