Corona: „Den Jugendlichen fehlt vor allem der Kontakt mit Gleichaltrigen“
GMUNDEN. Kinder und Jugendliche sind von der Pandemie und ihren Folgen ebenso betroffen wie Erwachsene. Was sie besonders belastet – und was ihnen helfen kann? Tips hat bei Sabine Mair-Fellner, Psychotherapeutin und Leiterin des Instituts Balance, nachgefragt.
„Balance“ ist ein Institut für Psychotherapie, Kinderschutzzentrum und Familienberatungsstelle und bietet Beratung und Psychotherapie für Erwachsene, Kinder und Jugendliche an. Die Herausforderungen, vor denen die Kinder und Jugendlichen derzeit stehen, sind vielfältig, erzählt „Balance“-Leiterin Sabine Mair-Fellner: „Überforderung, Schulängste bis hin zur Schulverweigerung, Psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchweh, Übelkeit, aber auch Ängste sich mit Corona zu infizieren, Einsamkeit und Isolation sowie soziale Ausgrenzung“, schildert die Psychotherapeutin einige der häufigsten Probleme, mit denen sie und ihre „Balance“-Kollegen konfrontiert werden.
Die mittlerweile lange Dauer der Pandemie, die ungewisse Zukunft und die Monotonie des Alltags vieler Kinder und Jugendlicher führen oft zu Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit bis hin zu Depressionen.
„Erste Liebesbeziehungen, Partys,... all das fehlt“
Die Belastungen werden je nach Alter unterschiedlich erlebt: Je älter Kinder sind, desto wichtiger ist das soziale Umfeld für ihre Entwicklung. Die Gruppe der Gleichaltrigen spielt im Jugendalter eine besondere Rolle, im Zusammensein wird die eigene Identität entwickelt. „Im „normalen“ Alltag stehen erste Liebesbeziehungen, Partys und Konzerte im Mittelpunkt des Erlebens von Jugendlichen. Nun werden sie im Alltag durch Lockdown, Home-Schooling, Kontaktvermeidung isoliert und vereinsamen immer mehr“, konkretisiert Mair-Fellner. Die Möglichkeit, sich zufällig und zwanglos zu treffen, entfällt. Beziehungen und Kontakte müssen aktiv gestaltet werden. Besonders für schüchterne, ruhige Kinder und Jugendliche ist dies eine große Hürde und sie verschwinden aus ihren früheren sozialen Netzwerken.
Ein strukturierter Tag gibt Orientierung und Halt
Um die Belastungen zu lindern, kann es helfen, auf einen strukturierten Tagesablauf mit Arbeits-, Ruhe- und Bewegungszeiten zu achten. Das schafft einen sicheren Rahmen, der Orientierung und Halt gibt. „Bei der Gestaltung sollen Kinder auch eingebunden werden, um ihre Vorstellungen und Ideen einbringen zu können. In dieser Zeit, wo so vieles von außen vorgegeben ist, ist es umso wichtiger, auch Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, selbstwirksam zu agieren: das heißt bewusst eigene Entscheidungen treffen zu dürfen und auch selbständig und eigenverantwortlich Dinge erledigen zu können“, so Sabine Mair-Fellner.
Sich selbst Gutes tun und nicht „perfekt“ sein wollen
Ein Tipp, der für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen gilt: Herausfinden, was tut mir gut, was macht mir Freude, wobei kann ich mich gut entspannen? Das kann bei einem das Backen eines Kuchens sein, andere nehmen gern ein Bad oder entspannen sich, wenn sie sich in ein Buch vertiefen. „Diese Entlastungszeiten sind ein notwendiger Ausgleich zu den Anforderungen, die diese Pandemie an uns stellt“, erklärt die Psychotherapeutin.
Ebenfalls hilfreich: Auf Perfektionismus in dieser Zeit bewusst verzichten, die eigenen Ansprüche bei Home-Schooling und Homeoffice reduzieren. „Good enough“, also „gut genug“, ist in diesen schwierigen Zeiten ausreichend. Immer wieder sollte man auch „Corona-Auszeiten“ schaffen und den Medienkonsum bewusst steuern. „Zum Beispiel manchmal einem lustigen Familienfilm den Vorzug vor den Nachrichten geben“, so Mair-Fellner. Eine unverzichtbare Abwechslung ist zudem Bewegung an der frischen Luft.
Im Fall des Falles Hilfe in Anspruch nehmen
Eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden spielen auch die Eltern: „Sie sind für ihre Kinder Vorbilder, darum ist es umso notwendiger, gut zu reflektieren: Welche Ängste und Sorgen habe ich als Erwachsener in dieser Corona-Zeit und wie gehe ich damit um“, so Mair-Fellner.
Bei Kindern deuten Verhaltensänderungen, wie vermehrte Wutanfälle, Weinen, Bauch- sowie Kopfschmerzen und Schlafprobleme auf Sorgen und Ängste hin. Hier sei es für die Kinder entlastend und beruhigend, wenn die Eltern mit ihnen im Kontakt bleiben und Gespräche führen, mit ihnen spielen, so die Expertin, die auch betont: „Wenn Eltern den Eindruck haben, ihre Kinder nicht mehr zu erreichen, sollen sie sich nicht scheuen, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. Gespräche wirken entlastend und beruhigend. In unseren Beratungsstellen stehen wir persönlich, telefonisch oder via Video zur Verfügung.“
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