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"Ich erlebe, dass Kinder ernster genommen werden, mehr Recht auf eine eigene Meinung haben dürfen"

Anna Fessler, 05.09.2022 10:14

LINZ. Das Kinderschutzzentrum Linz ist seit mehr als 35 Jahren Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Familien, die von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt und Vernachlässigung betroffen sind. Tips war vor Ort und hat mit Christian Nobis, dem fachlichen Leiter des Zentrums, und Robert Grasslober, Sozialarbeiter und Gewaltberater, über ihre Arbeit gesprochen.

Das Kinderschutzzentrum Linz arbeitet in der Therapie mit unterschiedlichen Methoden. (Foto: Kinderschutzzentrum Linz)

Das Kinderschutzzentrum unterstützt und berät Erwachsene, Kinder und Jugendliche, sowie alle Personen, die sich Sorgen um Kinder und Jugendliche machen und Gewalt an Kindern und Jugendlichen wahrnehmen und verhindern möchten. In Oberösterreich gibt es sechs eigenständig fungierende Kinderschutzzentren, das Linzer Zentrum ist mit insgesamt neun Mitarbeitern für Linz, Linz-Land und das Mühlviertel zuständig.

Prozessbegleitung ist ein großer Bereich

Neben der Beratungstätigkeit und dem psychotherapeutischen Angebot bietet das Zentrum auch Prozessbegleitung an. Kinder, Jugendliche und deren Angehörige werden dabei durch ein Strafverfahren begleitet. In Österreich hat jede Person, die durch eine vorsätzlich begangene Straftat von Gewalt betroffen ist, ein Recht auf eine kostenfreie rechtliche und psychosoziale Begleitung. Das Kinderschutzzentrum arbeitet mit Kooperationsanwälten, die in diesem Bereich geschult sind und Erfahrung haben. Was das Zentrum nicht ist: eine rund um die Uhr verfügbare Krisennummer für akute Situationen oder eine Stelle, die Kinder aus problematischen Situationen holt. Diese Aufgabe liegt bei der Kinder- und Jugendhilfe, falls erforderlich mit Unterstützung der Polizei.

Oft lange Begleitung von Betroffenen

„Wir sind die Stelle für alles Folgende. Selbst wenn Familien oder Kinder mit Eltern zu uns kommen, hatten viele in irgendeiner Form bereits Kontakt zu Hilfseinrichtungen. Wir sind meistens der zweite Schritt, woraus sich manchmal sehr lange Begleitungen ergeben. Es gibt zwar Einzelberatungen aber wir haben auch therapeutische Begleitung über mehrere Jahre hinweg“, erklärt Christian Nobis, der Leiter des Zentrums. Er rät Personen, die sich Sorgen um ein Kind oder einen Jugendlichen machen, das Kinderschutzzentrum zu kontaktieren und einen Beratungstermin zu vereinbaren. Man könne keinen pauschalen Rat geben, da Menschen und Geschichten so unterschiedlich seien. Wichtig sei es, Kinder ernst zu nehmen und gleichzeitig nicht überzudramatisieren.

Im Zweifelsfall an Beratungsstelle wenden

Im Zweifelsfall kann man sich im Kinderschutzzentrum beraten lassen. „Man weiß aus Studien: Kinder die Opfer von sexueller Gewalt wurden, vertrauen sich im Schnitt sieben Erwachsenen an, bis der erste Erwachsene aktiv wird“, erklärt Nobis. Die Gründe dafür sind komplex. Gerade sexuelle Gewalt sei ein ohnmächtiges und schambesetztes Thema, auch für Erwachsene, und fände häufig im familiären Nahkreis statt, so Nobis. Der Gewaltberater und Sozialarbeiter Robert Grasslober sieht eine Mischung aus „nicht glauben wollen und nicht glauben können“ verantwortlich. „Unvorbereitet mit einem solchen Thema konfrontiert zu werden löst oft eine Abwehrhaltung aus“, weiß er aus Erfahrung. Nobis ergänzt, was Kinder dazu sagen oder zeigen könnten, sei oft nicht klar und eindeutig, weil den Kindern selber oft nicht klar sei, was ihnen passiert ist. „Wir Erwachsene neigen trotz allem dazu, Kindern die Fähigkeit abzusprechen, die Wahrheit genau wiedergeben zu können, zu sagen was Sache ist.

Richtiger Zeitpunkt ist entscheidend

Es brauche den richtigen Zeitpunkt für ein Kind. Oft würden Erwachsene meinen, ihrer Verantwortung nachkommen zu müssen, indem sie alles richtig machen und das sofort. Dann würden „Erwachsenendinge“ passieren, zu einem Zeitpunkt, wenn die betroffenen Kinder noch gar nicht so weit seien – in weiterer Folge seien diese nicht gut vorbereitet und - falls die Polizei involviert wird - auch nur beschränkt aussagefähig. Es sei aber wichtig, Schritt für Schritt zu gehen, die Kinder darauf vorzubereiten, was auf sie zukomme und auch die Frage zu stellen, ob sie dies überhaupt wollen.

Kostenlose, anonyme Beratung

Im Kinderschutzzentrum gibt es die Möglichkeit einer anonymen Beratung, gerade bei Erstkontakt, das Angebot ist kostenlos und vertraulich. Bei Gefährdungsmomenten ist das Zentrum wie alle anderen Berufsgruppen, die mit Kindern arbeiten, zur Meldung verpflichtet. Der Bedarf an Anfragen kann derzeit nicht vollständig gedeckt werden. Für akute Fälle gäbe es zwar eine Rückhaltekapazität, selbst dies sei vergangenes Jahr nicht immer möglich gewesen. Für die therapeutische Unterstützung gibt es Wartelisten. Eine zusätzliche Mitarbeiterin könnte laut Nobis ausgelastet werden – und das dauerhaft.

Regionales Beratungsangebot

Im Oktober 2020 wurden in Freistadt und Rohrbach zwei Sprechstellen eröffnet, das Angebot wird auch gut angenommen. Der Plan sei, weiter aufzustocken und auszubauen, der Bedarf wäre jedenfalls da. Prozessbegleitung kann in Freistadt und Rohrbach derzeit noch keine angeboten werden.

Freude, Zuversicht und Kraft trotz schlimmer Erlebnisse

Abschließend wollte Tips noch wissen, was den Leiter des Zentrums, Christian Nobis, und den Gewaltberater Robert Grasslober hoffnungsvoll stimmt und wie sie mit schwierigen Situationen umgehen. „Es gibt eine verpflichtende Supervision, die Arbeit funktioniert im Miteinander. Wir bearbeiten Fälle zu zweit, sehen uns immer als Team. Mich entlastet, dass ich nicht alleine für einen Fall verantwortlich bin und immer mein Team hinter mir habe. Wenn mich spezielle Situationen sehr fordern, gibt es im Bedarfsfall zusätzliche Einzelunterstützung“, sagt Grasslober. „Dass ich erlebe, dass Kinder heute viel ernster genommen werden, mehr Recht auf eine eigene Stimme haben und eine eigene Meinung haben dürfen. Dass immer mehr klar wird, dass Gewalt an Kindern, die 'gsunde Watschn' nicht dazugehört. Und dass Kinder mit ihren Gewalterfahrungen ernst genommen werden. Man glaubt oft gar nicht, was trotz schlimmen Erlebnissen an Freude, Zuversicht und Kraft in einem Menschen da sein kann“, meint Nobis abschließend.


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