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Doris Hummer: "Es hat einen Wert, nicht nur etwas zu wissen, sondern auch etwas zu können"

Alexandra Mittermayr, 22.03.2022 18:48

LINZ/OÖ. Betriebe suchen händeringend nach Arbeitskräften. Mit Tips spricht WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer über mögliche Potenziale und notwendige Rahmenbedingungen.

WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer im Gespräch (Foto: Robert Maybach)
WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer im Gespräch (Foto: Robert Maybach)

Tips: Der Fachkräftemangel ist zu einem Arbeitskräftemangel angewachsen. Liegen noch Potenziale brach, die man bisher zu wenig genutzt hat?

Doris Hummer: Ja, und das ist glaube ich die gute Botschaft rund um diesen Mangel. Wir haben mit unseren Arbeitsmarktexperten alle Potenzialgruppen durchgeprüft: die Zielgruppe der Frauen, der Jugendlichen, der Älteren genauso wie die Gruppe der Beeinträchtigten oder der qualifizierten Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten. Es gibt in allen diesen Gruppen wirkliche Potenziale. Da geht es ganz oft darum, an Steuerschrauben zu drehen. Es muss sich auszahlen für jemanden, der über 55 ist, arbeiten zu gehen. Nur die Hälfte der Ü55-Jährigen ist bei uns in Beschäftigung, in Deutschland sind es über 70 Prozent. Und wir haben eine hohe Quote von Frauen in Teilzeit, die vielleicht gerne mehr Stunden arbeiten würden.

Tips: Welche Rahmenbedingungen braucht es dafür?

Hummer: Das sind politische Maßnahmen, wenn es um Veränderungen in der Steuerpolitik geht, und rechtliche Maßnahmen rund um die Rot-Weiß-Rot-Karte, die im Prinzip aktuell keine Bedeutung am Arbeitsmarkt hat. Wir haben jetzt wieder eine Gruppe von Flüchtlingen bei uns im Land, die Beschäftigung suchen wird. Auch die wollen wir unterstützen, damit sie schnell Anschluss finden und in der Zeit, wo sie da sind, für sich selber produktiv sein können.

Tips: Denken Sie hier an eine vorübergehende Beschäftigung?

Hummer: Unter den Menschen aus der Ukraine sind Frauen und Jugendliche, die Fürchterliches erlebt haben. Diese zu unterstützen und zu begleiten ist das Gebot Nummer eins. Kein Mensch kann sagen, wie lange dieser Konflikt noch dauern wird und ob dann noch etwas da ist, zu dem sie zurückkehren können. Dementsprechend glaube ich, ist es auch eine Chance für einige, sich ein neues Leben aufzubauen - mit ihren Kindern in Sicherheit. Wir können Ausbildungsplätze für die Jugendlichen zur Verfügung stellen. In so schwierigen Zeiten ist das der Beitrag, den wir als Oberösterreich und als Wirtschaft leisten können.

Tips: Noch einmal zurück zu den Rahmenbedingungen: Sie fordern eine flächendeckende Kinderbetreuung, um Frauen den Wiedereinstieg zu erleichtern?

Hummer: Wir kämpfen für die Mütter und Väter, dass die Kinder nicht nur bestmöglich versorgt sind, sondern auch gefördert werden. Früher hat das die Großfamilie übernommen, oft heute noch wie in meinem Fall. Aber wir brauchen immer stärker die Unterstützung von Krabbelstuben, von schulischer Nachmittagsbetreuung, von Kindergärten, die längere Öffnungszeiten haben. Ich möchte in Oberösterreich ein flächendeckendes Netz haben, wo sich jede Mutter und jeder Vater sicher sein kann, dass es kein Problem darstellt, wenn man eine Stunde länger arbeiten muss.

Tips: Sollte Kinderbetreuung kostenlos sein?

Hummer: Idealerweise ja, und es gibt auch schon viele kostenlose Angebote. Wenn man überlegt, welchen Mehrwert es für alle bietet, halte ich es für ganz wichtig, dass zuerst einmal das Angebot ausgebaut wird, auch wenn am Beginn bestimmte Beiträge notwendig sind. Es sind viele Familien bereit, etwas zu zahlen. Andererseits können wir zurzeit 100 Millionen Euro pro Monat für Coronatests ausgeben, hier hätte man schon früher in der Kontingentierung Weichen stellen können. Wir haben so große Aufgabenstellungen im Moment, Kinderbetreuung ist nur eine davon, wo es sinnvoller ist, Steuergeld auszugeben.

Tips: Die Vermittlung von Hilfs- und Anlernkräften ist einer Ihrer aktuellen Schwerpunkte. Wie gehen Sie hier vor?

Hummer: Die Realität heute ist, dass mehr als die Hälfte der offenen Stellen für ungelernte Hilfs- und Anlernkräfte zur Verfügung steht. Das ist viel zu wenig bekannt. Die Betriebe freuen sich über Bewerbungen von arbeitswilligen, engagierten Menschen, auch wenn sie diese Berufe nicht im Sinne einer Lehre oder eines Schulabschlusses erlernt haben. Und genau dieses Matching möchten wir verbessern, dafür arbeiten wir eng mit dem AMS zusammen. Mit unserer Aktionswoche, der Job Week, die von 28. März bis 2. April stattfindet, bieten wir Interessierten eine Möglichkeit, in die Betriebe hinein zu gehen und mit den Menschen, die dort arbeiten, zu sprechen. Menschen mit Beeinträchtigungen bietet unser Verein Integratio Unterstützung an.

Tips: Stichwort demografischer Wandel: Braucht es für die jungen Menschen neue Anreize, um sie zu begeistern, wie zum Beispiel eine Vier-Tage-Woche?

Hummer: Rahmenbedingungen spielen natürlich eine Rolle. Die junge Generation tickt anders als noch meine Generation, es geht öfter um den purpose, den Sinn der Arbeit. Die jungen Menschen fragen: „Was trage ich zur Lösung von Problemen dieser Gesellschaft bei?“. Ich glaube, diese Sinnfrage zu beantworten ist etwas, was Betriebe in Zukunft viel stärker darbieten müssen.

Tips: Ist durch Green Tech der Zeitpunkt gekommen, um mehr Frauen für den Tech-Bereich zu begeistern?

Hummer: Bei Frauen spielt die soziale Wirksamkeit eines Berufs eine stärkere Rolle. Das Gute ist, dass diese sinnstiftende Tätigkeit in unseren Betrieben drinnen steckt. Wir haben uns nur früher weniger damit beschäftigt herauszuarbeiten, wofür man mit seinen Werten steht. Da sind wir gerade in einem Wandel. Auch dabei, die Frauen für technische Berufe abzuholen. Wir können sehr schön aufzeigen, was in diesen Berufen für Chancen stecken und die frohe Botschaft: es wirkt. Der Girls Day wirkt. Nicht in der Masse, aber wir haben unter den Top-5-Berufen bei den weiblichen Lehrlingen die Kunststofftechnikerin drinnen. Da hat sich wirklich etwas verändert und ich bin überzeugt, das wird noch Fahrt aufnehmen.

Tips: Hat die Lehre ein Imageproblem?

Hummer: Nein, wir sind mit unseren Lehrabsolventen und Fachkräften Europa- und Weltmeister und auf der ganzen Welt gefragt. Jeder zweite junge Mensch in unserem Land macht eine Lehre und ist stolz darauf. Es hat einen Wert, nicht nur etwas zu wissen, sondern auch etwas zu können. Es kippt eher schon wieder in die andere Richtung, dass diejenigen, die einen Beruf gelernt haben und ihn anwenden, sich dort auch immer wieder weiterentwickeln, bessere Berufschancen haben als jemand, der „nur“ Schule oder Studium absolviert hat. Wir werden unser Bestes tun, dass wir mit neuen Angeboten wie mit der dualen Akademie auch neue Zielgruppen ansprechen. Damit stellen wir sicher, was unsere Betriebe auch dringend suchen: Nämlich engagierte junge Menschen, die auch wirklich etwas bewegen. 


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