Welttag der Essstörungen (2. Juni): "Haben verlernt, auf unseren Körper zu hören"
OÖ. Am 2. Juni ist Welttag der Essstörungen. Das Bild der Essstörungen hat sich in den letzten Jahren stark verändert – sei es durch Social Media, durch Verunsicherung bzgl. der richtigen Ernährung oder auch durch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie. „Wir haben verlernt, auf unseren Körper zu hören anstatt auf äußere Einflüsse“, weiß Heidrun Eichberger-Heckmann, Fachleitung Psychotherapie und Expertin für Essstörungen bei Proges.
Vermeintlich perfekte Körper und Ernährungstipps von teilweise schwer kranken Menschen auf Social Media, mediale Aufforderungen, den Corona-Kalorien den Kampf anzusagen, die Vermarktung von Schönheits-OPs zur Perfektionierung des eigenen Körpers oder permanente Überforderung auf der Suche nach der gesunden Ernährungsweise im Dschungel von bio, regional, saisonal, ausgewogen, fettarm usw. – all diese Trends haben die Entwicklung von Essstörungen und/oder Körperschemastörungen begünstigt.
Formen von Essstörungen
Das früher häufigste Krankheitsbild der Anorexia nervosa, umgangssprachlich als Magersucht bekannt, hat sich mittlerweile zur Anorexia athletica gewandelt – einer gefährlichen Kombination aus extremem Untergewicht und gleichzeitigem Muskelaufbau.
Bulimie, also die Ess-Brech-Sucht, und die als Binge Eating bezeichneten Heißhungerattacken sind weitere Formen von Essstörungen.
Unterversorgter Körper aktiviert den Notmodus
Ist der Körper unterversorgt geht er von einer Hungersnot aus und aktiviert den Notmodus, der massive Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit hat, wie etwa Perikardergüsse, Löcher im Kortex oder ausgehöhlte Knochen.„Das Herz reagiert bei starkem Untergewicht wie ein Tier im Winterschlaf, muss aber den normalen Alltagsanforderungen entsprechen und ist daher gesundheitlich stark gefährdet“, so die Expertin.
Betroffene aber erleben sich trotz des Not-Hunger-Programms des Körpers fit und belastbar.
Diäten sind oft der schleichende Beginn einer Essstörung
Den natürlichen Bedürfnissen des Körpers wird immer weniger vertraut. Durch Appetit zeigt der Körper auf, was er braucht. Sobald dieser in Hunger umschlägt, ist der Körper bereits in einem Mangelzustand und verlangt nach Fett und Zucker. Ein Beispiel ist das Auslassen des Frühstücks aus Angst vor zu vielen Kalorien oder das Anstreben von möglichst langen Hungerphasen wie beim Intervallfasten.
Diäten sind oft der schleichende Beginn einer Essstörung, die ständige Beschäftigung mit Ernährung, Bewegung und Optimierungsmaßnahmen lenkt von zentralen Lebensthemen wie Beziehungsgestaltung und körperliche Reifung/Entwicklung ab und reguliert unangenehme Gefühle wie Selbstwertdefizite nach Vergleichen mit anderen Personen (etwa nach dem Konsum von Social Media Inhalten).
„Die Betroffenen wollen nicht sagen, dass es ihnen schlecht geht oder können nicht über ihre Bedürfnisse sprechen, können ihre emotionalen Probleme aber über ihr Gewicht zeigen“, so Heidrun Eichberger-Heckmann.
Essstörungen müssen psychisch behandelt werden
Essstörungen sind schwere Erkrankungen, die psychisch und physisch behandelt werden müssen. „Anorexie ist im psychiatrischen Kontext die Erkrankung mit den meisten Sterbefällen!“, betont die Expertin.
In der Psychotherapie geht es vor allem darum, den Patienten ein realistisches Gewicht verständlich zu machen, sie beim Ausdrücken und verarbeiten von Emotionen zu unterstützen und ihre eigene Körperwahrnehmung zu verbessern. Das Gehirn neigt beispielsweise bei Untergewicht zu Zwangsgedanken, wodurch der eigene Körper als zu dick wahrgenommen wird.
Erste Anlaufstelle für Betroffene ist in den meisten Fällen die Hausarzt-Praxis, die an die notwendigen Stellen überweist: Psychotherapie, Ernährungsberatung bzw. in schweren Fällen auch stationäre Aufnahme.
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