Wenn die Angst ums eigene Gewicht, zur Krankheit wird
LINZ. Sie passieren immer im Verborgenen, meist über Jahre, und können, zu spät erkannt, tödlich enden: Essstörungen. Maria Fessl, Psychotherapeutin und Leiterin des Kinderhilfswerks in Linz, erklärt, wann Familienmitglieder und Freunde genauer hinschauen sollten.
„Wie der Name schon sagt, dreht sich bei den Betroffenen immer alles ums Essen. Sprich die Gedanken kreisen ständig um das eigene Gewicht und die riesengroße Sorge zuzunehmen“, erklärt Maria Fessl.
Vor Corona gab es in Österreich um die 7.500 Erkrankte, seit der Pandemie sind die Krankenhaus-Einweisungen um 48 Prozent gestiegen. Meistens sind pubertierende Mädchen und junge Frauen von der Erkrankung betroffen, aber auch Burschen und junge Männer können Essstörungen entwickeln. „Dann aber eher in einem sportlichen Kontext, also wenn der Mann nicht viel wiegen darf.“
Die häufigsten Formen sind Anorexie (Magersucht) und Bulimie (Ess- und Brechsucht). Beide müssen in ärztlicher Begleitung behandelt werden und das meist über Jahre.
Anorexie: Betroffene hungern sich bis in den Tod
„Anorexie ist die auffälligste Form, da für Außenstehende klar ersichtlich ist, dass eine Krankheit vorliegt. Egal wie dürr die Betroffenen sind, sie finden sich immer zu dick, und hungern bis sie nicht mehr aufhören können. Ihre Selbstwahrnehmung ist komplett verzerrt“, so Fessl.
Trotzdem bleibt die Erkrankung zunächst lange im Verborgenen, zumal sie schon vor der radikalen Gewichtsabnahme beginnt. „Anorektischen Mädchen gelingt es sehr gut, die Situation zu verschleiern. Manche bekochen sogar ihre Familien, argumentieren bei Tisch dann aber damit, dass sie keinen Hunger mehr haben, weil sie schon während dem Kochen gegessen haben.“
Ein Hinweis für Familie und Freunde kann etwa eine übertriebene sportliche Aktivität sein, „wenn der Jugendliche täglich bis zur totalen Erschöpfung trainiert.“ Ein wesentliches Merkmal ist auch, wenn Jugendliche im Wachstum nicht an Gewicht zunehmen. Ebenso ein wichtiger Indikator ist bei Mädchen das Ausbleiben der Monatsblutung: „In dem Moment fährt der Körper schon auf Reserve.“
Maria Fessl warnt: „Das Risiko frühzeitig zu sterben, ist zehnmal höher als bei gesunden Menschen im gleichen Alter. Selbst wenn man eine Therapie beginnt, braucht es mehrere Jahre bis Anorektiker geheilt sind.“
Bulimie: Auf die Essattacke folgen Scham, Wut und Ekel
Nicht weniger gefährlich ist Bulimie, die Ess- und Brechsucht. „Betroffene leiden an ständig auftretenden Essattacken, in denen sie komplett die Kontrolle verlieren und einfach alles in sich reinstopfen, bis ihnen unwohl ist. Darauf folgen Scham, Wut auf sich selbst und die Angst vor der enormen Kalorienzufuhr, so dass sie alles wieder loswerden wollen.“ Entweder die Erkrankten erbrechen sofort oder sie lösen den Brechreiz mit dem Finger aus. „Manchmal ist der Rachen schon so unempfindlich, dass ein Messerstiel oder Löffel verwendet wird. Auch extrem starke Abführmittel werden genommen oder exzessive Sport bis zur Erschöpfung betrieben. Das ist wiederum der Punkt, wo Angehörige leider meinen, dass der Betroffene halt sportlich ist.“
Essattacken passieren immer heimlich, nie vor Zeugen. Da keine radikale Gewichtsabnahme stattfindet, ist Bulimie umso schwerer zu erkennen. „Betroffene haben mitunter sogar ein fülligeres Gesicht, die klassischen Hamsterbacken, bei denen man fälschlicherweise annehmen kann, dass die Betroffene ja eh gut genährt ist. Deren Ursprung liegt nur leider in den geschwollenen Speicheldrüsen und in Zahnschäden aufgrund der Magensäure beim Erbrechen.“
Hinweise für diese Erkrankung können sein, dass jemand in der Öffentlichkeit nicht isst. „Paradoxerweise haben Betroffene auch ein großes Fachwissen über Ernährung. Ein indirekter Hinweis bei Erwachsenen kann sein, dass riesige Mengen an Lebensmitteln eingekauft werden, der Einkaufswagen quillt richtig über. Mit dem verbunden sind regelmäßige Verschuldungen, weil das ganze Geld in Lebensmittel fließt.“
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