„Kritisches Denken sollte schon an den Schulen gelehrt werden“
GMUNDEN. Die „Qual der Wahl“ stellte Irmgard Griss in den Mittelpunkt ihres Vortrages in der Wirtschaftskammer. Die Universitätsprofessorin und Vorsitzende der Hypo Alpe Adria Kommission kam auf Einladung des Vereins Frauen in Bewegung (FiB) nach Gmunden.
Zu Beginn des Vortrages nannte Griss eine eindrückliche Zahl: Jedes Jahr verlassen 20.000 junge Menschen die Schulen, ohne richtig schreiben und rechnen zu können. Man müsse sich fragen, so Griss, warum ein derartig wichtiges Thema von der Politik nicht stärker beachtet werde.Grundsätzlich gebe es zwei Arten von Entscheidungen: spontane und überlegte, zitierte Irmgard Griss den Autor Daniel Kahnemann (“thinking fast and slow“). In der Politik seien überlegte Entscheidungen gefragt. Als Entscheidungsgrundlage diene hier jedoch oft die öffentliche Meinung und die Medien, die hier auch eine große Verantwortung hätten so Griss: „Die Frage lautet oft: Wie kann ich das verkaufen?“ Auch die eigene Stimmung könne sich erheblich auf Entscheidungen auswirken, wie Griss am Beispiel eines Experiments ausführte: Israelische Richter, die keine Pause machen durften, entschieden am Ende des Arbeitstages – müde und hungrig – in Bewährungsverfahren wesentlich seltener zugunsten des Angeklagten. „Die Entscheidung, jemanden frei zu lassen ist schwieriger, weil man ja gegenüber der Gesellschaft eine Verantwortung hat. Und in dieser Situation haben die Richter die leichte Variante gewählt“, so Griss.„Verstaatlichung der Hypo war nicht alternativlos“Um derartige Einflüsse zu reduzieren, regte Griss an, auf das Modell der evidenz-basierten Entscheidungen zurückzugreifen, wie es auch in der Medizin verwendet wird – also Informationen und bisherige Erfahrungen zusammenzutragen und anschließend zu analysieren. Zudem solle man, wie in der Wirtschaft üblich, das Für und Wider abwägen und im Sinne des Unternehmens entscheiden. Im Fall der Hypo seien diese Schritte nicht eingehalten worden, so Griss: „Die Verstaatlichungsentscheidung war nicht alternativlos.“ Man könne hier Poliker nicht aus der Pflicht nehmen: „Ein Politiker kann nicht jedes Detail kennen. Er muss aber seine Beamten dazu anhalten, gute Entscheidungsgrundlagen zu erstellen. Wenn er das nicht tut, ist er dafür verantwortlich.“ Als Werte, die in politische Entscheidungen einfließen sollten, nannte Griss Vertrauen, Verantwortung, Integrität, Respekt, Mut und Nachhaltigkeit.Entscheidungen – sowohl im politischen wie im privaten Umfeld – sollten immer auch von Selbstkritik getragen sein: „Man sollte sich immer, wenn etwas Neues auftritt, fragen: Was bedeutet das – und woher weiß ich das?“, so Griss. Diese Erziehung zu einem solchen kritischen Denken müsse schon in der Schule beginnen.In Bezug auf die eingangs erwähnten 20.000 Jugendlichen laufe die Bildungsdiskussion in Österreich am Problem vorbei, analysierte Griess abschließend. Wenn man evidenzbasiert arbeite, müsse man schauen, wo es besser laufe – und warum. Die Pisa-Sieger Finnland, Singapur und Südkorea hätten eines gemeinsam: eine Wertschätzung für die Lehrer, die dazu führe, dass die besten eines Jahrgangs diesen Beruf ergreifen. „Aber natürlich ist es leichter, das Taferl an der Schule zu ändern, als die Einstellung der Menschen.“
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