
LINZ. Die „Gratwanderung durch das obdachlose Linz“ ist ein preisgekröntes Projekt der Straßenzeitung Kupfermuckn. Dabei führen Menschen, die das Leben auf der Straße selbst erlebt haben, durch die Welt der Wohnungslosen in Linz und treten ins Gespräch mit den Teilnehmenden. Tips nahm im September daran teil und traf auf zwei starke Frauen, die einiges zu erzählen haben und Vorurteile gegenüber wohnungslosen Menschen abbauen wollen.
Gezielt die eigene Obdachlosigkeit herbeiführen – das klingt völlig absurd. Doch genau das wird Menschen ohne Wohnung mit „selbst dran schuld“, „geh hackln“ und ähnlichen Sagern immer wieder vorgeworfen. „Ein Irrglaube“, weiß Sonja, „bei den meisten stehen Schicksale dahinter, psychiatrische Erkankungen, Scheidungen oder eine Suchterkrankung.“ Sonja ist Redakteurin bei der Kupfermuckn und führt gemeinsam mit ihrer Redaktionskollegin Claudia durch die „Gratwanderung durch das obdachlose Linz“.
Beide Frauen haben selbst Erfahrungen mit Obdachlosigkeit gemacht, beide wissen nur zu gut, wie Menschen ohne Wohnung oft begegnet wird. Die „Gratwanderung“ soll auch dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und einen Einblick in andere Lebensrealitäten zu geben.
Los geht es im Innenhof der Kupfermuckn-Redaktion in der Marienstraße, wo es eine Einführung gibt und Claudia berichtet, wie sie selbst in die Obdachlosigkeit gerutscht ist. Aufgrund einer Erkrankung war sie gerade in Behandlung, als ihre Mutter delogiert wurde – damit stand auch Claudia ohne Wohnung da. Die Straßenzeitung „Kupfermuckn“ dürfte vielen Linzern ein Begriff sein, was sie besonders macht, ist, dass die Texte überwiegend von Betroffenen stammen.
Was „Obstler“ sind
Weiter geht es zum psychosozialen Wohnheim B37 in der Bethlehemstraße, das eine befristete Wohnmöglichkeit für psychisch kranke, wohnungslose Menschen darstellt. Sonja erzählt in einem kleinen Park in der Nähe des Gebäudes über die verschiedenen Einrichtungen des Sozialvereins B37, zu denen auch die Notschlafstelle in der Anastasius-Grün-Straße gehört. Dorthin geht, wer nicht mehr weiter weiß und einen geschützten Raum zum Übernachten braucht. Völlig kostenlos ist das nicht – 4,40 Euro pro Nacht muss man dafür aufbringen können. Für Jugendliche gibt es eine eigene Notschlafstelle – das „UFO“ in Urfahr. Bei der nächsten Station, dem Outreachwork-Büro von B37, erfahren die Teilnehmer, dass auf der Straße nur von „Obstlern“ oder „Streeties“ gesprochen wird, wenn es um Streetworker geht. Mit Schnaps hat das freilich nichts zu tun, lacht Sonja, der Begriff ist eine Abkürzung von Obdachlosenstreetwork. Die „Obstler“ leisten vor allem Akuthilfe und Basisversorgung, auch eine Ärztin ist Teil des Teams.
Fragiles Netz aus Einrichtungen
Auch wird klar, dass es in Linz doch einige Angebote von verschiedenen Trägern gibt. Eine leicht verständliche Übersicht bietet der Obdachlosenratgeber, der Sonjas Idee war. Als die erste gedruckte Auflage mit 2.000 Stück erschien, war sie innerhalb von zwei Wochen vergriffen. Vor einer der Linzer Wärmestuben erklärt Sozialarbeiter Daniel Egger von der Kupfermuckn, dass das soziale Netz zusammenfällt, wenn eine der Einrichtungen zusperren müsste. Es gibt mehrere Tageszentren/Wärmestuben, wo Betroffene eine warme Mahlzeit um 50 Cent oder eine gratis Jause bekommen und eine Duschmöglichkeit finden. Im Caritas-Tageszentrum „Frida“ haben nur Frauen Zutritt. Diese sind bei Obdachlosigkeit mit ganz anderen Problemen und Gefahren konfrontiert als Männer, obwohl Letztere häufiger obdachlos werden. Bei Frauen ist die sogenannte verdeckte Wohnungslosigkeit häufiger, also ein vorübergehendes Unterkommen bei Freunden oder Bekannten, ohne einen festen Wohnsitz zu haben.
Den Blickwinkel wechseln
Im Hessenpark meint Sonja, dass das dortige Alkoholverbot die Probleme nur verschoben, nicht aber behandelt habe. Aus ihrer Sicht bräuchte es in Linz auch eine zweite Notschlafstelle, denn „je mehr Belegung, desto mehr Konflikte“. Vor allem aber, darüber sind sich beide Frauen einig, müsste man „weit mehr tun, die Menschen in einem anderen Blickwinkel sehen“. Nicht nur, aber gerade jenen, die sich schon einmal bei Gedanken wie „selber dran schuld“ erwischt haben, sei die Gratwanderung ans Herz gelegt.
Gratwanderung durch das Obdachlose LinzNächster Termin: 11. Oktober um 16 Uhr, Treffpunkt Marienstraße 11, Anmeldung erforderlich, unter: Tel. 0732/770805 oder kupfermuckn@arge-obdachlose.at