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Trotz schwerer Krankheit und Erblindung zurück aufs Pferd: Jürgen (54) macht anderen Mut

Mag. Claudia Greindl, 29.07.2025 19:00

UNTERWEISSENBACH. Seinen ersten Urlaubstag wollte Jürgen Müller am 23. Juli 2024 genießen. Die folgenden 15 Wochen fehlen dem heute 54-Jährigen im Bewusstsein. Eine seltene neurologische Erkrankung kostete ihm nicht nur das Augenlicht, sondern fast auch das Leben. Trotz erheblicher körperlicher Einschränkungen sitzt der passionierte Reiter heute wieder im Sattel und möchte andern Mut machen.

  1 / 3   Pferdemenschen mit Leib und Seele: Elisabeth und Jürgen Müller mit Wallach Jordi (Foto: Claudia Greindl)

„Nach meinem Zusammenbruch in der Küche kann ich mich an nichts mehr erinnern“, erzählt Jürgen Müller im Reiterstüberl des Bauernhofs von Laura und David Hinterreither in Unterweißenbach. Dort stehen die drei Pferde Jordi, Gloria und Choco, die das Ein und Alles für ihn und seine Frau Elisabeth sind. Die dunkle Brille hat er dicht an die Augen geschoben, die gelbe Binde mit den drei Punkten ist an seinem rechten Oberarm befestigt. Häufig zuckt er ganz unvermutet zusammen.

Nach wochenlangem Aufenthalt in der Intensivstation und massiver Antibiotika-Therapie („Zwischenzeitlich hat es geheißen, er wird nicht mehr“, erzählt Gattin Elisabeth) wurde Jürgen notoperiert. Ein Keim hatte sich in seinem Schädel eingenistet. „Die Ärzte haben richtig viel Eiter herausgeholt, die Knochen waren schon angegriffen.“

Sehvermögen eingebüßt

Gehirnhautentzündung, Blutvergiftung, epileptische Anfälle – von alldem weiß Jürgen nichts mehr. Am schlimmsten für ihn: Er verlor sein Sehvermögen fast zur Gänze. PRES, posteriores reversibles Enzephalopatie-Syndrom, lautete schließlich die Diagnose. Eine seltene neurologische Erkrankung, die Kopfschmerzen, Sehstörungen, Krampfanfälle und Bewusstseinsstörungen hervorruft. Seither ist nichts mehr so wie zuvor. „Unser Leben hat sich gewaltig geändert“, schildert Elisabeth. Als passionierter Handwerker war der 54-Jährige immer aktiv und unterwegs. Heute träumt er jede Nacht von Baustellen.

Diabetes, mehrere Schlaganfälle

Seine Sehbehinderung macht ihm im Alltag schwer zu schaffen. „Ich bin Diabetiker, 15 Tabletten muss ich am Tag schlucken.“ Mehrere Schlaganfälle sind nicht folgenlos geblieben. Die Hoffnung auf Besserung will Jürgen trotzdem nicht aufgeben. Auch und vor allem, weil Elisabeth die Stütze und treibende Kraft für ihn ist, die ihm auch einmal die Leviten liest, wenn ihr Mann schlecht drauf oder nach einem neuerlichen Schlaganfall auch einmal des Lebens überdrüssig ist. Sie hat ihren Job beim Bad Zeller Uni Markt stundenmäßig reduziert und ist für die Unterstützung ihres Chefs Werner Trinkl sehr dankbar. Viel Unterstützung kam und kommt auch immer wieder von den Hofbesitzern Laura und David sowie von Davids Eltern. „Ohne funktionierende Partnerschaft und die vielen Helfer wäre ich verloren“, weiß Jürgen.

Elisabeth war es auch, die ihren Mann trotz aller Einschränkungen wieder aufs Pferd gebracht hat. „Ende Oktober 2024 bin ich zum ersten Mal wieder in den Sattel gestiegen“, erinnert er sich. Ohne Augenlicht spürt er die Bewegungen seines Wallachs Jordi noch weit intensiver als zuvor. „Es geht nicht jeden Tag, oft bin ich sehr schwindlig und reite dann lieber nicht.“

Platz eins beim Turnier

Als Pferdemenschen durch und durch beließen es die beiden natürlich nicht beim Ausritt im Schritt. „Wir sind zu einem Horsility-Turnier gefahren, dabei geht es darum, die Beziehung zwischen Mensch und Pferd sicher und abwechslungsreich zu verbessern“, erzählt Elisabeth. Mit ihrer Stimme über Headset lotste sie Jürgen, der sein Pferd am lockeren Zügel führte, durch Hindernisse wie Flattervorhang, Bällebad, Planen oder Brücken. Am Ende erreichte Jürgen den ersten Platz. „Die ganze Reithalle hat geheult“, ist Elisabeth noch immer gerührt.

Reiten als Therapie

Jürgens großes Ziel ist es, heuer an einem Halloween-Ritt teilzunehmen. „Wenn man lange zur Untätigkeit verdammt ist, dann fängt das Radl im Hirn zu rennen an. Ich fühle mich ganz anders, viel besser, wenn ich reite, auch wenn das manche nicht verstehen können. Das ist wie eine Therapie für mich, das hat sogar mein Arzt gesagt“, schmunzelt er. Warum er seine Geschichte öffentlich macht? „Vielleicht kann ich damit dem einen oder anderen Mut machen, in scheinbar ausweglosen Situationen nicht aufzugeben“, meint Jürgen, während er Choco über die samtige Nase streicht. Es scheint, als ob die Stute wüsste, dass sie bei dem Menschen neben ihr besonders sanft sein muss.

Kontakt zu Elisabeth und Jürgen Müller (Erfahrungsaustausch, eventuell auch Gründung einer Selbsthilfegruppe):
Tel.: 0677 63828025 oder gemma.reiten@yahoo.at

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