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16 Tage gegen Gewalt an Frauen: „Letztlich ist es das Machtungleichgewicht, das Gewalt erzeugt"

Tips Logo Baumgartner Anna, 01.12.2025 11:45

LINZ. „Wenn jede dritte erwachsene Frau in Österreich sexualisierte oder körperliche Gewalt erfährt, dann ist das keine Ausnahme, sondern sozusagen endemisch“, so Frederic Heine, Professor am Institut für Frauen- und Geschlechterforschung an der JKU Linz. Erst vergangene Woche wurde über den 15. Femizid in diesem Jahr berichtet. Eine Frau aus Graz soll von ihrem Ex-Freund getötet worden sein. Geschlechtsbasierte Gewalt sei ein unakzeptabler Skandal, der uns alle angehe, so Heine gegenüber Tips.

Jede dritte Frau hat in Österreich bereits Gewalt erfahren. (Foto: AungMyo/stock.adobe.com)
Jede dritte Frau hat in Österreich bereits Gewalt erfahren. (Foto: AungMyo/stock.adobe.com)

Am 25. November begannen weltweit die „16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen“ – ein internationaler Aktionszeitraum, in dem das Recht auf ein gewaltfreies Leben eingefordert wird. Die Kampagne läuft bis 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte. Gewalt gegen Frauen stellt weltweit, so auch in Österreich, die häufigste Menschenrechtsverletzung dar.

Mehr zum Thema: Start der „16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen“ in Linz.

Medial und politisch werde geschlechtsbasierte Gewalt an Frauen* und LGBTIQ+-Personen immer wieder als ein Problem von „Anderen“ dargestellt. Ob als Problem einiger weniger „psychisch Kranker“, als „Migrationsproblem“ mit Verweis auf eine „patriarchale Herkunftskultur“ oder als Problem der Reichen und Mächtigen wie Harvey Weinstein oder Jeffrey Epstein.

Das entlaste natürlich ungemein, und mache es insbesondere Männern einfach, sich selbst als „einer von den Guten“ zu sehen. Sich nicht mit unbequemen Fragen beschäftigen zu müssen, so Frederic Heine, Professor am Institut für Frauen- und Geschlechterforschung an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz.

Jede dritte Frau betroffen

Statistiken zeichnen ein ganz deutliches und dramatisches Bild, darunter auch die Zahlen des dritten Linzer Frauenberichts 2025, an dessen Ausarbeitung Heine ebenfalls beteiligt war.

Wie die Autoren darlegen, hat in Österreich jede dritte Frau im Erwachsenenalter (18–74 Jahre) körperliche oder sexuelle Gewalt inner- oder außerhalb intimer Partnerschaften erlebt. Auch im weltweiten Kontext sind die Zahlen dramatisch. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind etwa ein Drittel der 15- bis 49-jährigen Frauen in ihrer Partnerschaft Gewalt ausgesetzt. Die Folgen sind tiefgreifend, nicht nur auf körperlicher, sondern vor allem auch auf psychischer Ebene. 

Mehr zum Thema: Gewalt in den eigenen vier Wänden: „Verdrängung ist häufig eine Überlebensstrategie“.

Patriarchale Strukturen als Ursache

Die Ursache für derartige Dynamiken sei nicht etwas, was von irgendwo außen in die österreichische Gesellschaft komme, oder irgendeine Charakterverfehlung, sondern die – „unsere“ – heteronormativ-patriarchale Struktur und Kultur, so Frederic Heine gegenüber Tips. 

„Die Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts bis heute haben viel getan, um Frauen kollektiv aus dieser Rolle zu befreien, doch die Revolution war unvollständig. Auf der einen Seite leben die Stereotype und Machtverhältnisse fort. Männer sind weiter in machtvollen Positionen überrepräsentiert, im Arbeitsmarkt im Vorteil und in (heterosexuellen) Beziehungen oft in der Position, das Haupteinkommen zu erzielen“, so Heine.

Auf der anderen Seite hätten viele Frauen alte Rollenbilder überwunden und sich Fähigkeiten und Attribute angeeignet, nicht aber viele Männer, so der Experte.

Bewusstsein und aktives „Verlernen“

Die Überwindung des gewaltvollen Anspruchsdenkens sei jedoch kein Teufelskreis. Es gehe schlicht um die vollständige Anerkennung der gleichen Würde, Autonomie und der individuellen Grenzen aller Menschen.

Die tiefe kulturelle Verwurzelung unbewusster patriarchaler Muster bedeute, dass es ein aktives und persönliches „Verlernen“ des eigenen Anspruchsdenkens brauche. Empathiefähigkeit und gewaltfreie Kommunikation seien dazu ebenfalls wichtig, würden in der Sozialisation und Bildung von Jungen und Männern aber leider oft vernachlässigt werden, so Heine.

Darüber hinaus brauche es ein größeres Bewusstsein über Gewaltdynamiken und Interventionsmöglichkeiten. Hier sei zum Beispiel die Linzer Kampagne zu Zivilcourage lobenswert, so der Professor.

Mehr zum Thema: Linz startet als erste Stadt Österreichs Bundeskampagne für Zivilcourage durch Männer.

„Wirklich nachhaltig verschwinden wird geschlechtsbasierte Gewalt aber erst, wenn eine tatsächliche rechtliche, ökonomische, soziale und kulturelle Gleichstellung erzielt ist. Denn letztlich ist es das Machtungleichgewicht, das Gewalt erzeugt“, so Heine abschließend.


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