Tabuthema Häusliche Gewalt: Wie sich Frauen erfolgreich wehren
MELK. Häusliche Gewalt ist in vielen Familien traurige Realität – auch im Bezirk Melk. Vier Frauen aus der Region, die mit den Folgen immer wieder beruflich konfrontiert sind, schildern ihre Erfahrungen und wollen das Thema aus der Tabuzone holen. Sie appellieren an die Opfer, sich Hilfe zu holen und die Täter anzuzeigen.
Fast 30 Frauenmorde innerhalb eines Jahres sprechen eine deutliche Sprache. Es ist ein trauriger Rekord, den Österreich hier 2021 aufstellt. Und ein Zeichen dafür, dass die Gewaltbereitschaft zunimmt. Ein Grund dafür ist Corona: „Die Menschen stehen unter großem Druck und der entlädt sich dann zu Hause“, weiß Psychotraumatologin Eveline Tanzer. Schulschließungen, Lockdowns, aber auch die Sorge vor drohender Arbeitslosigkeit führten zu einer Gewaltspirale und auch vermehrten Suiziden. Das Weihnachtsfest verschärft die Situation in manchen Familien noch zusätzlich. „Weihnachten ist immer eine ganz schwierige Zeit“, so die Expertin.
Gravierende Folgen für Kinder
Grund genug für Eveline Tanzer, seit Oktober neue Präsidentin der Melker Soroptimistinnen, gemeinsam mit drei Clubkolleginnen auf das brisante Thema aufmerksam zu machen. „Gewalt an Frauen und Kindern ist die häufigste Menschenrechtsverletzung“, gibt Tanzer bei einem Pressegespräch in Melk zu bedenken. Besonders gravierend seien die Folgen für Kinder, die häusliche Gewalt oft hautnah miterleben müssen oder ihr auch selbst ausgesetzt sind. „Das erzeugt unauslöschbare Spuren“, ist die Psychologin überzeugt. Später würden solche Kinder dann oftmals selbst zum Täter, weil sie in ihren Familien keinen anderen Umgang mit Konflikten gelernt hätten.
Trennung gut vorbereiten
Für Frauen mit gewaltbereiten Männern sei die gefährlichste Zeit die, in der sie die Trennung ankündigen. „Viele Frauen unterschätzen die Gefahr. Eine Trennung sollte gut vorbereitet sein“, rät Tanzer. Unterstützung und wertvolle Tipps erhalten Frauen in einem solchen Fall bei den verschiedenen Beratungseinrichtungen und Info-Hotlines.
Anzeige kostet Überwindung
Sich von ihrem gewalttätigen Partner oder Ehemann zu trennen oder ihn gar anzuzeigen, ist für viele Frauen eine große Überwindung, weiß die Melker Scheidungsanwältin Ulrike Koller. Die Frauen seien dann oftmals sogar mit Vorwürfen aus ihrem Umfeld konfrontiert – etwa, dass sie sich eine bessere Stellung im Scheidungsverfahren erhoffen würden oder die Gewaltausbrüche provoziert hätten. „Bei häuslicher Gewalt gibt es eben nicht wie bei einem Verkehrsunfall drei Zeugen“, schildert Koller ein weitverbreitetes Problem aus der Praxis. Nichtsdestotrotz rät sie den Frauen zur Anzeige.
„Aussage nicht verweigern“
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für Koller, dass von Gewalt betroffene Frauen ihre Anschuldigungen auch vor dem Richter wiederholen müssen. „Oftmals verweigern die Frauen die Aussage. Das Gericht kann dann nichts von dem verwenden, was die Frau zuvor gesagt hat. Auch keine Fotos. Das Verfahren endet so mit einem Freispruch“, klärt die Juristin auf. Auch könne das Gericht dem Angeklagten in einem solchen Fall keine Weisungen erteilen, die dem Schutz der Frau dienen würden.
Gesellschaftliches Problem
„Viele Frauen müssen sich durchringen, eine Scheidung anzugehen“, bestätigt Karin Emsenhuber, seit 18 Jahren Familienrichterin am Bezirksgericht Scheibbs. Dahinter stehe auch ein gesellschaftliches Problem, denn Frauen werde häufig eingeredet, sich nicht wehren zu dürfen. Wichtig sei in jedem Fall, dass sich betroffene Frauen genau darüber klar werden, was sie wollen, bevor sie auf offiziellem Wege eine Trennung einleiten.
Rechtliche Möglichkeiten
Für die Betroffenen gibt es in einem solchen Fall zahlreiche Unterstützungsangebote. Emsenhuber verweist hier auf die Gewaltschutzzentren (unter anderem in Amstetten und St. Pölten), die umfangreiche Hilfe für Gewaltopfer anbieten. In Fällen häuslicher Gewalt könne die Polizei ein Betretungsverbot für zwei Wochen aussprechen. „Die Frauen haben dann Sicherheit, denn der Mann kommt nicht in die Wohnung“, verdeutlicht die Richterin. Bei Bedarf könne sogar eine längere Wegweisung bis zum Ende des Verfahrens erfolgen. Die Richterin ist in ihrem Berufsalltag nach eigenen Angaben verstärkt mit häuslicher Gewalt konfrontiert. „Wenn die Kinder noch klein sind, ist es oft ganz schwierig“, schildert Emsenhuber die schwierige Situation der betroffenen Frauen. Höhere Strafen würden das Problem aus Sicht der Juristin nicht lösen, sondern vielmehr ein „konsequentes Handeln von Anfang an“.
Körper und Seele leiden
Für mehr Präventionsarbeit spricht sich auch Ärztin Ingrid Lebersorger aus. Die Allgemeinmedizinerin aus St. Leonhard am Forst kommt in ihrer Praxis immer wieder mit Gewaltopfern in Berührung. Anzeichen für häusliche Gewalt seien nicht nur Verletzungen, sondern auch chronische Beschwerden, Angst oder Panik. Bei Kindern machten sich die Gewalterfahrungen in Verhaltensänderungen bemerkbar.
Hilfsangebote für Männer
Ingrid Lebersorger plädiert dafür, die Täterarbeit mehr in den Vordergrund zu rücken. Denn auch für Männer, die zu Gewaltausbrüchen neigen, gebe es entsprechende Hilfsangebote. Problem sei, dass viele Betroffene davon jedoch keinen Gebrauch machen, um keine vermeintliche Schwäche eingestehen zu müssen. In Wirklichkeit sei jedoch das Gegenteil der Fall, betont die Medizinerin: „Stark ist, wer sein Problem erkannt hat und Hilfe in Anspruch nimmt“.
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