„Wir sind keine Grusel- oder Geisterbahn“: Ein Blick hinter die Kulissen von Gunther von Hagens' Körperwelten
LINZ/GUBEN. Gunther von Hagens' „Körperwelten“ geben ab 10. Februar in der Tabakfabrik nach 2015 wieder ein Linz-Gastspiel, erstmals mit der Ausstellung „Der Zyklus des Lebens“. Tips durfte vorab in Guben im deutschen Brandenburg gemeinsam mit Sohn und Geschäftsführer Rurik von Hagens einen Blick hinter die Kulissen werfen.
In der deutschen Kleinstadt Guben, nur wenige Meter von der polnischen Grenze entfernt, befindet sich Gunther von Hagens' Plastinarium, ein einzigartiger Ort, der die erfolgreiche Anatomieausstellung und die Werkstatt und Labore vereint. Die Gebäude der ehemaligen Gubener Tuchmacherei wurden zur „gläsernen Werkstatt“ umfunktioniert, 2006 wurde das Plastinarium eröffnet, als zweiter Standort neben dem Heidelberger Institut für Plastination.
Plastination: 1.500 Stunden für einen ganzen Körper
1977 hatte der Mediziner und Wissenschaftler Gunther von Hagens an der Universität Heidelberg die Technik der Plastination erfunden und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Etwa 150 Mitarbeiter arbeiten nun in Guben nach seiner Methode, um anatomische Präparate entstehen zu lassen.
Fünf Schritte umfasst das Verfahren: Zu Beginn wird die Verwesung durch Formalin gestoppt, es folgt die Präparation mit Pinzette und Skalpell. Es ist eine extrem feine Arbeit, die die geschulten Mitarbeiter hier übernehmen. Für den Beobachter faszinierend und - zumindest anfänglich - gewöhnungsbedürftig zugleich, wenn etwa am männlichen Oberarm Venen und Arterien freigelegt werden.
Im Anschluss werden zwei Austauschverfahren gestartet: Im kalten Azetonbad wird gefrorenes Gewebewasser durch Azeton ersetzt, im warmen Azetonbad lösliche Fettanteile. Es folgt das eigentlich zentrale Verfahren der Plastination: Das Azeton wird im Vakuum extrahiert und allmählich durch Kunststoff ersetzt. Feste, geruchslose und dauerhaft haltbare anatomische Präparate entstehen, die nach Positionierung mit Nadeln und Drähten durch Gas, Licht oder Wärme gehärtet werden.
Die Präparation und Plastination eines ganzen Körpers dauert rund 1.500 Arbeitsstunden, ist etwa nach einem Jahr abgeschlossen. Die Kosten eines Ganzkörperplastinats liegen bei rund 100.000 Euro. Denn der Großteil der in Guben hergestellten Plastinate - rund 90 Prozent - sind nicht für die Körperwelten-Ausstellung vorgesehen, sondern dienen an Universitäten für die Lehre.
20.000 Körperspender
Die für Universitäten gefertigten und auch in der Ausstellung gezeigten Plastinate stammen aus dem eigenen Körperspende-Programm des Instituts für Plastination. Mittlerweile sind mehr als 20.000 Spender registriert, sie stellen ihren Körper nach dem Tod der Wissenschaft zur Verfügung. „Wir haben fast zu viele, als zu wenige, machen auch keine Werbung dafür“, so Rurik von Hagens. Drei bis vier als Körperspender registriere Verstorbene gelangen wöchentlich nach Guben. Dabei schließe sich nicht aus, gleichzeitig Organspender und Körperspender zu sein.
Gerade bei einem Besuch im Plastinarium in Guben wird klar: Transparenz wird großgeschrieben. „Von Anfang an, das ist Firmenpolitik, wir haben offene Türen. Hier gibt’s den Blick hinter die Kulissen der Körperwelten, der Besucher kann hier kommen und sehen, wie ein Plastinat entsteht. Die Präparation, Positionierung ist hier mitten in der Ausstellung sichtbar, hier passiert wirklich die Arbeit - alles öffentlich. Wenn wir hier hinter verschlossenen Türen arbeiten würden, wäre das Gerede noch viel, viel größer“, so Rurik.
„Wir gehen würdevoll um, entmenschlichen niemanden“
Denn Gunther von Hagens - „Dr. Tod“, wie er von deutschen Medien oft betitelt wurde - sah sich lange Zeit viel und heftiger Kritik ausgesetzt. Etwas, was heute nicht mehr so stark zu spüren ist, wie sein Sohn findet. „Die Ausstellung hatte am Anfang großen Skandalwert. Der ist zurückgegangen, der Faszinationswert aber absolut geblieben. Aber es gibt immer noch Kritiker. Ich habe den Eindruck, dass das meistens auf Desinformation beruht, die größten Kritiker haben die Ausstellung meistens nicht gesehen.“
Im Vordergrund stehe, dass der Wunsch der Körperspender respektiert werde. „Und entscheidend ist ja auch: Wie ist das umgesetzt. Das ist keine Grusel- und Geisterbahn, man kann etwas über den eigenen Körper lernen. Alleine die Atmosphäre in der Ausstellung spricht auch dafür, dass wir sehr würdevoll mit den Menschen umgehen. Und wir werden einen Menschen immer als Menschen darstellen, wir entwürdigen Menschen nicht, wir entmenschlichen nicht. Wir zeigen den Menschen als Menschen, das ist eine Regel, die wir immer beherzigen, neben dem Willen der verstorbenen Körperspender“, stellt Rurik von Hagens im Gespräch mit Tips klar.
Faszination Mensch: Erfolgreichste Sonderausstellung weltweit
Aller Kritik zum Trotz entgegensteht der große Erfolg der „Körperwelten“-Ausstellungen: Mit über 54 Millionen Besuchern rund um den Globus über die Jahre dürfen sich die „Körperwelten“ die erfolgreichste Sonderausstellung weltweit nennen.
Was macht die große Faszination aus? „Die Besucher sind eigentlich immer tief bewegt, es ist dieses Interesse an sich selbst letztendlich. Denn wo kann man sonst auf so authentische Art und Weise in sich selbst hineinschauen? Wenn ich durch die Ausstellung gehe, schaue ich auf die Reaktionen der Besucher, die mit großem Interesse, staunenden Augen vor den Präparaten stehen. Auch Kinder gehen sehr unbefangen damit um. Diese Vorstellung, dass der menschliche Körper etwas Ekeliges ist, das hat ja ein Kind nicht. Das kommt später mal, das wird erst alles antrainiert.“
Entstehen und Vergehen: „Der Zyklus des Lebens“ in der Tabakfabrik
Vorrangiges Ziel der Körperwelten-Macher ist die gesundheitliche Aufklärung, Wissen zu vermitteln und Bewusstsein für Prävention zu stärken. „Wir sind kein Friedhof. Wir wollen von den Toten fürs Leben lernen!“ Auch Rurik von Hagens ist sowohl als Organ- als auch als Körperspender registriert.
Die in Linz zu sehende Ausstellung „Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“, wieder kuratiert von Gunter von Hagens Ehefrau, Medizinerin Angelina Whalley, legt den Fokus auf den menschlichen Körper im Kreislauf von Entstehen und Vergehen. „Unsere Ausstellungen geben immer einen kompletten Einblick - vom Bewegungssystem über das Herz-Kreislauf-System bis zum Nervensystem. Gleichzeitig behandelt die Ausstellung 'Zyklus des Lebens', welchen Effekt das Alter eigentlich auf unseren Körper hat, wie sich der Körper mit dem Alter verändert“, lädt Rurik von Hagens in die Tabakfabrik ein - zu sehen ab 10. Februar.
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