LINZ/OÖ. Das Gewaltschutzzentrum OÖ berät und unterstützt seit Juli 1998 Personen, die in der Familie bzw. im sozialen Nahraum von Gewalt betroffen sind sowie Stalkingopfer. Nach 25 Jahren zieht die Opferschutzeinrichtung Bilanz hinsichtlich erzielter Meilensteine, der Gewaltschutzzentwicklung in OÖ sowie aktueller Fallzahlen.
1997 trat das erste Gewaltschutzgesetz in Österreich in Kraft, aufgrund dessen in jedem Bundesland ein Gewaltschutzzentrum (damals Interventionsstelle) gegründet wurde. Das Gewaltschutzzentrum OÖ startete mit Juli 1998. Am Donnerstag, 5. Oktober, feiert die Opferschutzeinrichtung im Alten Rathaus ihr 25-jähriges Bestehen.
„Essenziell für den Opferschutz in Österreich ist für uns, dass wir von Beginn an bei den Weiterentwicklungen des Gewaltschutzgesetzes miteinbezogen wurden“, erklärt Eva Schuh, Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum OÖ. „Unsere Arbeit besteht nicht nur aus der Beratung betroffener Personen, sondern auch aus Präventionsarbeit durch Projekte, Kooperationen, Öffentlichkeitsarbeit und Schulungen.“
Zudem erarbeiten die Gewaltschutzzentren in Österreich jährlich Reformvorschläge hinsichtlich Gewaltschutzgesetz anhand praxisrelevanter Problemstellungen.
Beratungs- und Fallzahlen damals und heute
Seit Beginn wurden in Oberösterreich insgesamt rund 43.300 (so viele wie etwa die gesamten Einwohner von Steyr und Schärding zusammen) Personen beraten und mehr als 25.500 Betretungs- und Annäherungsverbote (etwas mehr als hätte jede einzelne Person in der Stadt Traun ein BAV bekommen) ausgesprochen.
Im zweiten Halbjahr 1998 waren es 94 Personen und 33 polizeiliche Betretungsverbote. Im Vergleich dazu wurden im ersten Halbjahr 2023 2.114 Personen beraten und 1.374 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen.
Im 1. Halbjahr 2023 kam es sowohl bei den Wegweisungen als auch bei der Anzahl der Klienten zu einer massiven Steigerung. „Ursächlich dafür ist unter anderem auch die Sensibilisierung dafür, was Gewalt ist und dem Bewusstsein, dass sich jede Person Hilfe suchen kann“, sagt Schuh. „Die Einflussnahme auf ein gesellschaftliches Umdenken ist eines unserer Hauptthemen.“
Denn nach wie vor wird Gewalt von Männern an Frauen zu wenig als geschlechtsspezifisches Problem gesehen, welches ihren Ursprung im patriarchalen System hat. „Die meisten Betroffenen erleben Gewalt durch ihre Ehemänner bzw. Lebensgefährten (37%) und durch ihre Ex-Ehemänner/Ex-Lebensgefährten (14%)“, erklärt Sonja Ablinger, Vorsitzende des Vereines Gewaltschutzzentrum OÖ.
Grundstein und Meilensteine
Seit dem Ersten Gewaltschutzgesetz 1997 passen sich sowohl das bundeslandspezifische Beratungsangebot als auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen laufend an die Erfordernisse an. 2023 können einige Meilensteine verzeichnet werden.
Regionalstellen: Durch die Finanzierung des Landes OÖ konnten neben Freistadt schrittweise auch regionalstellen in Gmunden, Ried und Steyr eröffnet werden, die nun zwei bis drei Mal in der Woche besetzt sind. Ebenso werden Sprechstunden in Rohrbach, Perg, Bad Ischl, Vöcklabruck und Braunau angeboten.
Prozessbegleitung: Seit 2006 erhalten Gewaltopfer kostenlose Unterstützung bei der Anzeigenerstattung und während des Straf- und Zivilverfahrens. Klienten werden über die verschiedenen Schritte, die mit einer Anzeige oder einem Gerichtsverfahren verbunden sind, sowie über rechtliche Möglichkeiten, informiert. Prozessbegleitung inkludiert die Begleitung zur Polizei, zu Gericht und die Unterstützung bei psychischen Belastungen, die damit verbunden sind.
Kooperation: Die Kooperation mit befassten Einrichtungen ist die Voraussetzung dafür, dass Synergien genutzt werden und abgestimmt am gleichen Ziel gearbeitet wird. Dies fängt an bei Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen. Denn viele der betroffenen Frauen benötigen dringend weiterführende Beratungen zu Scheidung Obsorge, Wohnen, Arbeit, um gewaltfrei leben zu können.
Das Gewaltschutzzentrum ist auch bei der Grundausbildung der Exekutivbeamten miteingebunden. Zudem verfasst der Bundesverband der Gewaltschutzzentren Österreichs jährlich Reformvorschläge, auf welche bei Gesetzesänderungen immer wieder zurückgegriffen wird.
Seit 2021 müssen nach einem Betretungs- und Annäherungsverbot die Gefährder verpflichtend Beratung in Anspruch nehmen. Durch die enge und gute Kooperation mit den Beratungsstellen für Gewaltprävention (NEUSTART) ist es möglich, die Gefährdungslage gemeinsam besser einzuschätzen und die Sicherheit für die Klienten zu erhöhen.
Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit: Ein wesentlicher Teil der Präventionsarbeit ist es, die Bevölkerung für Gewalt in der Familie und im sozialen Nahraum zu sensibilisieren, um Gewalttaten zu verhindern. Im Gesundheitsbereich werden Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen angeboten, da Ärzte und Krankenhäuser oft die ersten Ansprechpersonen für Gewaltopfer sind. Das digitale Projekt „Hinter der Fassade“ in Kooperation mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft bietet für Menschen ab 14 Jahren Informationen und pädagogisches Material zu häuslicher Gewalt. In Bezug auf Gewalt an älteren Menschen und Personen mit Beeinträchtigung wird gerade ein neues Netz aufgebaut.
Perspektive:Arbeit: 2015 startete des Gewaltschutzzentrum OÖ im Auftrag des Sozialministeriums gemeinsam mit dem Frauenhaus Linz den ersten Sozial Impact Bond in Österreich. Das Projekt bietet Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen beim (Wieder-) Einstieg in den Arbeitsmarkt oder in schwierigen Arbeitssituationen, ebenso bei Qualifizierungen. Denn finanzielle Abhängigkeit bestärkt das Machtungleichgewicht in Beziehungen und fördert dadurch Gewalt.
Gewalt kann gesundheitliche Einschränkungen, wie körperliche Verletzungen und Schmerzen, sowie psychischen Folgen wie Schlafstörungen, Depressionen, Konzentrationsschwächen udgl. hervorrufen, was zu Schwierigkeiten am Arbeitsplatz führen kann. Hinzu kommen Multiproblemlagen wie unsichere Wohnsituation, Wegfall der Kinderbetreuung, eingeschränkte Mobilität, schwierige finanzielle Situationen und fehlendes soziales Netzwerk. Perspektive:Arbeit versucht überall dort anzusetzen, damit eine Integration in den Arbeitsmarkt gelingen kann.
Statistik im Jahr 2022
2022 betreute das Gewaltschutzzentrum OÖ 3.311 Klienten. Davon wurden 2.426 Klienten durch die Exekutive aufgrund eines Betretungs- und Annäherungsverbotes überwiesen (zum Vergleich: 2012 waren es 914).
78% der Opfer sind Frauen, welche zu 89% der Gewalt von Männern ausgesetzt sind. Männliche Opfer waren zu 76% ebenso Opfer von männlicher Gewalt.
63% der Opfer waren österreichische Staatsbürger, 16% EU-Bürger. 54% der Täter waren österreichische Staatsbürger, 15% EU-Bürger.
Die Klienten des Gewaltschutzzentrums OÖ zeigten im Jahr 2022 1803 Gewaltdelikte an (Körperverletzung 736, gefährliche Drohungen/Nötigungen 665, beharrliche Verfolgung = Stalking 170, Vergewaltigungen 42, sexueller Missbrauch 28, fortgesetzte Gewaltausübung 71, versuchter Mord/Totschlag 9).
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