Weitere Angebote

Sociale Medien

Kontakt

Die letzte Rede auf ein Leben: Trauerrednerin Tina Scherler im Tips-Gespräch

Nora Heindl, 14.05.2025 07:05

LINZ. Wenn Tina Scherler zu schreiben beginnt, wurde ein Leben gelebt. „Es ist die letzte Rede, die ich auf einen Menschen halten darf und das ist eine unglaubliche Ehre“, so die 46-jährige Trauerrednerin aus Urfahr.

Tina Scherler (Foto: Privat)
Tina Scherler (Foto: Privat)

Es war ein persönlicher Schicksalsschlag, der die Wirtschaftswissenschaftlerin Jahre später zu ihrem Traumberuf führte: der Tod ihres Vaters im Jahr 2013.

Tina Scherler wusste weder über die Bürokratie Bescheid, noch das Gefühl der Trauer. Alles, was sie wusste, war, dass sie für ihren Vater die schönste Verabschiedung wollte. „Dass sich alle noch einmal erinnern können, was für ein toller und wunderbarer Mensch er war. Und wie schlimm die Welt dasteht ohne ihn.“

Die Trauerrednerin wurde ihr damals empfohlen und in ihrer Überforderung sagte sie zu. „Schon beim Trauergespräch habe ich die Stirn gerunzelt. Sie passte nicht zu uns, zu meinem Vater. Ich hätte auf mein Gefühl hören sollen und jemand anderes suchen. Jemanden, dem es ein Bedürfnis ist, dieses letzte Mal für ihn auf die Pauke zu hauen. Die Rede, die wir hörten, war flach. Die Jahreszahlen stimmten, aber das war nicht er, das war nicht mein Papa.“

Wochen später kam Tina Scherler das erste Mal der Gedanke, „das kannst du besser“. „Es darf nicht sein, dass die letzten Worte auf einen Menschen so unbedeutend vorüberschwappen.“

Der Moment des Loslassens

Seit 2021 ist sie als zertifizierte Trauerrednerin tätig. Als solche kann sie weder den Schmerz nehmen, noch den Tod rückgängig machen, aber sie kann die Verabschiedung gestalten – für den Verstorbenen, aber auch die Angehörigen. Denn in diesem Moment beginnt das Loslassen. „Davor hat man so viel zu tun, Friedhof hier, Grabstein dort. Die Verabschiedung ist der erste Schritt in das Leben ohne diesen Menschen. Mein Ziel ist es, dass die Hinterbliebenen später auf die Verabschiedung zurückblicken und ein schönes Gefühl dabei haben. Denn bei mir war es anders. Alles war toll, außer der Rede. Mein Papa war cool und hätte sich auch eine richtig coole Rede verdient. Das habe ich mir nicht verziehen.“

Umso heilsamer ist es für sie, nun selbst die Angehörigen als Trauerrednerin begleiten zu dürfen. „Jedes Mal, wenn ich nach einer Verabschiedung noch ein Stück über die Friedhöfe spaziere, denke ich an meinen Papa. Und jedes Mal war die gehaltene Rede auch ein bisschen für ihn und ein bisschen für mich.“

Eine Rede auf das Leben

Doch was packt man in eine Rede, die ein ganzes Leben widerspiegelt? „Die letzte Rede auf einen Menschen darf nicht nur Lebenszahlen beinhalten. Sie muss auch all das andere in sich tragen.“ Die Schmetterlinge beim ersten Kuss, den Moment, wenn man sein Kind das erste Mal im Arm hält, berufliche Erfolge, aber auch Ängste und Schicksalsschläge. „Es ist die letzte Rede auf ein Leben, das gelebt wurde. Kein Urteil, sondern Beweis, dass da jemand war, den wir geliebt haben und der uns geliebt hat.“

Dementsprechend viel Zeit nimmt sich Tina Scherler für das Gespräch mit den Angehörigen – manchmal vier Stunden oder länger. Manchmal wird geweint, manchmal gelacht, „aber die meiste Zeit geht’s um ganz viel Liebe. Da sitzt nie jemand, der sagt, ‚bin ich froh, dass die nicht mehr da ist‘. Sondern da sitzen Menschen, die sagen, ‚die war toll, die haben wir geliebt‘. Und was ist denn Trauer überhaupt? Trauer ist das, was wir für eine Beziehung zahlen, die wir im Leben führen durften.“ Und wenn der Schmerz zu groß ist, „dann halte ich Stille aus. Dann sagt 20 Minuten keiner was, weil einem die Worte fehlen. Ich bin einfach da und halte die Hand.“

Um Trauernde wird es still

Nicht still sein möchte Tina Scherler aber, wenn es um den Umgang mit Trauernden geht. Sie hat selbst erlebt, wie es ist, gemieden zu werden. „Die Menschen sind im Supermarkt quasi in einen anderen Gang gesprungen oder haben die Straßenseite gewechselt, nur um mir nicht begegnen zu müssen. Von daher kommt auch der Spruch, der Tod bringt ein neues Adressbuch mit sich, weil viele Freunde sich abwenden, nur weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen.“ Dabei reicht oft ein freundlicher Blick oder eine Umarmung. „Und wenn man nicht weiß, was man sagen soll, dann sagt man halt ‚Mir fehlen die Worte. Scheiße alles.‘ und der Betroffene wird vermutlich sagen ‚Ja, scheiße.‘ und gut ist.“

Gut gemeint ist auch das Angebot „Meld dich, wenn du was brauchst“, nur „das wird jemand, der trauert, nicht machen, der hat ganz andere Dinge im Kopf.“ Ähnliches gilt für das sogenannte Bullshit-Bingo: „‚Da, wo er jetzt ist, geht es ihm bestimmt besser‘ oder ‚Sie hatte ein erfülltes Leben‘. Das hilft einem Trauernden nicht, denn so oder so will man den Verstorbenen einfach bei sich haben.“

Trauern mit Demenz

Eine Herzensangelegenheit ist der 46-Jährigen ihre kürzlich absolvierte Fortbildung zur demenzfreundlichen Trauerrednerin. Denn wenn Papa stirbt und Mama Demenz hat, steht nicht selten die Frage im Raum: Sagen wir es ihr überhaupt? „Ein Mensch mit Demenz verliert nicht das Recht zu erfahren, dass ein geliebter Mensch gegangen ist“, betont Scherler. Möglichkeiten sind etwa ein Bilderrahmen mit einem schwarzen Flur darüber oder ein Rosenkranz neben dem Bild. Ist die Wahrheit ausgesprochen, kann auch gemeinsam getrauert werden. „Es wäre wirklich schlimm, wenn ich in meinem eigenen Trauerprozess auch noch meine Mutter anlügen müsste. Etwa, dass Papa noch einkaufen ist.“

Podcast „Der tote Winkel“

Um den Tod und das Sterben mehr ins Bewusstsein zu rücken, nimmt sie derzeit mit einer Kollegin den Podcast „Der tote Winkel“ auf, der ab Sommer online gehen soll.

„Freunde von uns, die schon Menschen verloren haben, erzählen, wie sie damit umgegangen sind. Wir gehen aber auch den Verabschiedungsknigge durch. Muss ich bei einer Verabschiedung schwarz tragen? Wann kondoliere ich? Wo setze ich mich hin?“ Zudem sollen auch echte Tabuthemen angesprochen werden, etwa „dass sich Eltern von Sternenkindern krankschreiben lassen müssen.“


Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.

Jetzt anmelden