
WARTBERG AN DER KREMS/WIEN. Die Wiener Autorin Susanne Gregor lebte von 1990 bis 1999 in Wartberg. Ihr neuer und vierter Roman „Wir werden fliegen“ beruht auf den Erfahrungen ihres Lebens und auch ihrer Kindheit, die sie in Wartberg verbracht hat. Mit Tips sprach die Schriftstellerin über Ausgrenzung, Sprachbarrieren und Fremdheit.
Tips: Im Alter von neun Jahren kamen Sie aus der Slowakei nach Oberösterreich. Warum ist Ihre Familie damals nach Wartberg gezogen?
Susanne Gregor: Mein Vater hat in Micheldorf Arbeit gefunden, und in Wartberg fanden wir eine Wohnung.
Tips: Was wissen Sie noch von der Anfangszeit in Wartberg?
Gregor: Als Kind nimmt man die Dinge so, wie sie kommen, man hinterfragt nicht. Rückblickend kann ich schon sagen, dass es eine echt schwierige Zeit für mich, für uns alle war. Es war ja nicht nur ein Umzug von Ost nach West, sondern auch von der Stadt aufs Land, ich war mit einer neuen Sprache und Kultur konfrontiert und fühlte mich erstmal isoliert. In dieser Zeit gab es kaum Migranten in dieser Gegend, in meiner Klasse war ich die einzige, da ist man natürlich Außenseiter. Mir ist in Erinnerung: das Gefühl, ein Fremdling zu sein, mein täglicher Kampf mit der neuen Sprache und das Staunen darüber, dass man hier so wenig über mein Land wusste, obwohl es ein Nachbarland war.
Tips: Wie empfanden Sie die finanzielle Situation Ihrer Familie?
Gregor: Materiell gab es einen Riesenunterschied zwischen mir und meinen Freunden. Dass hier ständig über Marken gesprochen wurde, hätte mir nicht ferner liegen können. Für mich war das alles Luxus. Ich verstand nicht, dass man hier tatsächlich von Qualitätsunterschieden sprach. Dieser Überfluss war ein so starker Kontrast zu dem Mangel, den wir in der Slowakei erlebt hatten. Dass man all die großen Häuser, Autos und Markensachen hier gar nicht als Reichtum, sondern als völlig normal wahrnahm, konnte ich lange nicht begreifen. Bis heute wundere ich mich manchmal darüber.
Tips: Ihr Vater deutschte die Namen von Ihnen und Ihrer Schwester ein, aus Sorge, Sie könnten ausgegrenzt werden [Anm.: aus Gregorova wurde Gregor“. War die Sorge berechtigt? Wurden Sie ausgegrenzt?
Gregor: Bestimmt nicht aufgrund meines Namens. Die Sorge meines Vaters war schon verständlich, aber meine Eltern wurden in Wartberg sehr gut aufgenommen, mein Vater sprach ja bereits Deutsch. Bei mir war das in der Volksschule anders, ich konnte überhaupt nicht anknüpfen oder Freundschaften schließen, irgendwie war ich den Kindern suspekt. Da half auch der eingedeutschte Name nichts. Als ich nach einem Jahr aufs Gymnasium in Kirchdorf wechselte, war das aber ganz anders. Dort schloss ich sofort Freundschaften, die mir bis heute geblieben sind.
Tips: Wie empfanden Sie die Sprachbarriere?
Gregor: Die Sprachbarriere war das Schwierigste. In der Schule verstand ich nicht, was gesprochen, gespielt, gelernt wurde. Ich versuchte mitzumachen, ich irrte mich, blamierte mich, versuchte es noch einmal. Es ist ein ,ins Wasser geworfen werden, um schwimmen zu lernen’. Irgendwann schafft man es, sich über Wasser zu halten und irgendwann lernt man auch die richtige Technik. Mein Vater unterstützte mich sehr dabei und erklärte mir abends die Grammatikregeln. Ich glaube, dass das der Schlüssel dazu war, warum es schließlich so schnell ging: Weil ich die Sprache tagsüber mitbekam und mein Vater sie mir abends strukturiert erklärte.
Tips: Inwiefern ähneln die Menschen, über die Sie in Ihrem neuen Buch schreiben, Ihnen und Ihrer Familie?
Gregor: Ich versuche meine Familie aus meinen Büchern rauszuhalten, soweit es geht. Aber das Schreiben ist ein Prozess, der ohne eine gewisse Hingabe nicht auskommt, da lässt sich oft nicht kontrollieren, was mit reinfließt. Wir sind alle beeinflusst von den Menschen, mit denen wir aufwachsen und die uns umgeben, da kann ich als Autorin oft schwer beurteilen, was wahr ist, was nur ich so empfand und was ich erfunden habe, es geht alles Hand in Hand.
Tips: Sie sagen von sich selbst, das kommunistische Mindset begleite Sie immer noch täglich. Inwiefern macht sich dieses bemerkbar und ist es anders als jenes zu den Menschen in Österreich?
Gregor: Der Kommunismus war ein System, das alles Spielerische ausschloss, das keinen Raum für Experimente ließ. Der Lebensweg war recht linear und man nahm einfach, was man kriegen konnte, fand sich innerhalb der gegebenen Umstände irgendwie zurecht, machte das Beste daraus. Das ist ein gewisser Pragmatismus, der die Weltsicht und die eigene Lebensführung prägt. Dass man sich einen Wunsch einfach so erfüllt, dass man system-unabhängig autonome Entscheidungen über sein Leben trifft, ist den Menschen hier in Österreich selbstverständlich. Für uns ist es immer noch ein kleines Wunder.
Tips: Sind in Ihrem neuen Roman autobiografische Elemente enthalten? Inwiefern spielt Ihre Zeit in Wartberg eine Rolle im Buch?
Gregor: Als autobiografische Elemente kann ich eigentlich nur das Grundgefühl des Romans bezeichnen, diese Fremdheit, die man als Migrant empfindet – zuerst im neuen Land und irgendwann auch in seinem Heimatland. Mittlerweile empfinde ich es als ein sehr universelles Gefühl. Viele fühlen sich auch ohne Migration in ihrem Heimatort fremd. Man kann sich inmitten von Menschen einsam fühlen und mitten in einer vertrauten Umgebung völlig fremd.