Weltsuizidpräventionstag (10. September): "Suizid kann verhindert werden"
OÖ. „Suizide können verhindert werden“, betont Silvia Breitwieser, Leiterin der TelefonSeelsorge OÖ, anlässlich des Weltsuizidpräventionstags (10. September), deshalb sei es wichtig, das Thema zur Sprache bringen und aufzuzeigen wie suizidgefährdeten Menschen und ihren Angehörigen geholfen werden kann.
Seit den 1980er Jahren ist die Suizidrate in Österreich rückläufig, und doch ist jedes einzelne Schicksal eines zu viel. Doch Suizidalität ist etwas, über das man nicht gerne spricht. Betroffene schämen sich, wollen niemanden belasten oder fühlen sich unverstanden. Angehörige fürchten sich davor, etwas Falsches zu sagen, und empfinden Gedanken an einen möglichen Suizid als äußerst bedrohlich. Oft wird geschwiegen, verdrängt und still gelitten.
Doch ein offener Umgang mit dem Thema Suizid sei essentiell, sind sich die Experten einig. Hilferufe sollten keinesfalls überhört werden, denn durch frühzeitiges Reagieren könnten suizidale Krisen abgefangen werden. „Menschen, die suizidgefährdet sind, benötigen ein Gegenüber, mit dem sie offen über ihre Probleme und Suizidgedanken sprechen können“, ist Breitwieser überzeugt. „Das Klischee, wenn man darüber spricht, tut man es nicht, ist in diesem Fall leider falsch“, warnt Klemens Hafner-Hanner, Referent bei Beziehungleben.at.
Gespräch suchen, Interesse zeigen, zuhören
Wer Gefühle ansprechen kann, erfährt Erleichterung, betont Breitwieser. Das kann in einem Gespräch mit geschulten Mitarbeitern von sozialen Einrichtungen wie eben der TelefonSeelsorge oder Beziehungleben.at sein, aber auch in einem Gespräch mit Angehörigen und Freunden. Für letztere sei das Schwierigste daran, es dem Betroffenen einfach mal sagen zu lassen, dass es ihm so schlecht geht und es nicht zu bewerten. „Wir neigen dazu, es aus eigener Angst, mit du schaffst das schon abzuschwächen“, so Breitwieser.
Auch Hafner-Hanner rät Angehörigen und Freunden, aktiv den Kontakt herzustellen, das Gespräch zu suchen, Interesse zu zeigen, Fragen von Sterben und Tod auch anzusprechen und zu überlegen, wie soziale Teilnahme im persönlichen Umfeld des Betroffenen wieder möglich wird. Denn „Suizid ist eine einsame Tat. Wir wissen, der Rückzug aus Beziehungen oder deren Fehlen trägt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil dazu bei, dass Menschen sich überlegen, ihrem Leben einem Ende zu setzen“, erklärt der Experte. Dies gelte umso mehr für ältere Menschen, die aufgrund ihres Lebensalters etwa Verluste nahestehender Personen erleben müssten und durch die weniger werdenden sozialen Beziehungen leicht in Isolation gerieten.
Was die individuellen Auslöser betrifft, so gibt es aber nicht die eine Ursache für einen Suizid: „Zu Suiziden kommt es nicht nur im Verlauf psychischer Erkrankungen, sondern auch in der Folge schwerer Lebenskrisen, dementsprechend kann es jeden treffen“, so Breitwieser. Meistens würden sich die Menschen überfordert fühlen und einfach keinen Ausweg sehen. „Sie möchten eigentlich nicht tot sein, aber so wie sich das Leben ihnen darstellt nicht mehr weiterleben“, betont die TelefonSeelsorge-Leiterin.
Auswirkungen von Corona
Im Hinblick auf die Corona-Pandemie vermuten die Experten, dass sich die Suizidrate vorerst einpendelt. „So paradox das klingt, aber für Menschen in einer schwierigen Lebenssituation ist es leichter zu ertragen, wenn es vielen schlecht geht, also im Fall von Corona, wenn es alle betrifft. Sie fühlen sich dann nicht in ihrer Krise allein gelassen. Natürlich wurde seit Pandemiebeginn auch das soziale Netz an Einrichtungen dementsprechend verstärkt“, betont Breitwieser.
„Wo wir aber schon Bedenken haben, ist, wenn irgendwann alles wieder zum normalen Alltag zurückkehrt. Dann besteht bei Menschen mit suizidalen Gedanken die Gefahr von Überlegungen, dass ich der einzige bin, der es nicht aus der Krise schafft. Deshalb ist es jetzt im Vorfeld schon so wichtig, dass wir diesen Menschen Lösungsstrategien und Perspektiven eröffnen“, ergänzt Marina Gottwald, stellvertretende Vorsitzende des OÖ Landesverbandes für Psychotherapie.
Psychotherapie rasch und kostenlos
Ein Angebot kostenlos, rasch und unbürokratisch fünf Stunden psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, ermöglicht eine Kooperation zwischen dem Landesverband für Psychotherapie OÖ und der TelefonSeelsorge OÖ. Letztere stellt einen Kontakt zwischen Betroffenem und Psychotherapeuten her, die Therapie erfolgt auf Wunsch telefonisch oder präsent, Wartezeiten gibt es keine.
„Wenn sich schon jemand dazu entscheidet, Hilfe anzunehmen, ist meist schon Feuer am Dach. Viele Betroffene trauen sich erst den Schritt zu gehen, wenn sie es selber gar nicht mehr schaffen. Lange Wartezeiten wären dann komplett falsch“, so Gottwald, die auch abseits dieser Kooperation einen „raschen, leistbaren, im Besten Fall kostenlosen Zugang zu Psychotherapie“ fordert.
Knapp 2 Millionen für soziale Einrichtungen
Die Allgemeinheit für das Thema Suizid zu sensibilisieren und Hilfe für suizidgefährdete Menschen und deren Umfeld anzubieten, betrachtet Birgit Gerstorfer, Landesrätin für Soziales und Gemeinden, als äußerst relevant. „Als Soziallandesrätin ist es mir besonders wichtig, dass es in Oberösterreich verschiedenste kostenlose Angebote und Anlaufstellen gibt, die Betroffene und ihre Angehörigen professionell unterstützen und stärken. Gerade in Krisenzeiten ist es enorm wichtig, den Menschen Hoffnung und Zuversicht zu geben“, sagt Gerstorfer.
Das Sozialressort des Landes OÖ investiert jährlich knapp 2 Millionen Euro in die Finanzierung von Hilfen in Krisenfällen.
Rat auf Draht: täglich vier Beratungen zum Thema Suizid
Wie groß die psychische Belastung auch von Jugendlichen ist, weiß man bei Rat auf Draht, Österreichs wichtigstem Notruf für Kinder und Jugendliche, der unter 147 rund um die Uhr sieben Tage die Woche erreichbar ist. „Die Dramatik und Dringlichkeit der Themen hat seit dem ersten Corona-Lockdown stark zugenommen. Statt über Liebeskummer oder die erste Reise ohne Eltern führen wir immer mehr Gespräche zu Angstzuständen, Essstörungen und Suizid“, so Birgit Satke, Leiterin von Rat auf Draht. „Die Beratungen zum Thema Suizid sind im Vergleich zum Vorjahr um rund 20 Prozent gestiegen.“
Wenn die eigenen Kinder von Suizidgedanken betroffen sind, ist das für die Eltern eine zutiefst schwierige Situation. Trotzdem gibt es Dinge, die Sie als Elternteil tun können, weiß Corinna Harles von der Rat auf Draht Elternseite: „Es gilt, im offenen Gespräch zu bleiben und liebevoll nachzufragen. Nehmen Sie sich Zeit und nehmen Sie die Sorgen Ihrer Kinder ernst. Denn die Probleme fühlen sich für Betroffene unlösbar an. Auch dann, wenn sie von außen betrachtet, vielleicht so wirken, als könnten sie leicht gelöst werden. Scheuen Sie sich nicht, Suizidgedanken direkt anzusprechen“, so die Expertin. „Ebenso gilt es zu vermitteln, wie man sich entspannt. Aber auch, wie es ist, wenn es einem mies geht. Erzählen Sie von Momenten in denen es Ihnen schlecht gegangen ist. Beschreiben Sie, wie sich das angefühlt hat, dass sie möglicherweise gar keinen Ausweg gesehen haben und wie sich dieser dann aber doch ergeben hat“, so Harles.
„Bleib bei uns“: aufklären und aufmerksam machen
Der Verein für Lebensmut „Bleib bei uns“ macht zum Welttag für Suizidprävention mit der Kampagne „Kein Weg zurück“ darauf aufmerksam, dass das stärkste Argument gegen den Tod immer noch das Leben selbst ist und kein Lebensweg – sei er noch so schwierig – in einer Sackgasse endet.
Der 2017 in Linz gegründete Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, suizidgefährdete oder sich in schwierigen Lebenssituationen befindliche Menschen mit Hilfsangeboten anzusprechen sowie durch überregionale Informationsarbeit zur Suizidprävention und zur Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen beizutragen. Auf der Homepage findet man erste wichtige Tipps und Kontakte von Hilfsangeboten.
Weitere Hilfsangebote
Rat und Hilfe bei psychischen Krisen erhält man rund um die Uhr bei der Krisenhilfe OÖ unter 0732/2177.
Die Clearingstelle für Psychotherapie von PROGES und der Gesellschaft für Psychotherapie bietet ebenfalls rasche und unbürokratische Hilfe.
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