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Gendermedizin: Das Geschlecht macht einen Unterschied

Nora Heindl, 06.04.2022 14:48

OÖ. Auch in hochentwickelten und modernen Gesundheitssystemen wie dem Österreichischen werden Krankheiten bei Frauen oft spät oder gar falsch diagnostiziert, Schmerzen und andere Beschwerden nicht ernst genommen. Der Grund dafür: Medizinische Forschung und somit auch das Wissen über Krankheiten orientieren sich stark am männlichen Körper. Die SPÖ Frauen OÖ rücken deshalb das Thema Gendermedizin in den Fokus.

V. l.: Ärztin und Abgeordnete im Wiener Landtag Mireille Ngosso, SPÖ-Landesfrauenvorsitzende Renate Heitz sowie Bundesfrauenvorsitzende und Nationalratsabgeordnete Eva-Maria Holzleitner (Foto: MecGreenie Production)

„Keine Frau soll leiden oder gar sterben, nur weil Symptome nicht ernst genommen oder Krankheiten falsch diagnostiziert wurden!“ fordert Landtagsabgeordnete und Landesfrauenvorsitzende Renate Heitz. 

Geschlechterspezifische Forschung in der Medizin

Bei Gendermedizin geht es nicht nur darum, wie gesund ein bestimmtes Geschlecht ist, wie lange etwa Frauen im Vergleich zu Männern leben, sondern darum, wie der weibliche Körper im Bereich der medizinischen Forschung vorkommt, wie ernst Schmerzen genommen werden, wenn sie von Frauen geäußert werden, wie unterschiedlich sich die Verabreichung von Schmerzmitteln oder anderen Pharmazeutika gestaltet, oder wie sich etwa ein Herzinfarkt bei Frauen und Männern unterschiedlich zeigt.

„Das Männliche wird zur menschlichen Norm und bildet die Grundlage für Forschung, Behandlung und Therapiemöglichkeiten und das kann für Frauen schwerwiegende Folgen haben. Für eine bestmögliche Gesundheitsversorgung muss sich die Medizin auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen ausrichten. Sowohl im Medizinstudium als auch in der Forschung muss Gendermedizin zum Schwerpunktthema werden“, fordert die Expertin Mireille Ngosso, Ärztin und Abgeordnete zum Wiener Landtag

Beispiel Herzinfarkt

Herzinfarkte können sich etwa bei Frauen durch unspezifische Symptome äußern, wodurch er erst gar nicht oder oft zu spät erkannt wird. Laut einer Schweizer Studie werden Frauen im Durchschnitt wertvolle 45 Minuten später als Männer in die Klinik eingeliefert. Bei Herzinfarkten dauert es bei Männern im Durchschnitt drei Stunden, bis sie ins Krankenhaus kommen, bei Frauen sind es mindestens eine halbe Stunde mehr. Das führt dazu, dass sie dann bereits in einem schlechten Zustand sind, später auf dem OP-Tischlanden und im Fall der Fälle länger auf der Intensivstation liegen. Lange sind die weiblichen Symptome eines Herzinfarktes nicht als solche erkannt worden, Frauen sind in weiterer Folge bis in die achtziger Jahre an einem unbehandelten Herzinfarkt gestorben.

„Frauen haben schlichtweg bei vielen Krankheiten andere Symptome als Männer und genau hier setzt die Gendermedizin an und berücksichtigt die Bedeutung des Geschlechts über die Biologie“, so Ngosso. Sabine Oertelt-Prigione, Professorin für geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld und der niederländischen Radboud-Universität hat erklärt, warum die Medizin erst vor ca. zwei Jahrzehnten begonnen hat, auf die Unterschiede zwischen Frauen und Männerkörpern zu achten: „Weil erst Frauen sterben mussten. Und man bis Ende der 1990er Jahre dachte, junge Frauen könnten keine Herzinfarkte bekommen und heute weiß man, dass Frauen öfter daran sterben als Männer.“

Ziel der Gendermedizin ist die gerechte Behandlung von Mann und Frau, so dass jeder Mensch die medizinische Versorgung bekommt, die er geschlechtsspezifisch benötigt – von sozialen Aspekten, Vorsorge über Diagnose, Symptome und Krankheitsverlauf bis hin zur Therapie.

Long Covid – betroffen sind vor allem Frauen

Eine weitere Krankheit, die nicht nur sehr jung, sondern auch in Punkto Gendermedizin relevant ist, ist Long-Covid. Circa zehn Prozent leiden auch noch monate- bis jahrelang an den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung. Dazu zählen rasche Erschöpfung und eine um bis zu 80 Prozent verringerte körperliche Leistungsfähigkeit, wodurch bereits die Alltagsbewältigung zur Herausforderung wird.

„Vor gut einem Monat waren es etwa 200.000 Menschen, die von der Krankheit betroffen sind und es werden laufend mehr. Aber das Problem wird Großteils ignoriert“ beklagt Eva-Maria Holzleitner. Für die SPÖ-Bundesfrauenvorsitzende und Nationalratsabgeordnete ist die Situation dramatisch, denn es seien vor allem Frauen und Kinder gefährdet. Laut Studien hätten Männer nämlich ein zwischen 35 und 55 Prozent geringeres Risiko, an Long Covid zu erkranken. Daher müsse man bei der Bekämpfung der Krankheit auch den gender-medizinischen Aspekt im Auge behalten, beklagt Holzleitner.

Aktuell gäbe es einzelne Studien von Kliniken und private Initiativen zum Thema Long-Covid – ein koordinierter, interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt fehle jedoch. Außerdem brauche es dringend eine Verbesserung der Datenlage zu Long-Covid sowie einen gender-medizinischen Aspekt zur Bekämpfung der Langzeitfolgen einer Covid-Infektion, fordert die Bundesfrauenvorsitzende.

Dieser Forschungsschwerpunkte sei wichtig, um einerseits die Erkrankung bestmöglich zu kennen, um darauf vorbereitet zu sein beziehungsweise um den Betroffenen Perspektiven durch unmittelbare, korrekte Behandlung geben zu können. Deshalb müsse seitens des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung ein Fokus auf dieses neuartige Thema gelegt und entsprechend Fördermittel zur Verfügung gestellt werden.

Frauen werden nicht ernst genommen

So wie es unterschiedliche Symptome zwischen Frauen und Männer gibt, so gibt es auch typische Frauenerkrankungen, wie zum Beispiel Endometriose. „Es wird vermittelt, Schmerzen während der Regelblutung seien einerseits völlig normal, andererseits wird suggeriert, man übertreibe“, erwähnt SPÖ-Landesfrauenvorsitzende Renate Heitz. „Ich selbst habe als Betroffene von Endometriose erlebt, dass Frauen in ihren Symptomen nicht ernst genommen werden. Das hängt auch mit der Tabuisierung weiblicher Sexualität zusammen.“ Das zeige ein völlig veraltetes Frauenbild, welches Frauen und ihre Empfindungen einerseits kleinredet, im gleichen Atemzug aber paradoxerweise überhöht, indem man ihnen eine höhere Schmerzgrenze attestiert.

Starke Schmerzen im Unterleid, wuchernde Zysten bis hin zu entzündeten Organen sind Teil dieser Krankheit, die man zwar nicht heilen, aber behandeln kann. Doch um sie behandeln zu können, braucht es erst eine Diagnose. Studien zeigen, dass ca. 10 bis 15 Prozent aller gebärfähigen Frauen darunter leiden. Weil Endometriose aber häufig nicht erkannt wird, bleibt die Dunkelziffer sehr hoch.

Eine Studie in Neuseeland deutet darauf hin, dass Aufklärung im Schulalter dabei hilft, die Zeitspanne zwischen ersten Symptomen und Diagnose zu verkürzen. Im Zuge des Menstrual Health and Endometriosis Education Programs lernen Schülerinnen, welche Symptome ein Hinweis auf eine Endometriose Erkrankung sein könnten. „Solche Programme wären auch in Österreich hilfreich, um die Erkrankung tausender Frauen früher zu erkennen, zu behandeln und ihr Leiden zu verkürzen. Aufklärung und mehr Forschung über eine der meistverbreiteten Frauenkrankheiten sollte im Interesse aller sein“, betont Heitz.

Gendermedizin hat noch kaum Bedeutung

Die Recherchen hätten noch einmal verdeutlicht, dass das Thema „Gendermedizin“ in der Oö. Landespolitik bis dato kaum an Bedeutung hatte. Zwar gibt es das Programm Frauen.Leben.2030, in dem sich auch Forderungen und Ziele im Bereich Gesundheit befinden, doch dieses Programm liege derzeit in einer Schublade.

„Klar ist, dass wir hier noch ganz am Anfang stehen und Oberösterreich sowie in vielen anderen Bereichen zurückliegt“ betont Heitz. Gendermedizin solle künftig ein fester Bestandteil der medizinischen Ausbildung sein, so gibt es in Wien und Innsbruck bereits einen verpflichtenden Lehrstuhl. Kärnten werde ein ärztliches Genderdiplom finanzieren, die Weiterbildung und Implementierung in Ausbildung von Pflegeberufen forcieren und Salzburg setze auch Schwerpunkte in geschlechterspezifische Medizin.

„Ziel der Gendermedizin ist die gerechte Behandlung von Mann und Frau, so dass jeder Mensch die medizinische Versorgung bekommt, die er oder sie geschlechtsspezifisch benötigt – von sozialen Aspekten, Vorsorge über Diagnose, Symptome und Krankheitsverlauf bis hin zur Therapie. Geschlechterspezifische Forschung ist dringend notwendig, denn dadurch ist eine verbesserte Gesundheitsförderung, Prävention und Krankheitsbehandlung für beide Geschlechter möglich“, sind sich die drei Abgeordneten einig.


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