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Mental Coach im Interview über psychische Gesundheit am Arbeitsplatz: Führungskräfte unterschätzten Vorbildfunktion bei der Stressbewältigung

Melissa Untersmayr, 03.04.2024 08:00

LEONDING. „Unsere psychische Gesundheit ist Grundvoraussetzung für eine top Performance im Job“, betont Markus Vieghofer im Gespräch mit Tips. Laut dem Leondinger Business Coach sehen sich jedoch längst nicht alle Unternehmen in der Verantwortung, was das Thema Mental Health betrifft. Dabei komme Führungskräften eine wichtige Vorbildfunktion zu: „Ist der Vorgesetzte gestresst und macht keine Pausen, so werden es ihm die Mitarbeitenden gleich tun“, weiß der 33-Jährige aus langjähriger Erfahrung.

Markus Vieghofer (Foto: Sandra Ban)
Markus Vieghofer (Foto: Sandra Ban)

Vor etwa vier Jahren startete Markus Vieghofer seine Laufbahn als Unternehmensberater. Dafür hängte der 33-Jährige seine Karriere beim Startup jobs.at, das er selbst mit aufbaute, erst Anfang des Jahres an den Nagel. Ausbildungen im Bereich Lebens- und Sozialberatung, Mentaltraining und NLP (Neurolinguistisches Programmieren) fließen in Vieghofers Beratungstätigkeit mit ein. Hauptsächlich unterstützt der Leondinger Führungskräfte bei unternehmerischen oder persönlichen Herausforderungen. Mit Tips hat Vieghofer über Mental Health in der Arbeitswelt gesprochen - ein Thema, welches ihm am Herzen liegt.

Tips: Welche Rolle spielt mentale Gesundheit im Beruf?

Vieghofer: Eine große Rolle, man sieht das sehr plakativ im Profi-Sport. Fast alle Athleten arbeiten in irgendeiner Form mit einem Mental Coach. Sie wissen, dass ihre mentale Kapazität oft über Sieg oder Niederlage entscheidet. Im Business sollte das eigentlich genauso sein, nur ist das dort noch nicht so angekommen. Eine zweite Perspektive darauf: Wenn wir mental gesund sind, haben wir tendenziell positivere Gedanken und mehr Energie. Das macht den Umgang mit Herausforderungen leichter. Unsere mentale Gesundheit ist also, genauso wie die körperliche Gesundheit, Grundvoraussetzung für eine top Performance im Job.

Tips:Wie hat sich der Zugang zum Thema in den letzten Jahren verändert?

Vieghofer: Das Thema mentale Gesundheit ist auf jeden Fall präsenter geworden. Gerade die letzten Jahre gab es viele Krisen: Corona, Energiekrise, Krieg in der Ukraine, Suezkanal plus verzögerte Lieferketten. Das hat die Menschen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch privat herausgefordert. Ich erlebe Unternehmen, die das Thema sehr ernst nehmen - genauso gibt es Unternehmen, die sich selbst nicht in der Verantwortung sehen. Es ist also schon besser geworden, aber es ist noch viel zu tun.

Tips: Inwiefern können Führungskräfte zum Wohlbefinden der Mitarbeitenden beitragen?

Vieghofer: Essenziell ist es, Raum für ehrliche Gespräche zu schaffen. Auch Mitarbeiter sollten ehrliches Feedback geben können, das gehört wird. Weiters trägt eine positive Fehlerkultur im Unternehmen dazu bei, dass sich Mitarbeitende weniger unter Druck gesetzt fühlen. Ein netter Nebeneffekt: Fehler zu machen, fördert Innovation. Immer noch weitgehend unterschätzt ist die Vorbildwirkung von Führungskräften: Wenn der Vorgesetzte ständig gestresst ist und keine Pausen macht, werden es die Mitarbeitenden ihm gleich tun. Workshops sind etwa eine gute Möglichkeit, um im Team Bewusstsein für mentale Gesundheit zu schaffen.

Tips: Wie lernt man auf lange Sicht, mit Stress im Job umzugehen?

Vieghofer: Stress und Druck sind per se keine schlechte Sache, sondern oft notwendig, um uns zu motivieren. Eine Deadline kann etwa hilfreich sein, um eine Aufgabe bis dahin zu erledigen. Schlechter Stress entsteht, wenn wir über einen langen Zeitraum zu wenig oder zu viel zu tun haben. Arbeitende sollten längere Phase von Unter- bzw. Überforderung also möglichst vermeiden. Das geht am besten durch regelmäßige Reflexion, etwa anhand der folgenden vier Fragen, die ich gerne bei meinen Kunden anwende: Was ist diese Woche gut gelaufen? Was kann ich noch verbessern? Wie möchte ich diese Verbesserung nächste Woche umsetzen? Was sind meine Top ein bis drei Ziele für nächste Woche? So lassen sich die persönlichen Stressoren recht gut identifizieren.

Tips: Haben Sie Tipps für eine bessere Work-Life-Balance?

Vieghofer: Jeder Arbeitende hat eine gewisse Flexibilität bei der Alltagsgestaltung. Man sollte eine Routine finden, die zum persönlichen Lebensstil passt und die sich im vorgegebenen Rahmen des Unternehmens abbilden lässt. Wir brauchen Pausen, um zu regenerieren. Außerdem haben wir während einer Pause oft die besten Ideen für schwierige Probleme. Wer mit einer Always-on-Mentalität durchs Leben geht, dem kann es schwer fallen, wieder Energie zu tanken. Ergebnis des dauerhaften 100-Prozent-Gebens ist sodann, dass die mögliche Kapazität immer geringer wird. Die beste Übung dabei wäre, bewusste Ruhephasen einzubauen, in denen man auch nicht erreichbar ist.

Tips: Wie sieht es mit der mentalen Gesundheit im Home Office aus?

Vieghofer: Obwohl Home Office bereits zum Arbeitsalltag gehört, haben viele noch nicht gelernt, wie man damit richtig umgeht. Vor Ort im Büro hat man eine natürliche Trennung zwischen Arbeit und Freizeit: Der Weg ins Office wird zum Ritual, um in den Arbeitsmodus zu kommen - der Nachhauseweg hilft beim Herunterfahren. Im Büro machen wir oft mehr Pausen und haben mehr Kontakt zu unsere Kollegen, was für die Psychohygiene enorm wichtig ist. Im Home-Office muss man sich um diese Dinge selbst kümmern. Man kann genauso Rituale einführen, Ruhephasen einlegen und Raum für persönliche Gespräche schaffen. Aber, man muss eben bewusst dafür sorgen.

Tips: Woran können Arbeitende erkennen, dass sie an ihre Grenzen stoßen?

Vieghofer: Deutliches Warnsignal für Überlastung oder gar ein Burnout ist die Gereiztheit. Speziell, wenn kleinste Dinge einen Ausraster hervorrufen und Unbeteiligte, wie etwa Partner oder Kinder, diese Emotionen abbekommen. Auch anhaltende Schlafprobleme sowie Lustlosigkeit deuten darauf hin, dass etwas nicht stimmt. Nicht zuletzt sollte man genauer hinschauen, wenn sich die Gedanken immer wieder um ein Thema drehen, das negative Gefühle auslöst. Viele haben etwa Schwierigkeiten, nach Feierabend abzuschalten und sind mit dem Kopf immer bei der Arbeit. Das kann zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf werden.

Tips: Wie wichtig ist ein stabiles Netzwerk für die mentale Gesundheit?

Vieghofer: Wenn man Menschen im Umfeld hat, die einen unterstützen, hat man schon viel gewonnen. Man sollte aber von Leuten fernhalten, die immer noch eins drauflegen wollen, wenn es einem schlecht geht - so nach dem Motto „Du darfst dich nicht beschweren, mir geht es viel schlechter”. Vorsicht geboten ist ebenfalls, wenn Menschen sofort mit Ratschlägen um die Ecke kommen und dann beleidigt sind, wenn diese nicht gleich umgesetzt werden: Denn nur weil eine Strategie für die eine Person funktioniert, heißt es noch lange nicht, dass sie für alle anderen ebenfalls funktioniert. Zu guter Letzt ist es ratsam, auf Distanz zu gehen, wenn das soziale Umfeld mehr Energie zieht als es gibt.

Hinweis: Psychologische Berater dürfen weder psychische Krankheiten diagnostizieren, noch mit Menschen an ihrer psychischen Krankheit arbeiten. Dafür sind ausgebildete Psychotherapeuten sowie Psychiater zuständig.
Hilfsangebote für Menschen in schwierigen Lebenssituationen:
Die Krisenhilfe OÖ steht Menschen mit psychischen Problemen rund um die Uhr unter 0732 2177 zur Verfügung. Mehr auf www.krisenhilfeooe.at
Die Telefonseelsorge steht unter der Notrufnummer 142 täglich von 0-24 Uhr für Menschen in einer schwierigen Lebenssituation oder in Krisenzeiten zur Verfügung.

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