Anne-Sophie Mutter bei Klassik am Dom: „Die Filmmusik ist die moderne klassische Musik unserer Zeit“
LINZ. Geigenvirtuosin Anne-Sophie Mutter begeistert weltweit und prägt die Klassikszene als Solistin, Mentorin und Visionärin. Am 8. Juli stellt sie mit dem Royal Philharmonic Orchestra bei Klassik am Dom Filmthemen des großen Meisters John Williams in den Mittelpunkt. Tips bat den sympathischen Weltstar zum Gespräch.

Tips: War es für Sie immer schon klar, Musikerin werden zu wollen?
Mutter: Ich wollte zu meinem fünften Geburtstag Geigenstunden, habe aber erst ein halbes Jahr Klavier lernen ‚müssen‘. Dann habe ich auf die Geige losdürfen und mit sechs den ersten Wettbewerb gewonnen. Ich wurde gefragt, was ich werden will und damals habe ich schon gesagt: Solistin (lacht). Inzwischen bin ich hoffentlich Musikerin, nicht nur Solistin. Es ist ein Privileg.
Tips: Ihnen liegt auch die Nachwuchsförderung sehr am Herzen.
Mutter: Ich bin immer wieder wunderbaren Mentoren begegnet. Vielleicht bin ich auch deshalb so eine leidenschaftliche Mentorin. Durch Karajan habe ich früh erfahren, was ein Mentorship für einen Musiker bedeuten kann. Ich spiele immer wieder mit meinen Stipendiaten. ‚Teamwork makes the dream work‘ ist ein bisschen mein Motto.
Wir haben auch sehr großen Fokus auf zeitgenössische Komposition. Und somit schreibt die Stiftung auch Musikgeschichte, weil wir Auftraggeber sind von Werken.
Und über alle monetäre Unterstützung ist es immer wieder auch der Dialog, der für junge Musiker so wichtig ist. Man muss beide Welten, die Lehre und die Bühne, zusammenbringen. Was bedeutet es, auf Tournee zu gehen? Was bedeutet es, physically and mentally fit zu sein? Man muss die junge Generation auch auf den Stress vorbereiten. Etwas, was beim Sport ganz natürlich geschieht. Bei uns Musikern denkt keiner dran.
Tips: Was sind die Herausforderungen gerade für junge Musiker heutzutage? Hat sich da etwas verändert?
Mutter: Man muss, glaube ich, so wie vor 100 Jahren, 50 Jahren, 20 Jahren auch, mit unbedingter Hinwendung ans Werk, an die Sache rangehen. Es ist ja ganz schön, wenn man Millionen von Followern hat, aber das hat in den wenigsten Fällen mit der Qualität eines Könnens zu tun. Es geht nach wie vor ums Werk, ums in Ruhe studieren, um sich Zeit lassen. Das ist natürlich sehr viel schwieriger heute. Und wo keine Zeit ist, ist natürlich auch wenig Raum für Durchdringung und Entwicklung.
Ich glaube, die Schwierigkeit liegt daran, den Sirenengesängen nach Fame & Fortune, die es schon immer gab, einfach stolz zu widerstehen und zu wissen, wo man als Künstler hinwill und dass man auch das Nein-Sagen lernt. Das Gute ist, wo jetzt die Unterstützung großer Labels oder auch Agenturen schon länger wegfällt, gibt es andere Wege. Auch wenn die Streaming-Services die Recording-Landschaft komplett ruiniert haben und für uns Künstler finanziell eine Katastrophe sind, so bieten sie doch eine Möglichkeit für junge Musiker, für unbekannte Musiker, sich Gehör zu verschaffen.
Tips: Gibt es noch etwas, was Sie reizt, auszuprobieren?
Mutter: Es reizt mich wahnsinnig viel, vor allem gerade iranische Komponistinnen. Es gibt auch ein Auftragswerk für Kian Soltani. Und ich habe Golfam Khayam, eine arrivierte Komponistin die in Teheran lebt, einen Auftrag für ein Konzert für Geige, Bratsche und Cello gegeben. Meine Interessen sind natürlich viel weiter gefächert. Aber ich will ehrlich gesagt auch noch ein bisschen auf den Bergen rumkraxeln und österreichische Mehlspeisen essen, nicht nur üben. Man braucht ein bisschen Pause zwischendurch.
Tips: Gibt es Künstlerkooperationen, wo Sie sagen, das wäre auch noch cool zu machen?
Mutter: Ja, ich würde gerne mit John Legend mal auftreten oder mit meinem Magierfreund Steve Cohen. Eine Art Chamber of Magic mit Musik zu kombinieren. In gewisser Weise bin ich in dieser Richtung schon unterwegs, weil ich auch ein Auftragswerk vergeben habe an einen amerikanischen Komponisten, der im Tandem mit einem polnischen Videographer ein Werk schafft, das den ‚Vier Jahreszeiten‘ von Vivaldi gegenübergestellt wird. Es darum, wie würde Vivaldi, wenn er 2025 leben würde, die Jahreszeiten instrumentieren? Total spannend. Also diese Verknüpfung von zwei verschiedenen künstlerischen Welten, die lag mir schon immer.
Tips: Sie nutzen Ihre Bekanntheit auch, um sich sozial zu engagieren. Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Mutter: Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll … Ich habe eine sehr enge Verbindung zu 'Save the Children'. Ich plane auch, ein Konzert für die Welthungerhilfe. Weil sich seit 2020 die Anzahl der hungernden Menschen auch durch die Klimakatastrophe unfassbar vergrößert hat. Das ist ein Thema, das wir nicht ausreichend im Auge haben. Man müsste ständig Konzerte für ökologisches Bewusstsein spielen.
Tips: Sind Sie ein zufriedener Mensch?
Mutter: Nach einer guten Tasse Kaffee morgens kann ich die Welt in Angriff nehmen. Ich bin ein optimistischer Mensch. Aber ich kann mich auch wunderbar beschweren. Grundsätzlich sehe ich es wie mein Schwager, der fast 100 ist: Wenn man ihn fragt, wie es ihm geht, sagt er: 'Am liebsten gut.'
Tips: Was macht Sie wirklich wütend?
Mutter: Intoleranz. Ein Unvermögen, gesprächsbereit zu bleiben. Man muss offen bleiben und sich mit Mitgefühl begegnen. Auch wenn man nicht einer Meinung ist, ist es immer ein Mensch, der einem gegenübersteht. Der mit größter Wahrscheinlichkeit die gleichen Ängste, Bedürfnisse hat, und Rechte.
Tips: Sie arbeiten mit Filmmusik-Legende John Williams zusammen, bringen auch seine Musik nach Linz ...
Mutter: John Williams hat unter uns Instrumentalisten ja nur Bewunderer und Freunde, die sich darum reißen, seine Werke zu spielen. Er hat für jedes Instrument ein großes Solokonzert geschrieben. Nur für die Geige gleich zwei. Eines in den 70er Jahren, dem Andenken seiner früh verstorbenen Frau gewidmet. Und das zweite vor einigen Jahren für mich. Damit spanne ich glaube ich in Linz einen spannenden Bogen zwischen seiner symphonischen Musik und der noch viel bekannteren Filmmusik, die ich liebe. Seit Star Wars bin ich Williams-Fan.
Tips: Wie ist die Zusammenarbeit?
Mutter: Wunderbar. Er ist ein wahnsinnig liebenswürdiger, unglaublich kluger Musiker. Er weiß so viel mehr als ich. Was mich immer tief berührt, ist seine unfassbare Freude am Musizieren.
Tips: Ist Filmmusik eine Möglichkeit, junge Menschen an Klassik heranzuführen?
Mutter: Natürlich. In gewisser Weise ist ja die Filmmusik die moderne klassische Musik unserer Zeit. Ich glaube, dass die moderne Filmmusik eine große Chance bietet, zu begeistern. Und hoffentlich auch für die Geige.
Tips: Haben Sie ein bestimmtes Ritual vor einem Auftritt? Manche wollen eine halbe Stunde vorher nicht mehr angesprochen werden …
Mutter: Nein. Irgendwann stimme ich die Geige und esse vielleicht ein kleines Stück Banane. Und dann bin ich bereit. Aber ich bin relativ flexibel. Ich glaube, als alleinerziehende Mutter lernt man das. Ich hatte auch schon Momente, in denen ich zehn vor acht angerufen wurde und sehr emotionale Diskussionen geführt wurden. Und ich musste dann um acht auf die Bühne. Ich brauche keine Rituale. Wenn es losgeht, bin ich präsent.
Tips: Welches Instrument werden Sie in Linz mit dabeihaben?
Mutter: Ich werde auf meiner Stradivari von 1710 spielen. Und sie wird sicher großartig klingen, gemeinsam mit dem wunderbaren Royal Philharmonic Orchestra. Ich bin besonders glücklich über Dirigentin Lina González-Granados. Sie ist aus Kolumbien, eine wahnsinnig kluge, tolle junge Frau. Ich freue mich, dass ich sie so ein bisschen in Europa vorstellen darf. Das Repertoire ist für ein Open-Air ideal. Und für mich gibt es nichts Schöneres, als unter einem Sternenhimmel zu spielen. Ich freue mich riesig darauf. Zumal der Domplatz eine ganz besondere Spiritualität ausstrahlt. Ich werde Bilder machen und sie an John Williams schicken. Das ist sicher auch für ihn etwas ganz Besonderes. Und er liebt ja Wien, ich schicke ihm regelmäßig Sachertorte (lacht).
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