LINZ. An einem kühlen Septembertag treffen sich vor dem neuen Dom 16 Menschen, um über ein Verbrechen zu sprechen. Auch Tips ist zur Berichterstattung vor Ort.
Was ist geschehen? Der Grund für die Zusammenkunft der bunt gemischten Runde ist das tragische Schicksal des Dommesners, dessen Leben mit 48 ein jähes Ende fand. Doch es sind keine Polizisten, Spurensicherer und Kriminalisten, die sich hier treffen, sondern Frauen und Männer gemischten Alters, die ein gemeinsames Interesse verbindet: die Kriminalgeschichte der Stadt Linz.
Angela Stritzinger erzählt den Anwesenden, was mit dem Dommesner anno 1933 geschah. Sie ist Austria Guide und bietet mit ihrer „Crimetime Tour“ einen ungewohnten Zugang zur Linzer Stadtgeschichte, bei der es um echte Kriminalfälle des 20. Jahrhunderts geht. Was ihr dabei wichtig zu betonen ist: Auch wenn die Fälle bereits einige Zeit zurückliegen, achtet sie dabei stets auf die Wertschätzung und Pietät den Opfern gegenüber.
Ungelöste Mordfälle in Oberösterreich
Ein Kriminalfall, der in Linz für Aufsehen sorgte, war der Mord am Sportjournalisten Günther Schädel im Jahr 1988. Das Verbrechen konnte nie aufgeklärt werden und ist einer von insgesamt neun ungelösten Mordfällen seit 1970 in Oberösterreich. Die Dunkelziffer könnte aber deutlich darüber liegen: Experten schätzen, dass jeder zweite Mord nicht als solcher erkannt wird. Auch Günther Schädel wurde zuerst für ein Unfallopfer gehalten, was die späteren Ermittlungen erschwerte. Für ihre Recherche hat Stritzinger auch mit Freunden und Kollegen von Schädel gesprochen. Auch wenn eine Tat bereits länger, wie im Fall von Schädel 34 Jahre, zurückliegt, ist ein sensibler Umgang mit dem Thema äußerst wichtig, um eine Retraumatisierung von Nahestehenden zu vermeiden und die Würde des Opfers zu wahren.
Bericht oder Sensationsgier?
Die Kriminalberichterstattung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen öffentlichem Interesse und Opferschutz. Während manche Redaktionen immer wieder mit besonders pietätlosen Berichten auf sich aufmerksam machen, gibt es auch genügend Beispiele für einen respektvollen Umgang mit dem Thema. Dennoch monierte der österreichische Presserat dieses Jahr in einem Tweet, dass brutale Videos immer öfter gezielt für „Clickbait“ eingesetzt würden. Stritzinger beobachtet privat eine Verschiebung: „Die Plattform hat sich verändert. Heute werden solche Videos und Bilder über die Sozialen Medien geteilt“, sagt sie. Bei ihrer Tour setzt sie klare Grenzen und verzichtet auf besonders grausame Details – dafür spricht sich auch der Presserat aus.
Wenn Beweise verschwinden
Auch ohne die Sensationslust zu bedienen, kann man Verbrechen anschaulich machen. Stritzinger hat gründlich recherchiert, auch über die Zeit, in denen die Fälle stattfanden. So entsteht ein Bild über Linz in den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren. Wo heute Jugendliche vergleichsweise gesittet feiern und Bürgerliche ihr Essen genießen, waren früher „Windn“, in denen sich die Rotlichtszene traf. Gerade in diesem Milieu waren Frauen besonders vulnerabel. So auch die Sexarbeiterin Gabriele Blaha, die 1985 erst 26-jährig ermordet wurde. Auch dieser Fall ist ein sogenannter „Cold Case“, der mit heutigen Methoden vermutlich aufgeklärt werden könnte – wären nicht die Beweisstücke verschollen. So unglaublich es auch scheint, ist es kein Einzelfall, dass Beweismittel verschwinden, versehentlich weggeworfen werden oder verrotten.
„True Crime“ bei Frauen besonders beliebt
Derartige Details sind vielen bereits bekannt, die sich mit dem Thema Wahre Verbrechen beschäftigen. Nicht erst seit kurzem boomen Podcasts, Fernsehsendungen oder eigene Magazine zum Thema. Die Menschen aus der Tourgruppe sind aus unterschiedlichen Gründen dabei. Zwei Freundinnen aus Leonding wollen die Linzer Stadtgeschichte aus einem neuen Blickwinkel erleben. Zwei Paare haben bestimmte Fälle medial miterlebt und hatten persönliche Berührungspunkte damit.
Es sind deutlich mehr Frauen als Männer, dies sei meistens der Fall, erzählt Stritzinger. Auch zahlreiche Medienberichte machen vor allem Frauen als Konsumentinnen von „True Crime“-Formaten aus. Warum das so ist? Dazu gibt es noch keine gesicherten Studien. Was aber feststeht: Frauen werden öfter Opfer von Verbrechen, auf diesen gesellschaftlichen Umstand will die Fremdenführerin ebenfalls aufmerksam machen.
Das Leben feiern
Die geborene Linzerin ist seit 2019 geprüfter Austria Guide, die Idee zur „Crimetime“-Tour entstand aus privatem Interesse an Linzer Kriminalfällen. Ob sie nun anders durch Linz geht? „Ja, mit einem gewissen Respekt. Wissen ist Fluch und Segen zugleich. Ich will, dass meine Gäste das Leben zu schätzen wissen.“ Auch während ihrer Tour betont sie immer wieder, wie wichtig ihr dieser Aspekt ist: Ein Bewusstsein für die Endlichkeit des Lebens zu schaffen, um dieses umso mehr zu bejahen.
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