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Kinder- und Jugendpsychologe: „Die innere Welt des Kindes ständig zu erkunden, ist besonders wichtig“

David Ramaseder, 08.02.2022 13:14

LINZ-LAND. Die Pandemie nimmt kein Ende und belastet wohl jeden Menschen auf gewisse Art und Weise. Vor allem die Kinder und Jugendlichen leiden aber besonders unter den veränderten Rahmenbedingungen. Immer öfter werden auch junge Menschen schon mit Antidepressiva behandelt. Tips hat beim Kinder- und Jugendpsychologen Rudolf Fessl vom Kinderhilfswerk nachgefragt, was die Situation so schwierig macht.

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Rudolf Fessl (Foto: Verein Kinderhilfswerk)
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Rudolf Fessl (Foto: Verein Kinderhilfswerk)

Tips:Kinder und Jugendliche leiden besonders unter der Pandemie – das hört man immer wieder. Warum ist das eigentlich so?

Rudolf Fessl: Kinder besitzen meist noch nicht genügend innere Widerstandskraft (Resilienz) gegen Krisen. Erwachsene haben meist schon so manche Krisen erlebt und bewältigt und können somit auch bei der Bewältigung der Corona-Pandemie aus diesen Erfahrungen agieren.

Tips:Gab es besonders schwerwiegende Fehler, die den Jugendlichen bei der Pandemiebekämpfung „angetan“ wurden?

Fessl: Da ist die Palette groß. Von Homeschooling und Distance Learning angefangen bis hin zu einer Hysterie um Testungen. Auch der mediale Umgang mit dem Thema Pandemie ist teilweise zu hinterfragen. Nachrichten wie „...wieder jemand an den Folgen der Impfung verstorben“ können natürlich Angst hervorrufen. Generell sind Lockdowns kontraproduktiv zu dem, was Jugendliche brauchen. Nämlich eine Loslösung vom Elternhaus. Jugendliche sind im Lockdown in ihr „Kinderzimmer“ eingekerkert. Der einzige Ausweg ist der virtuelle Raum. Reale Erfahrungen mit Peers fehlen.

Tips:Was sind die effektivsten und schnellsten Möglichkeiten, um junge Menschen wieder so etwas wie „Normalität“ erleben zu lassen?

Fessl: Aus meiner Sicht ist das äußerst schwierig. Essenziell ist es, die Familie zu entlasten. Zusammenfassend könnte man sagen: Je mehr Isolation und wirtschaftliche Unsicherheit der Eltern, desto mehr Veränderung im Erziehungsverhalten mit mehr Konflikten in Familien.

Tips:Was sollen Eltern dabei beachten?

Fessl: Die „innere Welt des Kindes“ ständig zu erkunden, halte ich für besonders wichtig. Herauszufinden, welche Gedanken sich das Kind über die Corona-Pandemie macht und dann gemeinsam und „kindgerecht“ über eventuelle Sorgen und Ängste sprechen. Zeit nehmen und auf Reaktionen und Gefühle der Erzählungen achten. Kinder und Jugendliche brauchen das Gefühl, mit ihren Sorgen und Ängsten ernst genommen zu werden und dass es in Ordnung ist, sich Sorgen zu machen und auch wütend und frustriert zu sein. Sie brauchen Bezugspersonen, die sie im Umgang mit diesen starken Emotionen liebevoll unterstützen.

Tips:Auch vielen Erwachsenen kann die Situation zu viel werden. Gibt es Indikatoren, bei denen man als Elternteil vielleicht auf professionelle Hilfe zurückgreifen sollte?

Fessl: Die Anforderungen, die durch Homeschooling, Homeoffice, Kinderbetreuung etc. an Eltern gestellt werden, insbesondere an Alleinerziehende, sind enorm. Befürchtungen, weder genug Zeit für die Kinder noch für die Arbeit zu haben, können zu einem schlechten Gewissen führen. Oft hilft ein Gespräch mit Bekannten, die in einer ähnlichen Situation sind. Manchmal ist es aber nötig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Tips:Wie geht ein Therapeut an die Thematik heran?

Fessl: Im Kinderhilfswerk sehen wir bereits einen enormen Anstieg von Angsterkrankungen, Depressionen, Anpassungsstörungen, Traumafolgestörungen bis hin zu vermehrten Suizidversuchen. Auch lässt sich aufgrund der erschwerten Umstände ein erhöhtes Risiko für „Burnout“ feststellen und das kann oft auch zu einer Kindesvernachlässigung führen. In der Psychotherapie versuchen wir erstmals zu stabilisieren, denn die Corona-Krise beeinflusst unser Denken, Fühlen und Handeln und somit können oft keine geeigneten Bewältigungsstrategien mehr gefunden werden. Das heißt, wir versuchen gemeinsam mit dem Klienten „fördernde und heilende Mechanismen“, die in der Krise verloren gegangen sind, wieder herzustellen.

Tips:Eine Studie offenbarte, dass die Gabe von Antidepressiva bei Jugendlichen seit vergangenem Jahr massiv gestiegen ist. Jedenfalls ein Alarmzeichen, aber aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Fessl: Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden seit der Pandemie um 41 Prozent mehr Antidepressiva verschrieben. Das ist einer der Parameter, die uns zeigen, wie die Corona-Pandemie die Kinder- und Jugendgesundheit beeinflusst. Es ist wichtig, dass wir mehr Gesundheitsbewusstsein schaffen und dies gehört auch in den Schulen vermittelt. Aus meiner Erfahrung ist bei manchen schweren psychischen Beeinträchtigungen eine zusätzlich gut dosierte medikamentöse Therapie sinnvoll, um den Therapieprozess erfolgreich zu gestalten.

Tips:Wie lange wird es bis zur „Normalität“ noch dauern?

Fessl: Manche Aussagen von Experten deuten auf ein baldiges Ende der Corona-Pandemie hin. Doch der Übergang zur Normalität wird sehr mühsam werden – selbst ohne neue Virusvarianten.


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