Bomben zerstörten ihr Leben: Eine Ukrainerin spricht über ihre Flucht aus dem Krieg
GRIESKIRCHEN/UKRAINE. Leid, Angst, Trauer, Verzweiflung und Tod – seit 365 Tagen. Der Kriegsbeginn in der Ukraine jährte sich am 24. Februar zum ersten Mal. Bomben zerstören nach wie vor Existenzen und für viele Menschen wurde der tägliche Fliegeralarm bereits zur Normalität. Oft stehen Menschen nur vor einer Wahl: fliehen oder täglich um das eigene Leben fürchten. Für die Flucht nach Österreich hat sich Tanja Pikush entschieden. Tips hat mit der Ukrainerin gesprochen.
Tanja Pikush ist 42 Jahre alt und lebt seit März 2022 bei einer Familie in Grieskirchen. Geflohen ist sie gemeinsam mit ihren Eltern. Ihren Mann musste sie in der Ukraine zurücklassen.
Tips: Was haben Sie auf Ihrer Flucht nach Österreich erlebt?
Tanja Pikush: Wir wurden aus der Stadt Irpin evakuiert, nur Frauen und Kinder durften weg. Am Bahnhof warteten wir fieberhaft auf den Zug. Freudentränen und Angst um die Zurückgebliebenen waren eins, als plötzlich Raketen in unsere Richtung flogen. Später wird dieser Zug bombardiert, der Rest der Menschengruppe wird über eine Brücke fliehen und nicht jeder wird überleben.
Wie ging es für Sie dann weiter?
Dann kam ich in Kiew an, ganz alleine. Ich wusste nicht wohin, zu wem ich gehen soll. Ich war verzweifelt, folgte aber der Menschenmenge und nahm den ersten Kiew-Lwiw-Zug. Er war völlig überfüllt. Ich stand 14 Stunden lang im Zugabteil. Später im nächsten Zug nach Polen bekam ich einen Anruf von meinem Bruder, dem es zusammen mit den Soldaten gelungen ist, meine Eltern aus Gulyaipole zu evakuieren. Dort gab es von den ersten Tagen an keine Kommunikation und heftige Kämpfe. Gemeinsam sind wir nach Österreich gefahren. Wir kamen in ein Lager, wo wir etwa zwei Wochen blieben und kamen danach zu einer Familie. Wir haben großes Glück hier. Ich mag die Traditionen und Weihnachtsfeiern. Ich sehe so viel Liebe, Freundlichkeit und ehrfürchtige Haltung zueinander. Diese Momente werden mir für immer in Erinnerung bleiben.
Bitte erzählen Sie, was Sie in den letzten Stunden vor Ihrer Flucht gefühlt und erlebt haben.
Ich hatte keine Gefühle, ich hatte viele Tage kaum geschlafen, ich konnte nichts essen, ich war nur müde. Das Schlimmste war, meine Heimatstadt Irpin zu verlassen. Zudem schien es unmöglich, da Brücken und Straßen gesprengt wurden und kein Transport fuhr. Ich bin den Soldaten, die uns evakuiert haben, so dankbar, denn der Feind rückte näher, kurze Zeit nach unserer Evakuierung war unser Wohngebiet völlig zerstört.
Warum haben Sie gewusst, dass es Zeit ist, das Land zu verlassen?
In Irpin gab es praktisch keine Überlebenschance, da es der kürzeste Weg durch Weißrussland nach Kiew war. Das Hauptziel war Kiew, die Aufgabe war es, den Feind um jeden Preis abzuhalten, denn wenn sie Kiew erobern, werden sie die gesamte Ukraine erobern. Als die Evakuierung angekündigt wurde, war mir bereits klar, dass die Streitkräfte den Feind nicht länger halten konnten und sie Irpin verließen. Und dann würde die Stadt zerstört werden.
Wo ist Ihr Mann gerade?
Es gelang ihm, aus Irpin herauszukommen, sie fanden einen Weg durch Stojanka, aber die Autokolonnen wurden ständig beschossen, drei Tage lang versuchten sie zu fliehen und es gelang ihm. Er ist nicht im Kriegseinsatz, sondern bei der Strafverfolgung als Detektiv.
Möchten Sie wieder zurück in die Ukraine?
Ich vermisse mein Land wirklich. Ich habe eine neue eigene Wohnung in Irpin, in der wir angefangen haben zu reparieren, aber keine Zeit zum Leben hatten. Wir hatten ein gutes Leben, und ja, ich würde gerne zurückkehren, aber ich habe Angst, weil ich so viel erlebt habe. Ich habe gesehen, wie grausam und unmenschlich es im Krieg zugeht. Es ist beängstigend, mit vorgehaltener Waffe zu leben. Vor dem Einschlafen verabschiedeten wir uns, weil wir nicht wussten, ob wir wieder aufwachen würden.
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